Ärzte ohne Grenzen fordert menschenwürdige Asyl- und Migrationspolitik
Anlässlich der heute stattfindenden zweiten Libyen-Konferenz in Berlin fordert Ärzte ohne Grenzen von der Bundesregierung und der EU, die katastrophale Lage von Geflüchteten und Migrant*innen in Libyen nicht unter den Tisch fallen zu lassen und für eine menschenwürdige Asyl- und Migrationspolitik zu sorgen.
Die Lage in zwei Internierungslagern in Tripolis, Mabani und Abu Salim, hat sich seit Anfang 2021 stetig verschlechtert, so dass Ärzte ohne Grenzen die schwierige Entscheidung getroffen hat, die medizinische Versorgung der dort Inhaftierten vorerst auszusetzen. Ärzte ohne Grenzen fordert ein Ende der willkürlichen Gewalt gegen Geflüchtete und Migrant*innen und eine Verbesserung der Lebensbedingungen in den Internierungslagern.
Dazu sagt Marie von Manteuffel, Expertin für Flucht und Migration von Ärzte ohne Grenzen Deutschland:
„Wir erwarten von der deutschen Bundesregierung und den weiteren Teilnehmenden der heutigen Konferenz, die katastrophalen Umstände in den Internierungslagern nicht als vermeintliches Randthema unter den Tisch fallen zu lassen. Bei allem Verständnis für die diplomatische Fokussierung auf das Abhalten von Wahlen in einem so fragilen Land verbietet es sich, die Augen vor dem Schicksal von mehr als 650.000 Menschen zu verschließen, die derzeit in Libyen unter furchtbaren Bedingungen leben. Rund 6.000 Menschen werden derzeit in Internierungslagern des libyschen Migrationsministeriums festgehalten, so viele wie seit 2019 nicht mehr. Was unsere Teams in den vergangenen Monaten bei Besuchen in den offiziellen Internierungslagern der libyschen Interimsregierung und an den Ausschiffungspunkten der libyschen Küstenwache beobachtet haben zeigt klar: Weder hat sich an der Politik der willkürlichen Inhaftierung von Schutzsuchenden etwas geändert, noch an deren völliger Rechtlosigkeit.
Solange Schutzsuchende Menschen in Libyen in einem System von Willkür und Gewalt gefangen sind, kann von Fortschritten in Bezug auf Libyen nicht die Rede sein. Eine Demokratisierung Libyens wird nur dann nachhaltig gelingen, wenn der Zugang zum Recht für alle Menschen im Land gilt und staatliche Stellen nicht folgenlos Menschenrechte von Schutzsuchenden verletzen können.“
Die Zunahme der Gewalt seit Anfang des Jahres 2021 geht mit einem deutlichen Anstieg der Zahl der Menschen einher, die von der EU-finanzierten libyschen Küstenwache auf See abgefangen, zwangsweise nach Libyen zurückgeführt und in Internierungslager eingesperrt werden. Bis zum 19. Juni wurden mehr als 14.000 Menschen auf dem Meer abgefangen und nach Libyen zurückgeführt. Dies übersteigt jetzt schon die Gesamtzahl der Zwangsrückführungen des gesamten Jahres 2020.
Dies hat zu einer starken Überbelegung und einer Verschlechterung der ohnehin schon desolaten Bedingungen in den Internierungslagern geführt. Dort fehlt es meist an ausreichender Belüftung und natürlichem Licht. Einige Lager sind so überfüllt, dass sich bis zu vier Personen einen Quadratmeter Platz teilen. Das zwingt Menschen dazu, sich in Schichten hinzulegen und zu schlafen. Den Menschen fehlt der ständige Zugang zu sauberem Wasser und Hygieneeinrichtungen.
Die Inhaftierten erhalten oft nur unzureichend Nahrung und bekommen nur ein oder zwei kleine Mahlzeiten am Tag, meist ein kleines Stück Brot mit Käse oder einen Teller Makkaroni, den sie sich mit vielen teilen müssen. Teams von Ärzte ohne Grenzen beobachteten, dass einige Inhaftierte ihre Medikamente einsetzen, um den Hunger zu bewältigen. Der Mangel an Nahrung hat dazu geführt, dass einige Frauen ihre Babys nicht mehr stillen können.