Mittelmeer: Ärzte ohne Grenzen startet Einsatz zur Seenotrettung mit eigenem Schiff
Amsterdam/Berlin, 13. Mai 2021 – Ärzte ohne Grenzen setzt den Einsatz zur Seenotrettung im Mittelmeer fort – diesmal mit einem eigenen gecharterten Schiff: der Geo Barents. Ziel des Einsatzes ist es, die Leben von Geflüchteten und Migrant*innen zu retten, die sich auf die gefährliche Überfahrt von Libyen nach Europa machen und dabei in Lebensgefahr geraten, und sie medizinisch zu versorgen.
Bereits seit 2015 arbeiten Teams von Ärzte ohne Grenzen auf Seenotrettungsschiffen und beobachten dabei mit Schrecken, welche Tragödie sich an der Schwelle zu Europa ereignet, an der nach wie vor Tausende ertrinken oder gegen ihren Willen nach Libyen zurückgebracht werden, wo sie ein Leben in katastrophalen Verhältnissen oder der Tod erwartet.
„Unsere Rückkehr ins Mittelmeer ist eine direkte Folge der rücksichtslosen europäischen Politik der unterlassenen Hilfeleistung auf See. Diese Politik verurteilt Menschen zum Sterben“, sagt Ellen van der Velden, die Leiterin des Seenotrettungseinsatzes von Ärzte ohne Grenzen. Bisher sind im Jahr 2021 bereits über 500 Menschen bei dem Versuch gestorben, das Mittelmeer zu überqueren. Allein am 22. April kamen bei einem Schiffbruch mindestens 130 Menschen ums Leben. Diejenigen, die nicht auf dem Meer sterben, laufen Gefahr, durch die von der EU unterstützten libyschen Küstenwache auf dem Meer abgefangen und gewaltsam in das Land zurückgebracht zu werden. Die meisten von ihnen landen willkürlich in Haftanstalten, in denen sie lebensbedrohlichen Risiken wie Misshandlung, sexueller Gewalt, Ausbeutung und sogar dem Tod ausgesetzt sind.
"Im Laufe der Jahre haben sich die europäischen Regierungen immer mehr aus der proaktiven Such- und Rettungsarbeit im zentralen Mittelmeer zurückgezogen. Sie haben es versäumt, Menschen in Gefahr zu helfen und haben die dringend benötigte Arbeit von Organisationen in der Seenotrettung bewusst behindert, wenn nicht gar kriminalisiert", kritisiert van der Velden. "Diese Politik hat Tausende von Männern, Frauen und Kindern dem Ertrinken an Europas Südgrenze überlassen."
Ärzte ohne Grenzen fordert ein Ende der EU-Unterstützung für die libysche Küstenwache sowie der zwangsweisen Rückführung von Menschen nach Libyen. "Wir werden angesichts dieser menschengemachten Katastrophe nicht schweigen", sagt van der Velden. "Die Unterstützung des Geschäfts mit dem Leid durch die EU muss sofort aufhören. Die europäischen Mitgliedsstaaten müssen sicherstellen, dass ein engagierter, proaktiver, staatlich geführter Such- und Rettungsmechanismus im zentralen Mittelmeer wieder in Gang gesetzt wird."
Seit 50 Jahren leistet Ärzte ohne Grenzen humanitäre und medizinische Nothilfe für Menschen in Krisenregionen. Jetzt fährt Ärzte ohne Grenzen wieder auf See, um den humanitären Imperativ zu erfüllen, Menschenleben zu retten.
Seit Jahresbeginn bis zum 13. Mai erreichten fast 13.000 Menschen die italienische Küste. Mindestens 555 starben bei dem Versuch der Überfahrt oder werden vermisst. In der gleichen Zeit wurden mehr als 7000 Geflüchtete und Migrant*innen von der durch die EU-unterstützten libyschen Küstenwache abgefangen und gewaltsam nach Libyen zurückgebracht.
Seit Ärzte ohne Grenzen 2015 mit der Seenotrettung begonnen hat, waren medizinische Teams von Ärzte ohne Grenzen an Bord von sieben Schiffen tätig. Teilweise hat die medizinische Nothilfeorganisation die Schiffe mit anderen Organisationen gemeinsam betrieben. Insgesamt waren Mitarbeitende von Ärzte ohne Grenzen an 682 Such- und Rettungseinsätzen beteiligt und hat mehr als 81.000 Menschen versorgt. Ärzte ohne Grenzen hat die M/V Geo Barents von Uksnøy & Co AS gechartert. Sie wurde 2007 gebaut. Das Schiff segelt unter norwegischer Flagge.
Die Geo Barents wurde entsprechend den Erfordernissen von Such- und Rettungseinsätzen umgebaut. Das Schiff hat eine Länge von 76,95 Metern. Es hat zwei Decks für Überlebende, eines für Männer und eines für Frauen und Kinder. An Bord befindet sich eine Klinik, ein Zimmer für gynäkologische Untersuchungen durch eine Hebamme und ein Beobachtungsraum für alle medizinischen Aktivitäten. Es gibt zwei schnelle Festrumpfschlauchboote (RHIBS), mit denen Rettungseinsätze durchgeführt werden können.