Ärzte ohne Grenzen: 2015 mehr als 20.000 Flüchtlinge aus Seenot gerettet - Rettungseinsatz im zentralen Mittelmeer beendet
Teams von Ärzte ohne Grenzen haben im Jahr 2015 auf drei Schiffen insgesamt 20.129 Menschen im zentralen Mittelmeer aus Seenot gerettet und nach Italien gebracht. Das letzte noch im Einsatz befindliche Schiff, die Bourbon Argos, ist am 30. Dezember zum letzten Mal in den Hafen zurückgekehrt und beendet nun den Einsatz. Die Seenotrettung von Ärzte ohne Grenzen auf den griechischen Inseln der Ägäis wird jedoch fortgeführt.
Aufgrund der aktuellen Witterungsverhältnisse überqueren derzeit weniger Menschen das Mittelmeer auf der Route von Libyen Richtung Italien. Deshalb geht Ärzte ohne Grenzen davon aus, dass derzeit ausreichend Kapazitäten zur Seenotrettung vorhanden sind. Die Organisation fordert aber die EU-Behörden erneut dazu auf, ausreichende Ressourcen für Rettungseinsätze zur Verfügung zu stellen, um weitere Tragödien in den kommenden Monaten zu verhindern, wenn wieder mehr Menschen über das Mittelmeer kommen werden.
Im Mai 2015 begann Ärzte ohne Grenzen auf einem ersten Schiff an Rettungseinsätzen teilzunehmen, anschließend kam die Arbeit auf zwei weiteren Rettungsschiffen vor der libyschen Küste hinzu. Als erstes startete die „MY Phoenix“, die zusammen mit der Organisation MOAS (Migrant Offshore Aid Station) betrieben wurde. Im Oktober beendete MOAS die Kooperation, um die „MY Phoenix“ anderswo zur Seenotrettung einzusetzen. Die „Bourbon Argos“, die von Ärzte ohne Grenzen gechartert wurde, ist seit Mai im Einsatz. Im Juni nahm die „Dignity I“, ein Schiff, das der Organisation gehört, die Seenotrettung auf. Die „Dignity I“ hat im November für Instandsetzungsarbeiten einen Hafen angelaufen.
Acht Monate lang mehr als 80 Menschen pro Tag aus Seenot gerettet
Die Teams haben in den acht Monaten 120 einzelne Rettungseinsätze durchgeführt, bei denen die Menschen aus überfüllten Booten an Bord genommen wurden. Auf den Schiffen wurden die Menschen medizinisch behandelt und mit Nahrung und Hilfsgütern wie Decken versorgt. Notfälle wurden nach Italien evakuiert. Neben den 20.129 Personen, die direkt aus überfüllten Booten gerettet wurden, haben die Schiffe auch mehrere tausend Menschen nach Italien gebracht, die zuvor von anderen Schiffen an Bord genommen worden waren. Insgesamt haben die Teams so mehr als 23.000 Menschen unterstützt.
„Keiner der Menschen, die wir von seeuntüchtigen Booten gerettet haben, hätte es wohl ohne fremde Hilfe geschafft“, erklärt Stefano Argenziano, Projektleiter von Ärzte ohne Grenzen auf der „Bourbon Argos“. „Eine ausreichende Seenotrettung ist notwendig, um Menschenleben zu retten. Aber wir sind Ärzte, und Seenotrettung sollte eigentlich nicht unser Job sein. Wir hoffen sehr, dass die von der EU dann zur Verfügung gestellten Kapazitäten 2016 ausreichen werden und unsere Boote nicht mehr gebraucht werden.“
Organisation bleibt in Einsatzbereitschaft
Trotzdem bleibt die Organisation in Einsatzbereitschaft, sollte es der EU und ihren Mitgliedsstaaten nicht gelingen, das Leben Tausender Männer, Frauen und Kinder zu schützen, die voraussichtlich in den kommenden Monaten aus dem Norden Afrikas nach Europa fliehen werden.
Bereits im Mai 2015, als das erste Rettungsschiff von Ärzte ohne Grenzen auslief, betonte Ärzte ohne Grenzen, dass permanente Rettungseinsätze nicht die Lösung für die Flucht über das Meer sind. Seenotrettung ist eine Akutmaßnahme, um den Verlust von Menschenleben zu verhindern. Ihre Notwendigkeit ist eine Folge der restriktiven Grenzpolitik, die Schutzsuchende aufs Meer zwingt. Trotz der verstärkten Rettungsmaßnahmen war das vergangene Jahr das bisher tödlichste im Mittelmeer: Nach offiziellen Zahlen sind 3.771 Männer, Frauen und Kinder vor Europas Küsten ertrunken oder werden vermisst. Die tatsächliche Zahl dürfte weitaus höher liegen.
Politik muss legale und sichere Wege in die EU schaffen
„Es ist absolut notwendig, dass die EU und ihre Mitgliedsstaaten Ressourcen zur Seenotrettung zur Verfügung stellen, die sofort auf einen Notruf reagieren“, sagt Brice de la Vingne, Leiter der Projektabteilung von Ärzte ohne Grenzen in Brüssel. „Rettungseinsätze können den Verlust von Menschenleben auf hoher See aber nicht gänzlich verhindern. Das kann nur eine Politik, die legale und sichere Wege in die EU ermöglicht. Dann wären die Menschen nicht mehr auf Schlepper angewiesen und müssten nicht mehr in übervolle Schlauchboote und Holzboote steigen, um Europas Küsten zu erreichen.“
In der Ägäis ist Ärzte ohne Grenzen weiterhin im Einsatz. Dort hat die Organisation mit Greenpeace Ende November eine gemeinsame Rettungsaktion für Flüchtlinge entlang der gefährlichen Seegrenze zwischen der Türkei und Griechenland gestartet.