Dringend gebraucht: Psychologische Hilfe für junge Menschen auf dem afrikanischen Kontinent
Auf dem afrikanischen Kontinent haben weniger als 20 Prozent der Menschen Zugang zu psychologischer Hilfe. Es gibt kaum Psychologen, und auf 1.000.000 Menschen kommt nur ein Psychiater. Gleichzeitig lebt dort die weltweit jüngste Bevölkerung. Es sind also auch sehr viele jungen Menschen, die in verschiedenen Ländern mit gewalttätigen Konflikten Erfahrungen mit Flucht und Gewalt machen müssen. Die damit einhergehenden psychischen Folgen sind nicht zu unterschätzen, und es fehlt an Hilfsangeboten, diesen zu begegnen. Wir sollten uns diese Situation bewusst machen und sie Blick haben. Denn wenn sie keine Unterstützung bekommen, wird sich die Lage vieler junger Afrikaner und Afrikanerinnen verschlechtern und sich auf ihr Leben als Erwachsene auswirken. Ärzte ohne Grenzen versucht daher, ihnen zu helfen.
Die Anzahl psychischer Erkrankungen steigt, wenn es zu Naturkatastrophen oder anderen Krisen wie gewalttätigen Auseinandersetzungen kommt. Das belegen Daten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR). Dann erhöht sich der Bevölkerungsanteil von Menschen mit leichten oder mittelschweren psychischen Beeinträchtigungen von 10 Prozent auf 15 - 20 Prozent und der Anteil von Menschen mit schweren psychischen Beeinträchtigungen von 2 - 3 auf 3 - 4 Prozent.
In vielen Regionen des afrikanischen Kontinents mangelt es nicht nur an Ressourcen und Einrichtungen, die psychologische Hilfe für von Krisen und Gewalt Betroffene anbieten können, sondern auch an Wissen über seelische Probleme und ihre Auswirkungen. Die Menschen begegnen entsprechenden Symptomen mit traditionell in ihren Gesellschaften verankerten Lösungsstrategien.
Psychische Probleme im Kindesalter können ernsthafte Langzeitfolgen haben
Junge Menschen können psychische Probleme zwar oftmals schneller als Erwachsene überwinden. Aber dafür benötigen sie ausreichend Unterstützung von Eltern und Bezugspersonen. Bei Bedarf müssen sie auch psychologische Unterstützung in Anspruch nehmen können. "Wenn Kinder solche Bedingungen nicht vorfinden, können psychische Probleme ihren Entwicklungsprozess beeinträchtigen und ernste Langzeitfolgen haben“, sagt unsere psychologische Beraterin Cristina Carreño Glaría. „In Krisenzeiten müssen wir vor allem Kindern und Jugendlichen dabei helfen, schwierige Lebenslagen und schmerzhafte Erlebnisse erfolgreich zu bewältigen.“ Aber wenn es darum geht, Hilfe zu organisieren, fallen gerade junge Menschen oft durchs Raster. Es mangelt insbesondere an Zahlen über psychische Beschwerden bei Kindern und Jugendlichen.
Wir unterstützen auch Eltern und Bezugspersonen
Vielen Kindern und Jugendlichen fällt es nicht leicht, ihre Empfindungen differenziert darzustellen, und es gelingt ihnen im Allgemeinen weniger gut als Erwachsenen, ihre aktuelle Lebenssituation realistisch einzuschätzen. Ohne Unterstützung ist es für viele Eltern und Bezugspersonen eine gewaltige Herausforderung, die psychischen Probleme ihrer Kinder zu erkennen und damit umzugehen.
Darum ist es uns wichtig, Hilfe für sie in unseren psychosozialen Angeboten für Kinder und Jugendliche mitzudenken. Wir unterstützen sie dabei, psychische Probleme zu erkennen und bieten geschützte Räume an, in denen Eltern und Bezugspersonen sich austauschen können. Ein Beispiel dafür ist unser Programm in der Region um den Tschad-See. Dort reichen die Auswirkungen des Konflikts zwischen bewaffneten Gruppen und der Armee in Nigeria bis in die Länder Tschad, Kamerun und Niger. Wir haben daher in unseren Projekten der Region 30 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die sich um psychosoziale Hilfe für Opfer von Gewalt und Vertreibung kümmern. In der Region Diffa in Niger geht das Konzept bis in die Gemeindeebene hinein: Dort haben wir neun Beauftragte für psychosoziale Hilfe trainiert. Außerdem haben wir 100 Gemeindearbeiter und –arbeiterinnen darin geschult, Symptome psychischer Probleme bei jungen Menschen zu erkennen.
Ephraim: Vom Hilfsbedürftigen zum Helfer
Die Geschichte von Ephraim ist ein Beispiel dafür, wie wichtig die Unterstützung für junge Menschen ist: Er suchte Hilfe im Zentrum für psychische Gesundheit im Flüchtlingslager Hitsats im Norden Äthiopiens, wo wir arbeiten. Im Alter von 14 Jahren floh er das erste Mal aus Eritrea nach Äthiopien. Wie viele andere wollte er dem bevorstehenden Militärdienst auf unbestimmte Zeit entfliehen, der allen Eritreern vom repressiven Regime auferlegt wird. Doch auf seiner Reise wurde er gefangen genommen, eingesperrt und geschlagen. Dann wurde er nach Eritrea zurückgeschickt, wo er krank wurde. Starke Stresszustände belasteten ihn, und er hatte wiederkehrende Alpträume. Ephraim nahm keine Nahrung mehr zu sich und isolierte sich sozial. Schließlich informierte das Militär seine Mutter Afu.
"Meine Mutter hat mich für sieben Tage ans heilige Wasser gebracht.* Es wurde aber nicht besser. Zwei Wochen lang war meine Mutter da. Danach habe ich wieder versucht, nach Äthiopien zu kommen." Ephraim hat drei Jahre gebraucht, um nach Äthiopien zu gelangen. Er kam fast ohne Gepäck. Dafür trug er schwer an der Last seiner Ängste und einer posttraumatischen Belastungsstörung – die Folge von Folter, Gewalt und Misshandlungen, die er in den zurückliegenden Jahren erlitten hatte.
Nach seiner Behandlung nahm er eine Stelle bei uns an, um anderen Flüchtlingen aus Eritrea bei der Bewältigung psychischer Probleme zu helfen.
*traditionelles Mittel gegen seelische Probleme