EU-Staaten dürfen Covid-19 nicht zur Behinderung der Seenotrettung instrumentalisieren
Ärzte ohne Grenzen fordert die europäischen Staaten dringend auf, die Behinderung privater Seenotrettungsorganisationen zu beenden und die Coronavirus-Pandemie nicht länger als Vorwand zur Sabotage lebensrettender Hilfe auf dem Mittelmeer zu missbrauchen. Am Osterwochenende hatten Malta und Italien mehreren Flüchtlingsbooten mit Hunderten Menschen in Lebensgefahr mit Verweis auf Covid-19 Hilfe verweigert. Mindestens fünf Leichen wurden geborgen und sieben weitere Menschen werden vermisst. Der Verbleib eines Bootes ist unklar.
„Als medizinische humanitäre Nothilfeorganisation, die auch in Europa im Einsatz gegen Covid-19 ist, ist sich Ärzte ohne Grenzen der ernsten Herausforderungen durch die Pandemie bewusst“, sagt Annemarie Loof, Leiterin des Seenotrettungseinsatzes von Ärzte ohne Grenzen in Amsterdam. „Aber die Sorge um die Gesundheit der Menschen an Land darf nicht gegen die Verpflichtung ausgespielt werden, Menschenleben auf See zu retten.“
„Die Entscheidung von Italien und Malta, ihre Häfen zu schließen, sowie die Aufforderung Deutschlands an NGOs, ihre Seenotrettung einzustellen, sind diskriminierend und unverhältnismäßig. Im besten Fall sind dies Entscheidungen, die auf ungenügenden Informationen basieren. Im schlechtesten Fall ist dies ein kalkulierter und zynischer Missbrauch von Sorgen um die öffentliche Gesundheit, um lebensrettende Hilfe zu verhindern. Europa schließt die Tür für Menschen, die verzweifelt Schutz suchen. Die europäischen Staaten lassen Schutzbedürftige vor den Küsten Europas sterben.“
Ende der Zusammenarbeit von Ärzte ohne Grenzen und SOS Méditerranée
Trotz der unbestreitbaren Notwendigkeit von Seenotrettung entziehen sich die europäischen Staaten weiterhin ihrer Verantwortung und behindern die Aktivitäten der NGOs. Daraus resultiert eine Atmosphäre von Feindseligkeit und Unsicherheit, die alle Bemühungen lähmt, die von den Regierungen verursachte Lücke zu schließen. Obwohl das Schiff und die Teams an Bord einsatzbereit wären, hat die Pandemie die Hindernisse für private Seenotrettung so verstärkt, dass sich Ärzte ohne Grenzen und SOS Méditerranée außerstande sehen, eine gemeinsame Grundlage für weitere Seenotrettungseinsätze zu finden.
„Obwohl sich Ärzte ohne Grenzen und SOS Méditerranée darin einig sind, wie wichtig unsere lebensrettende Arbeit auf See ist, ist SOS Méditerranée der Ansicht, dass es vor dem Auslaufen weitere Zusicherungen der EU-Staaten über sichere Häfen geben müsse. Für Ärzte ohne Grenzen ist es ein humanitärer Imperativ, sofort zu handeln, mit oder ohne solche Zusicherungen. Wir können nicht mit einem voll einsatzfähigen Rettungsschiff vom Hafen aus zusehen, wie Menschen weiterhin aus Libyen fliehen und zu ertrinken drohen. Daher hat Ärzte ohne Grenzen die sehr schwierige Entscheidung getroffen, die Partnerschaft mit SOS Méditerranée zu beenden”, sagt Loof.
Die europäischen Staaten müssen die Verantwortung für die humanitäre Krise auf dem Mittelmeer übernehmen, die sie noch verstärkt haben, indem sie die Rettungskapazitäten der wenigen noch aktiven Seenotretter durch extreme Restriktionen weiter eingeschränkt haben. Sie müssen weiterem Sterben und Leid ein Ende setzen, indem sie wieder eigene Such- und Rettungsaktivitäten starten und die Finanzierung und Unterstützung der libyschen Küstenwache sowie das gewaltsame Zurückbringen von Menschen nach Libyen stoppen. Nachdem alle Mechanismen ausgesetzt wurden, mit denen Flüchtlinge und Migranten aus dem Konfliktgebiet in Libyen in Sicherheit gebracht werden können, haben diese keinerlei Fluchtalternativen als den Weg über das Mittelmeer.
Die Partnerschaft von Ärzte ohne Grenzen und SOS Méditerranée begann 2016. Gemeinsam haben die beiden Organisationen mit zwei Rettungsschiffen, der Aquarius und der Ocean Viking, mehr als 30.000 Menschen gerettet und versorgt. Ärzte ohne Grenzen setzt die Arbeit für Geflüchtete in Libyen fort und ist derzeit in mehr als 50 Ländern weltweit – inklusive Europas und Afrikas – gegen die Covid-19-Pandemie im Einsatz.