EU-Gipfel: EU-Abschottungspolitik gefährdet Menschenleben
Beim EU-Gipfel in Brüssel beraten die Staats- und Regierungschefs über so genannte Migrationspartnerschaften mit afrikanischen und asiatischen Staaten, die Flucht und Migration nach Europa eindämmen sollen.
Dazu erklärt Florian Westphal, Geschäftsführer von Ärzte ohne Grenzen in Deutschland:
"Wir lehnen die so genannten Migrationspartnerschaften ab. Mit diesen Deals versucht die EU, Ursprungs- und Transitstaaten von Schutzsuchenden mit Zuckerbrot und Peitsche dazu zu bringen, Menschen an der Flucht zu hindern. Es ist völlig inakzeptabel, dass die EU in diesem Rahmen humanitäre Hilfe von politischem Wohlverhalten abhängig macht: Nur wer kooperiert, bekommt Unterstützung. Damit verstoßen die Staats- und Regierungschefs gegen ihre eigenen Grundsätze, die sie im "Europäischen Konsens über die humanitäre Hilfe" niedergelegt haben. Die Bundesregierung verstößt damit auch gegen ihren eigenen Koalitionsvertrag, in dem diese Prinzipien auf Seite 180 festgeschrieben werden. Humanitäre Hilfe muss sich einzig und allein an den Bedürfnissen der Menschen orientieren.
Mit dem EU-Türkei-Deal und ihrem Einsatz für den Valletta-Prozess ist Bundeskanzlerin Merkel zur Vorreiterin der Abschottung Europas geworden - mit verheerenden Folgen. Durch einen Dominoeffekt geschlossener Grenzen trägt die deutsche Politik dazu bei, dass Schutzsuchende oft nicht einmal mehr aus Kriegs- und Konfliktgebieten fliehen können. Hunderttausende sitzen derzeit in Syrien an den Grenzen zur Türkei und zu Jordanien fest, zum Teil unter furchtbaren Bedingungen bei Minusgraden in Zelten oder mitten in der Wüste. Selbst unsere Teams können sie dort nur eingeschränkt versorgen. 2016 ist auch durch die Politik der Bundesregierung zu einem entsetzlichen Jahr für Schutzsuchende geworden. Das Recht, vor Gewalt zu fliehen, gilt nicht mehr viel.
Auch die erste Sammelabschiebung am Mittwoch von Frankfurt nach Kabul auf der Grundlage des EU-Deals mit der afghanischen Regierung setzt Flüchtlinge aus einem Land im Krieg großen Risiken aus. Die Zahl der verwundeten Zivilisten in Afghanistan ist nach Angaben der UN-Mission UNAMA in den vergangenen Jahren stetig gestiegen. Mehr als 3.500 Zivilisten wurden im vergangenen Jahr getötet. Darunter befinden sich 14 unserer Mitarbeiter und 28 Patienten und ihre Begleitpersonen, die die US-Luftwaffe beim Bombardement unserer Klinik in Kundus am 3. Oktober 2015 getötet hat. Für unsere Teams ist Afghanistan wegen der prekären Sicherheitslage eines der schwierigsten Einsatzländer. Sie vermeiden jedes unnötige Verlassen unserer Einrichtungen. Auch der Zugang zu ausreichender Gesundheitsversorgung ist in weiten Teilen Afghanistans nicht gewährleistet. Unsere zerstörte Klinik in Kundus war etwa die einzige Klinik im Norden Afghanistans, in der kompliziertere Operationen durchgeführt werden konnten."