Es brannte überall, wohin wir sahen
Als das Camp in Moria brannte, brannte es überall, wohin wir sahen. Wir waren mittendrin, also rannten wir einfach in die Berge, um uns zu schützen. Nach den Bränden waren wir etwa zehn Tage lang obdachlos auf der Straße. Wir hatten nichts zu essen und kein Wasser.
Mariam*, eine Frau aus Afghanistan,
die seit zwei Jahren auf Lesbos lebt
Vor einem Jahr
Am 08. und 09. September 2020 brannte das berüchtigte Geflüchtetencamp Moria bis auf die Grundmauern nieder. Ein symbolischer Moment, der zeigte: das EU-Hotspot-Konzept auf den griechischen Inseln ist völlig gescheitert. Ein Jahr nach den Versprechungen der EU, einen Neubeginn in der Migrationsfrage zu wagen, verweigern europäische und griechische Politiker*innen schutzsuchenden Menschen weiterhin ihre grundlegenden Rechte und ihre Würde. Stattdessen treiben sie einen abscheulichen Plan voran: Auf den fünf Inseln der Nordägäis gefängnisähnliche Lager zu errichten.
Es gibt keinen Unterschied zwischen dem alten Lager in Moria und dem neuen Kara Tepe. Die Verfahren sind die gleichen. Das System ist das gleiche. Als kranker Mensch geht es mir von Tag zu Tag schlechter. Das Europäische Parlament, die Europäische Union, sie alle wissen, was in diesem beschämenden Lager vor sich geht, aber niemand scheint es nachempfinden zu können.
Ali*, Überlebender von Folter in Syrien,
Überlebender auf Lesbos seit 18 Monaten
Meine Tochter war noch nie in einem Park
"Wir befinden uns in einem schlechten psychischen Zustand. Im Moment weiß ich nicht, ob unser Asylgesuch anerkannt wird oder ob wir eine weitere Ablehnung erhalten werden", erzählt Mariam*, Mutter eines zweijährigen Mädchens aus Afghanistan, die bereits zwei Jahre auf Lesbos verbracht hat.
Bis jetzt war meine Tochter noch nie in einem Park. Wir haben Probleme, eine Erlaubnis zu bekommen, das Lager zu verlassen. Mein kleines Mädchen neigt aufgrund dessen, was sie hier erlebt hat, zu aggressiven Verhaltensweisen. Sie spielt nicht gerne, lacht nicht gerne, spricht nicht gerne und spielt nicht gerne mit Puppen.
Unsere Patient*innen berichten immer wieder von der Hölle auf den Inseln: Keine Privatspähre, kein warmes Wasser, kein Strom, keine Heizung, kein Zugang zu Bildung, katastrophale Sanitäreinrichtungen und beschränkte Bewegungsfreiheit. Die willkürlichen und beschleunigten Asylverfahren, die Angst vor Abschiebung und die prekären Lebensbedingungen tragen zur Verschlechterung ihrer Gesundheit sowie psychischen Verfassung bei.
Von einem Gefängnis ins nächste
"In Griechenland sieht die Zukunft schlimmer denn je aus: Diejenigen, die es über das Meer schaffen, müssen weiterhin in elenden Lagern auf den griechischen Inseln leben. Es ist eine tragische Ironie, dass die EU und Griechenland, während die Welt die jüngsten Entwicklungen in Afghanistan beobachtet, auf der Insel Samos ein neues gefängnisähnliches Zentrum für Flüchtlinge einweihen. Dies ist der beste Beweis für die Grausamkeit der EU Migrationspolitik", erklärt Konstantinos Psykakos, unser Landeskoordinator in Griechenland. “Viele Menschen berichten uns aktuell, dass sie nur von einem Gefängnis ins nächste verlegt werden.”
Hälfte aller Kinder hat posttraumatische Belastungsstörungen
Kinder, die in unserer Klinik auf Lesbos psychosoziale Unterstützung suchen, zeigen häufig regressive Verhaltensweisen wie Aggression und Rückzug oder weisen Verzögerungen in der kognitiven, emotionalen und sozialen Entwicklung auf. Menschen, die ein schweres Trauma erlebt haben, haben Schwierigkeiten, ihre sehr belastenden Erinnerungen zu verarbeiten, und bleiben die meiste Zeit über ängstlich. Posttraumatische Belastungsstörungen und depressive Störungen gehören zu den vorherrschenden Symptomen, die von unseren Ärzt*innen bei mehr als 50 Prozent der Patient*innen auftreten - bei Erwachsenen sowohl als auch bei Kindern.
Forderung an Griechenland und die EU
Unsere Expertin für Flucht und Migration beschreibt die Situation auf den griechischen Inseln sowie unsere Forderungen an die neue Bundesregierung: Sie haben die Pflicht, eine Politik zu verfolgen, die sich auf den Schutz und die Unterstützung von Geflüchteten und Asylbewerber*innen konzentriert, anstatt diejenigen, die in Europa Sicherheit und Schutz suchen, abzuschrecken, zu stoppen und abzuschieben. Alle Einrichtungen auf den griechischen Inseln müssen einzig und allein dem Zweck dienen, dringend notwendige Hilfe zu leisten und die Umsiedlung neu ankommender Geflüchteter in sichere Aufnahmestrukturen in ganz Europa zu erleichtern.
Dies beginnt damit, dass auf den griechischen Inseln keine Zentren gebaut werden, in denen Menschen wie in Gefängnissen gefangen gehalten werden, sondern dass man sich auf eine humane und menschenwürdige Aufnahmepolitik konzentriert.