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Überfüllt, eng und baufällig - Informelle Siedlungen in Mumbai

Mit mehr als fünf Millionen Infizierten ist Indien eines der am stärksten von Covid-19 betroffenen Länder weltweit, wovon ein Viertel aller Fälle auf den Bundesstaat Maharashtra entfällt. Die wirtschaftlich starke Hauptstadt Mumbai ist dicht besiedelt und zieht Menschen aus ländlichen Gebieten an, die Arbeit suchen. Doch viele von ihnen leben in informellen Siedlungen, in denen die Wohnungen eng und in schlechtem Zustand sind. Dabei ist die Schwierigkeit des Einhaltens von Abstandsregeln nur ein Beispiel für die zahlreichen Herausforderungen, mit denen unsere Teams während ihres Einsatzes gegen Covid-19 konfrontiert sind.

In den ärmeren Stadtteilen von Mumbai mangelt es oft an essentieller Infrastruktur wie Wasserleitungen, angemessenen Toiletten und einer funktionierenden Müllabfuhr. Die Siedlungen sind überfüllt, oft leben fünf oder sechs Menschen in einem Raum mit weniger als zehn Quadratmetern. Im Viertel M-East, wo die Einhaltung von Abstandsregeln und die Prävention von Covid-19 besonders schwer umzusetzen sind, haben unsere Teams Anfang Juni ihre Arbeit aufgenommen. 

HIV, Tuberkulose und jetzt Covid-19: Eine dreifache Tragödie

„Als mir gesagt wurde, dass ich positiv auf Covid-19 getestet wurde, wurde ich panisch", sagt die 25-jährige Radha*, die im von uns unterstützten Covid-19-Zentrum behandelt wurde. „Ich hatte große Angst, weil ich wusste, was die Menschen durchmachen, wenn sie ein positives Testergebnis bekommen. Meine Mutter weinte. Als meine Nachbarn hörten, dass ich positiv getestet wurde, sprachen sie nicht mehr mit mir und meiner Familie. Sie schlossen ihre Türen. Sie dachten, dass sie sich meinetwegen anstecken würden. Wenn sie mich sahen, gingen sie mir aus dem Weg."

Doch die Menschen haben nicht nur Angst vor der Covid-19-Pandemie. Seit 2006 behandeln wir in Mumbai Patient*innen, die an resistenter Tuberkulose und komplizierten Formen von HIV leiden. „Die meisten unserer 256 TB-Patient*innen kommen aus den Armenvierteln, in denen wegen der schlechten Lebensbedingungen das Erkrankungsrisiko hoch ist", sagt Dr. Hemant Sharma, Koordinator unserer Covid-19-Projektgruppe in Mumbai. „Jahrzehntelang haben die beiden großen Epidemien Tuberkulose und HIV zur Ausgrenzung der Infizierten geführt. Wenn Covid-19 sich in dieser Gemeinschaft etabliert, kommt es zu einer dreifachen Tragödie, deren Ausbreitung wir gemeinsam rasch eindämmen müssen."

Falschnachrichten verstärken die ohnehin schwierige Situation

Die ohnehin schutzbedürftigen Hunderttausenden Arbeiter*innen, die von der Hand in den Mund leben, verlieren aufgrund der Ausgangssperren und Lockdowns ihre Existenzgrundlage und geraten somit in eine noch größere Notlage. Das Stigma, das denjenigen anhaftet, die positiv auf Covid-19 getestet werden und die Verbreitung von Falschnachrichten erschweren darüber hinaus die Eindämmung der Pandemie: „Aus Angst vor Stigmatisierung lassen sich viele nicht testen, selbst wenn sie Symptome haben“, sagt Santosh Choure, der unsere Gesundheitsberatungsteams in Mumbai leitet. „Wegen Falschinformationen auf WhatsApp leugnen viele die Existenz der Pandemie in dem Glauben, dass Krankenhäuser und die Pharmaindustrie damit Geld verdienen. Andere denken, dass die Körperteile von Patient*innen entfernt werden.“ 

Gemeinsam gegen Covid-19

Trotz der zahlreichen Schwierigkeiten konnten wir gemeinsam mit dem Gesundheitsministerium schnell auf die Pandemie reagieren und richteten Screening-, Test- und Behandlungsstationen ein, um die Zahl der Neuinfektionen und Todesfälle zu senken. „Wir stellten den Bewohner*innen von M-East kostenlos Gesichtsmasken, Seife und Hygienesets zur Verfügung und ermöglichten eine stationäre Behandlung von Patient*innen, die positiv auf Covid-19 getestet wurden, um spezialisierte Covid-19-Zentren zu entlasten", sagt Dr. Sharma. „Um die Behandlungsergebnisse für Patient*innen in einem kritischen Zustand mit vereinfachten Techniken zu verbessern, installierten wir auch fünf leistungsfähige nasale Sauerstoffgeräte.“

Angesichts der Gefahr einer zweiten, stärkeren Covid-19-Welle glaubt Radha*, dass die Bekämpfung von Falschinformationen sowie schnellere Investitionen in die Forschung, die Produktion und die gerechte Verteilung eines Covid-19-Impfstoffs notwendig sind. Doch darüber hinaus zählt aus ihrer Sicht vor allem Solidarität: „Hier geht es nicht um den Kampf einer einzelnen Person, doch wir neigen dazu, das zu vergessen.“ 

*zum Schutz der Patientin nennen wir in diesem Text nur ihren Vornamen.

Ärzte ohne Grenzen in Indien

Ärzte ohne Grenzen arbeitet in Indien mit schutzbedürftigen Gemeinschaften in neun Bundesstaaten und Unionsterritorien zusammen: Manipur, Maharashtra, Jharkhand, Jammu und Kaschmir, Bihar, Andhra Pradesh, Chhattisgarh, Telangana und Delhi. Wir behandeln arzneimittelresistente Tuberkulose (DR-TB), fortgeschrittenes HIV und andere Infektionskrankheiten. Darüber hinaus bieten wir Ernährungstherapie, psychologische Unterstützung und Betreuung von Überlebenden sexualisierter Gewalt an. 

In Mumbai behandeln wir komplizierte Formen von resistenter Tuberkulose und HIV an vier verschiedenen Standorten und verstärken unter anderem auch die diagnostischen Kapazitäten des staatlichen Tuberkulose- und resistente Tuberkulose-Referenzlabors am Jamsetjee Jeejebhoy-Krankenhaus.