Innovationen – wie neue Technologien und kreative Lösungen unsere Hilfe in Krisengebieten verbessern
Bereits Ende der 80er Jahre entwickelten wir spezielle Notfall-Kits, fertig abgepackte Pakete, die auf einen bestimmten Hilfsbedarf zugeschnitten sind und heute von vielen anderen Organisationen eingesetzt werden. Heute kommen Innovationen vielfach aus dem Bereich der Informationstechnologien: Mittels Videos und Fotos können Hilfslieferungen besser geplant und Gebäudesanierungen vorbereitet werden. Telemedizin hilft bei der Krisenversorgung von Patienten und Geo-Daten tragen dazu bei, Orte in abgelegenen Gebieten zu finden oder zu prognostizieren, wie viel Menschen in einer Region Hilfe benötigen. Erfahren Sie, wie wir solche Technologien einsetzen, um unseren Patienten noch besser und schneller zu helfen – auch in Situationen, in denen wir selbst aus Sicherheitsgründen nicht vor Ort sein können.
Als Ärzte ohne Grenzen im vergangenen Herbst begann, das Krankenhaus in Razeh zu unterstützen, waren Handyvideos das Einzige, was das Team von der kleinen Einrichtung zu Gesicht bekam. Razeh liegt im Nordjemen und wurde bei den Kämpfen immer wieder bombardiert. Auch das Krankenhaus wurde beschädigt. Entsprechend groß war der Bedarf an medizinischer Hilfe – aber auch das Risiko für Helfer und Helferinnen. „Anfangs dachten wir noch, dass wir dem Krankenhaus zumindest kurze Besuche abstatten könnten. Aber das war aus Sicherheitsgründen einfach nicht möglich“, berichtet die Krankenschwester Vera Schmitz. Deshalb begann ihr Team, das Krankenhaus aus der Entfernung zu unterstützen: „Wir schickten aus der Stadt Saada, die etwa fünf Autostunden entfernt liegt, Material zur Reparatur des beschädigten Gebäudes, lieferten Medikamente und organisierten Schulungen für das Personal.“
Wichtige Informationen von Satellitenbildern
Hier kommen die Videos ins Spiel: Da das Team selbst nicht vor Ort sein konnte, hielt ein einheimischer Mitarbeiter die internationalen Helfer und Helferinnen auf dem Laufenden. Er machte Videos und Fotos von den Schäden, von den Hilfslieferungen und von den Reparaturen. So wussten Vera Schmitz und das Team in Saada stets, was gerade benötigt wurde. Das Handy spielte auch für Krankentransporte eine wichtige Rolle: Musste ein Patient überstellt werden, wurde das z. B. per SMS organisiert. Die Verwendung von Handyvideos mag banal klingen; es sind aber technische Errungenschaften wie diese, die für die Nothilfe in Krisengebieten einen großen Unterschied ausmachen können. An einer dieser Innovationen ist Edith Rogenhofer, Mitarbeiterin der Programmabteilung von Ärzte ohne Grenzen Österreich beteiligt: Gemeinsam mit dem Fachbereich für Geoinformatik der Universität Salzburg hat sie Anwendungen entwickelt, die Analysen von Flüchtlingslagern aus dem Weltall ermöglichen. Mit Satellitenbildern und spezieller Software können etwa die Zelte gezählt und so die Bevölkerung berechnet werden – „eine wichtige Information für die Einsatzteams, um die Hilfe zu planen“, sagt Rogenhofer. Die technischen Möglichkeiten gehen sogar so weit, dass man mittels Fernerkundung die Suche nach geeigneten Wasserstellen unterstützen kann.
Alle Karten, die Ärzte ohne Grenzen für die Hilfseinsätze benötigt, werden im Map Center verwaltet, einer digitalen Bibliothek. Bei Bedarf fertigt ein eigenes Expertenteam mit Sitz in Genf Karten für bestimmte Zwecke und Regionen an. „Wir haben alle möglichen Karten: Manche sind relativ einfach und zeigen uns, wo wir arbeiten, wo sich die Gesundheitseinrichtungen in einer Region befinden und so weiter. Andere sind spezieller und zeigen zum Beispiel das Vorkommen bestimmter Krankheiten“, erklärt Frédéric Ham, der Leiter der Abteilung für Geoinformatik (GIS) in Genf. „Bei Krankheitsausbrüchen bekommen wir direkt von unseren Teams medizinische Informationen. Mit diesen Daten können wir thematische Karten produzieren, auf denen wir die Krankheitsfälle in den einzelnen medizinischen Einrichtungen einer Region dokumentieren. So können wir eine Epidemie in Echtzeit mitverfolgen.“ Dies ist wichtig, damit man die vorhandenen Hilfsmittel dort einsetzt, wo sie am nötigsten gebraucht werden. Künftig sollen auch Karten von Partnern und Initiativen wie dem „Missing Maps“-Projekt in das Map Center eingespeist werden.
„Mapping-Parties“ für den guten Zweck
Beim von Ärzte ohne Grenzen und anderen Organisationen initiierten „Missing Maps“-Projekt werden Regionen auf die Landkarte gesetzt, für die sich sonst nur wenige interessieren. Es gibt nämlich kaum Anreize, Karten für vergessene Krisengebiete wie etwa die Zentralafrikanische Republik herzustellen. Freiwillige übernehmen die Verantwortung für jeweils einen Abschnitt, den sie dann bearbeiten – entweder zu Hause oder auf „Mapping Parties“, auf denen Menschen gemeinsam an den Karten arbeiten. Auf dem Laptop ziehen sie Linien rund um Häuser oder entlang der Straßen. Diese grobe Karte schicken wir dann an Freiwillige oder einheimische Angestellte von Ärzte ohne Grenzen im betroffenen Gebiet. Sie gehen damit in die Gemeinden und fügen Informationen ein – Straßennamen, die Namen von Dörfern oder Vierteln und so weiter. Wir fügen noch Bezirke und administrative Grenzen ein, dann ist die Karte fertig und man kann beginnen, damit zu arbeiten.
Ein Tablet, dass trotz Ebola-Schutzkleidung bedient werden kann
Auf dem Höhepunkt der Ebola-Epidemie in Westafrika konzipierte Ärzte ohne Grenzen gemeinsam mit dem Unternehmen „Google“ einen speziellen Handcomputer; dieses „Tablet“ kann vom Personal in den Ebola-Behandlungszentren trotz Schutzausrüstung bedient werden. Ein anderes Beispiel ist eine Plattform für „E-Learning“, die es einheimischen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen in den Einsatzländern ermöglicht, per Internet an Weiterbildungen teilzunehmen. Die Beispiele zeigen: Dank innovativer Lösungen können in Krisengebieten Hürden beseitigt werden, nicht aber die Auslöser der Not. So wurde das Krankenhaus in Razeh im Nordjemen, das Ärzte ohne Grenzen so erfolgreich unterstützt hatte, Anfang Januar von einer Rakete zerstört. Sechs Menschen kamen ums Leben.
Per Telemedizin den Facharztrat einholen
Ortswechsel in ein weiteres Krisengebiet, das Ärzte ohne Grenzen schon lange beschäftigt. Die Demokratische Republik Kongo gehört zu den ärmsten Ländern der Welt. Viele Menschen haben keinen Zugang zu medizinischer Hilfe, ein chronischer Konflikt bestimmt den Alltag von Millionen. Pro Jahr führen unsere Teams hier über 1,7 Millionen Behandlungen durch. Manchmal stoßen sie an ihre Grenzen, wenn sie mit Fällen konfrontiert sind, die ihr Fachwissen übersteigen. In Deutschland würden sie einen Facharzt hinzuziehen – im Kongo ist das meist nicht möglich. Ärzte ohne Grenzen hat deshalb ein spezielles Werkzeug entwickelt: eine Onlineplattform für Telemedizin, die Teams in entlegenen Gebieten mit Fachkollegen und -kolleginnen in der ganzen Welt verbindet. Wie Telemedizin konkret funktioniert, erklärt der kanadische Arzt Raghu Venugopal in einem Videotagebuch, das er während eines Einsatzes geführt hat. Bei der Ultraschalluntersuchung einer Patientin stieß er auf verdächtige Knötchen. „Ich konnte sie nicht deuten, da ich kein Radiologe bin. Deshalb lud ich die Bilder auf die Telemedizinplattform hoch.“ Innerhalb von nur 48 Minuten antwortete ein amerikanischer Radiologe – einer der vielen Fachärzte, die Teil des Telemedizin-Netzwerks von Ärzte ohne Grenzen sind. Sein Befund: Die Knötchen seien gutartig und somit kein Grund zur Beunruhigung. „Das zeigt, wie Telemedizin Patienten in benachteiligten Regionen eine hochwertige Behandlung ermöglicht“, sagt Venugopal.
Mit 3D-Druck und virtueller Realität ein Krankenhaus konzipieren
Erstmals wurde kürzlich ein von uns nach dem Taifun Haiyan erbautes Krankenhaus digitalisiert und in 3-D –Druck nachgebildet. Anschließend wurde das in ein virtuelles Modell umgewandelt. Darin können sich Mitarbeiter durch das Krankenhaus bewegen, wie sie dies in ihrem realen Alltag wirklich tun würden. Dies hilft, die Architektur des Krankenhauses – auch mit lokalen Partnern wie den Gesundheitsministerien vor Ort - effizient zu planen. In der Zukunft werden solche Szenarien auch dafür dienen können, Personal auf ihren künftigen Einsatzort vorzubereiten bzw. Trainings durchzuführen.