„Ein Weckruf in einer vergessenen Krise“ – ein Cholera-Ausbruch inmitten eines Bürgerkrieges
Angesichts zerstörter Krankenhäuser und lebensgefährlicher Straßen ist die Epidemie im Jemen katastrophal. Mehr als 1.600 Menschen sind im ganzen Land bereits an Cholera gestorben, es gibt 269.000 Verdachtsfälle. Unsere Krankenschwester Ruth Conde erzählt von ihrem Einsatz im Krankenhaus von Abs im Norden des Landes, der am stärksten vom Ausbruch betroffen ist.
„Ich erinnere mich besonders an einen Tag: Ich bereitete gerade orale Rehydrationslösungen vor, als plötzlich sehr viele Patientinnen und Patienten zu uns kamen. Unter ihnen war ein 16-jähriges Mädchen im Schockzustand. Als sie ankam, kollabierte sie und hörte auf zu atmen. Wir schlossen sie an ein Beatmungsgerät an und führten ihr Flüssigkeit zu. Kurz danach begann sie wieder von selbst zu atmen. Am nächsten Morgen kam sie schon wieder allein zurecht. Das war eine beeindruckende Genesung.
Glücklicherweise war dies die Regel. Unsere Teams arbeiteten rund um die Uhr. Fast 99 Prozent all unserer Patientinnen und Patienten überlebten. Ohne eine zügige und angemessene Behandlung sterben bis zu 50 Prozent aller Erkrankten an Cholera. Egal ob männlich oder weiblich, alt oder jung – eine schnelle und gute Behandlung wirkt geradezu magisch. Selbst schwer kranke Patientinnen und Patienten bleiben nicht länger als vier Tage im Behandlungszentrum. Manche können wir nach wenigen Stunden wieder entlassen, wenn sie früh genug zu uns kommen und noch in der Lage sind, selbst zu trinken.
Im Mai explodierten die Fälle in Abs
Man möchte sich gar nicht vorstellen, was mit dem jungen Mädchen passiert wäre, wenn wir nicht hier gewesen wären, um ihr zu helfen. Oder wenn sie fünf Minuten später in unser Behandlungszentrum gekommen wäre.
Im Mai explodierten die Zahlen in Abs. Täglich kamen 20 bis 30 Patientinnen und Patienten zu uns, auch aus weiter entfernten Gegenden. Wir fürchteten, dass die Situation außer Kontrolle geraten könnte und verstärkten unsere Aktivitäten. In einer nahegelegenen Schule richteten wir ein zusätzliches Cholera-Behandlungszentrum ein. Dort verfügen wir zurzeit über 100 Betten und arbeiten mit 100 zusätzlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. In der Region um Abs, im Nordwesten des Landes, hat sich die Cholera am stärksten ausgebreitet. Mehr als 1.600 Menschen sind im ganzen Land bereits gestorben, 269.000 Menschen sind an Cholera erkrankt. Ende Juni kamen täglich 400 neue Patienten mit Verdacht auf Cholera zu uns.
Mehr internationale Hilfe dringend nötig
Die Menschen in Abs und im gesamten Jemen benötigen dringend mehr internationale Hilfe. Zudem sollten sich die Hilfsorganisationen untereinander besser abstimmen. Für Zehntausende Menschen ist es ein Wettlauf gegen die Zeit. Dieser Cholera-Ausbruch ist wie ein Weckruf in einer vergessenen Krise, die auch dann noch andauern wird, wenn der letzte Cholera-Patient behandelt ist. Das Gesundheitssystem in Abs ist nach mehr als zwei Kriegsjahren weitgehend zusammengebrochen. Viele Menschen sind vor Kämpfen geflohen, es fehlt an sauberem Trinkwasser und an Nahrung. Dies sind alles Voraussetzung für eine schnelle Verbreitung von Cholera.
Masern, Keuchhusten, Malaria, sehr viele Kriegsverletzte und dann: Cholera
Am Anfang trat Cholera in Abs sporadisch auf. Dennoch war uns klar, dass wir schnell handeln mussten. Wir unternahmen Erkundungen und etablierten Netzwerke in der Region. Wir spendeten medizinisches Material und schulten die Mitarbeiter der Gesundheitseinrichtungen in der Region. So wollten wir sicherstellen, dass zumindest leichte Fälle in abgelegenen Gebieten behandelt werden konnten.
Ich erinnere mich an die unglücklichen Blicke meiner Kolleginnen und Kollegen im Krankenhaus in Abs, als der erste positive Cholera-Test zurückkam. Wir waren da bereits mit Arbeit überlastet. Es gab Ausbrüche von Masern und Keuchhusten und die Zahl der Malaria-Erkrankungen war auf einem Höhepunkt. Darüber hinaus behandelten wir sehr viele Menschen mit Kriegsverletzungen. Ein Cholera-Ausbruch war das letzte, was wir gebrauchen konnten.“
Ärzte ohne Grenzen unterstützt das Krankenhaus in Abs seit 2015. Am 15. August 2016 wurde das Krankenhaus aus der Luft angegriffen. 19 Menschen starben, darunter ein Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen, und 24 Menschen wurden verletzt. Ärzte ohne Grenzen zog sich daraufhin aus etlichen Projekten im Norden des Landes zurück. Im November 2016 nahmen die Teams die Arbeit im Krankenhaus in Abs wieder auf, derzeit mit 200 jemenitischen und 12 internationalen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Sie managen die Notaufnahme, die Kinder- und Entbindungsstation sowie das Ernährungszentrum. Zudem bieten sie psychologische Beratung an und versorgen an anderen Orten die Menschen mit mobilen Teams ambulant