Gewalt im Nord- und Südwesten Kameruns: 5 Dinge, die man wissen muss
Im Schatten des seit 2014 anhaltenden Konflikts rund um den Tschadsee* hat sich in den nord- und südwestlichen Regionen Kameruns eine zweite, kaum bekannte humanitäre Krise entwickelt. Durch gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Regierungskräften und nichtstaatlichen bewaffneten Gruppen aus den englischsprachigen Bevölkerungsteilen wurden Hunderttausende Menschen vertrieben und sind dringend auf humanitäre Hilfe angewiesen.
Die Auswirkungen der Gewalt auf die Menschen im Nord- und Südwesten Kameruns sind vielfältig:
1. Hunderttausende Menschen vertrieben
530.000 Menschen wurden seit 2016 durch die zunehmende Gewalt zwischen bewaffneten Gruppierungen und den Regierungskräften vertrieben (Quelle: UN OCHA). Die Menschen fliehen vor Angriffen, körperlicher und sexualisierter Gewalt, Drohungen, Entführungen, Morden und Brandanschlägen auf ihre Dörfer. Ein Teil von ihnen lebt nun in umliegenden ländlichen Regionen unter extrem schlechten Bedingungen in provisorischen Unterkünften. Andere sind in verschiedene Städte geflohen – dort leben sie auf der Straße oder in überfüllten Unterkünften bei der einheimischen Bevölkerung unter schlechten hygienischen Bedingungen.
2. Die Menschen brauchen besonderen Schutz und Unterstützung
Die Vertreibungen haben in beiden Regionen des Landes zu einem erheblichen Bedarf an humanitärer Hilfe geführt. Wegen der großen Unsicherheit und eingeschränkten Bewegungsfreiheit können die Menschen ihre Farmen und die Märkte nicht mehr erreichen. Sie verlieren ihr Einkommen und können auch keine Lebensmittel mehr kaufen. Zudem fehlt es vielen an sauberem Wasser zum Trinken und zur Körperhygiene. Diese schlechten Lebensbedingungen setzen die Menschen einem erhöhten Krankheitsrisiko aus. Hinzu kommt, dass viele Menschen Traumatisches erlebt haben.
Die Gewalt führt auch dazu, dass die Bevölkerung Gesundheitseinrichtungen nicht mehr erreichen kann und die Versorgung mit Medikamenten und medizinischen Geräten unterbrochen ist. Zudem ist auch medizinisches Personal zur Flucht gezwungen, wodurch Gesundheitseinrichtungen geschlossen werden müssen.
3. Ärzte ohne Grenzen reagiert auf die Krise - aber der humanitäre Bedarf ist enorm
Als eine der wenigen Organisationen, die in den ländlichen Gebieten der nord- und südwestlichen Regionen Kameruns aktiv sind, konzentrieren wir uns auf die medizinische Versorgung der Vertriebenen, die unsere Unterstützung am dringendsten benötigen.
Wir unterstützen 19 Gesundheitseinrichtungen in den betroffenen Regionen dabei, den Betroffenen von Gewalt und Vertreibung eine Notfallversorgung anzubieten und sie an andere Einrichtungen zu überweisen. In Bamenda und Widikum im Nordwesten und in Buea und Kumba im Südwesten organisieren wir kostenlose, medizinische Rettungsdienste. So können wir Patientinnen und Patienten mit schlechtem Zugang zu medizinischer Versorgung auch während der Ausgangssperren in Gesundheitszentren oder Krankenhäuser bringen.
Unsere Teams betreuen auch Notfallpatientinnen und -patienten, insbesondere Schwangere und Kinder unter fünf Jahren, und verteilen Medikamente und medizinisches Material. Darüber hinaus schulen sie kamerunische Gesundheitsberater und -beraterinnen, damit sie die am häufigsten auftretenden Krankheiten wie Malaria diagnostizieren und behandeln können. Zwischen Juni 2018 und März 2019 leisteten unsere Teams mehr als 34.800 Konsultationen und behandelten 14.500 Menschen wegen Malaria. 1.280 Patientinnen und Patienten erhielten von uns eine psychosoziale Betreuung.
4. In einigen Gebieten kommt keine Hilfe an
Aufgrund der großen Unsicherheit und der eingeschränkten Bewegungsfreiheit sind Teile der betroffenen Regionen für internationale Hilfsorganisationen völlig unzugänglich. Nur wenige nationale Hilfsorganisationen haben gelegentlich Zugang. Das bedeutet, dass eine große Zahl von Menschen, die in ländliche Gebiete vertrieben wurden, überhaupt keine Hilfe erhält.
Obwohl unsere Teams einige Gebiete nicht erreichen konnten und daher das genaue Ausmaß der Situation nicht beschreiben können, ist zu erwarten, dass eine große Zahl von Menschen einen erheblichen humanitären und medizinischen Bedarf hat, der derzeit nicht gedeckt wird. Da die Gewalt andauert und internationale humanitäre Hilfe weiterhin schwierig ist, werden die humanitären Bedürfnisse dieser Menschen wahrscheinlich zunehmen.
5. Angriffe auf medizinische Infrastruktur
Systematische Angriffe auf medizinische Einrichtungen und Gesundheitspersonal sind inzwischen Teil der Gewalt im Nord- und Südwesten Kameruns. Krankenhäuser werden gezielt angegriffen oder besetzt, Krankenwagen blockiert und medizinisches Personal bedroht, entführt, gewaltsam angegriffen oder getötet. 2018 haben unsere Teams 61 Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen und 39 Angriffe auf medizinisches Fachpersonal dokumentiert. Die humanitäre Hilfe muss von Regierungskräften und nichtstaatlichen bewaffneten Gruppen respektiert werden, damit gefährdete Menschen weiterhin die medizinische Versorgung erhalten, die sie benötigen.
Ärzte ohne Grenzen ist seit 1984 in Kamerun aktiv. Nach Epidemien, Naturkatastrophen und bewaffneter Gewalt leisten wir für betroffene Bevölkerungsgruppen medizinische Hilfe.
2015 begann Ärzte ohne Grenzen mit der Notfallversorgung von Gewaltopfern sowie von Vertriebenen und gefährdeten Menschen in der nördlichsten Region des Landes rund um den Tschadsee.
Seit 2018 sind unsere Teams auch im nigerianischen Bundesstaat Cross River aktiv, in dem bis Februar 2019 32.600 kamerunische Flüchtlinge aufgenommen wurden. In Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsministerium des nigerianischen Bundesstaats leiten wir derzeit mobile Kliniken an neun Standorten die rund 200 Patientinnen und Patienten pro Tag versorgen. Bis Anfang Mai 2019 leisteten Teams von Ärzte ohne Grenzen 20.565 basismedizinische Konsultationen. Unsere Teams bieten auch psychosoziale Unterstützung sowohl für die nigerianische Bevölkerung als auch für die Geflüchteten aus Kamerun an.
* Die Region des Tschadsees umfasst die Länder Kamerun, Tschad, Niger und Nigeria. 2,3 Millionen Menschen wurden dort seit 2014 durch einen Konflikt zwischen bewaffneten Gruppen und Militärkräften vertrieben.