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Beim Umgang mit Geflüchteten mit gutem Beispiel vorangehen statt Lager zu schließen

Die kenianische Regierung hat angekündigt, das Flüchtlingslager in Dadaab schließen zu wollen, in dem seit Jahrzehnten somalische Menschen auf der Flucht vor dem verheerenden Bürgerkrieg in ihrer Heimat Schutz suchen. Wir betreiben in einem Teil des 325.000 Geflüchtete beherbergenden Lagerkomplexes Dadaab ein 100 Betten-Krankenhaus und zwei Gesundheitsstationen. Unser Programm-Manager Kenneth Lavelle betont die Leistung Kenias, während 25 Jahren dort viele Menschen aufgenommen zu haben. Er plädiert dafür, die Menschen nicht im Stich zu lassen, sondern die Geflüchteten in kleineren Camps an sichereren Orten im Land unterzubringen. Somit könnte Kenia der schwachen Reaktion der internationalen Gemeinschaft auf die globale Flüchtlingskrise weiterhin ein positives Beispiel entgegensetzen.

Am 6. Mai kündigte die kenianische Regierung eine Entscheidung an, die das Leben von Hunderttausenden von Menschen bedroht. Ihr Vorhaben, den Flüchtlingslager-Komplex von Dadaab schließen zu wollen, hätte für rund 325.000 Flüchtlinge verheerende Folgen.

Der Staatssekretär im kenianischen Innenministerium, Dr. Karanja Kibicho, äußerte öffentlich seine Besorgnis über die schwache Reaktion der internationalen Gemeinschaft auf die globale Flüchtlingskrise. Ärzte ohne Grenzen teilt seine Sorge angesichts der erschreckend unangemessenen Reaktion vorbehaltlos.

Wir teilen die Auffassung, dass die „anhaltende Doppelmoral“ vieler westlicher Staaten inakzeptabel ist. Während diese Staaten den Menschen, die vor Krieg, Unterdrückung und Verzweiflung fliehen, den Rücken kehren, erwarten sie gleichzeitig von Staaten wie Kenia, dass sie Hunderttausenden Flüchtlingen aus Somalia, dem Südsudan und anderen Krisenregionen Zuflucht gewähren. Am deutlichsten zeigt sich diese Doppelmoral im Flüchtlingsabkommen zwischen der EU und der Türkei, durch das Europa die Betreuung der Flüchtlinge an ein Land abgibt.

25 Jahre Zufluchtsort für Geflüchtete

Die Regierung von Kenia und das kenianische Volk haben in den Flüchtlingslagern von Dadaab während eines Vierteljahrhunderts Tausenden von Menschen Zuflucht gewährt – eine Tatsache, auf die Kenia zu Recht stolz sein kann. Anstatt die missglückte und unmenschliche Politik der EU und anderer Staaten zu übernehmen, sollte Kenia jetzt mehr denn je zu seiner humanitären Tradition stehen und den vom Krieg Vertriebenen Schutz gewähren. Kenia kann eine Führungsrolle übernehmen und mit gutem Beispiel vorangehen, indem es anderen Staaten - einschließlich der westlichen Welt - vor Augen führt, wie man Kriegsflüchtlinge auf humane Weise behandelt.

Die Regierung vertritt den Standpunkt, dass Dadaab ein Sicherheitsrisiko darstellt. Die medizinischen Teams von Ärzte ohne Grenzen konnten sich selbst ein Bild von den Folgen der Terrorakte in Kenia machen. Im April 2015 leisteten sie gemeinsam mit den Mitarbeitenden des Gesundheitsministeriums Hilfe für die Opfer des entsetzlichen Angriffs auf die Universität in Garissa. Die kenianische Regierung hat zweifellos eine Verantwortung für den Schutz und die Sicherheit der eigenen Bevölkerung. Doch gemäß den auch von Kenia unterzeichneten Flüchtlingskonventionen schließt diese Verantwortung auch diejenigen Menschen mit ein, die in der Vergangenheit vor Kriegen und Konflikten fliehen mussten oder jetzt auf der Flucht sind.

Rückkehr nach Somalia ist keine Option

Es ist inakzeptabel, die 325.000 Geflüchteten in Dadaab für die Taten einiger weniger zu bestrafen. Der Bürgerkrieg in Somalia dauert seit mehr als 25 Jahren an, und die Bedingungen für eine sichere und menschenwürdige Rückkehr der Flüchtlinge sind heute ganz einfach nicht gegeben. Das 2013 unterzeichnete Drei-Parteien-Abkommen über die freiwillige Rückkehr war damals als ein positiver Schritt begrüßt worden, seine Umsetzung war jedoch begrenzt – hauptsächlich aufgrund der prekären Sicherheitslage in Somalia.

Die Flüchtlingslager von Dadaab waren nie dafür ausgelegt, eine so große Zahl von Menschen aufzunehmen; entsprechend überfüllt und unterfinanziert sind die Camps heute. Ihre Nähe zur somalischen Grenze macht die Lager für Sicherheitsrisiken anfällig, die von Somalia ausgehen. Trotz wiederholter Aufrufe wurden mögliche Alternativen zu den Massenlagern nicht weiterverfolgt, und heute bezahlen die Geflüchteten in Dadaab den Preis für diese Unterlassungen.

Kenia kann der Welt humane Flüchtlingspolitik zeigen

Es fehlt ganz offensichtlich der politische Wille, eine Lösung zu finden. Viel zu wenige Flüchtlinge haben die Möglichkeit erhalten, in andere Länder zu übersiedeln. Die Lager selbst sind zu groß, doch die Alternative, kleinere Camps an sichereren Standorten mit besserer Versorgung einzurichten, wurde nicht geprüft. Für die Flüchtlinge gibt es kaum Möglichkeiten, eine eigenständige Existenz aufzubauen und sich in das Leben außerhalb der Lager zu integrieren. Diese Optionen setzen finanzielle Mittel und politisches Engagement voraus. Doch wenn es nicht gelingt, entsprechende Projekte mit Unterstützung der internationalen Gemeinschaft zu verwirklichen, haben die Flüchtlinge von Dadaab keine andere Wahl, als ins vom Krieg erschütterte Somalia zurückzukehren oder die gefährliche Reise nach Norden über das Mittelmeer anzutreten, um in Europa Zuflucht zu suchen.

In den vergangenen 25 Jahren hat Kenia bei der Aufnahme von Flüchtlingen eine führende Rolle gespielt. Wenn die kenianische Regierung ihre Entscheidung über die Schließung der Lager nochmals überdenkt, hat sie eine reale Chance, mit gutem Beispiel voranzugehen und der übrigen Welt zu zeigen, wie eine humane Flüchtlingspolitik aussieht, indem sie denjenigen Menschen Schutz gewährt, die sonst nirgends Zuflucht finden.

Ärzte ohne Grenzen hat allein im vergangenen Jahr mehr als 182.000 ambulante Sprechstunden abgehalten und 11.500 Patienten und Patientinnen im Krankenhaus der Organisation im Lagerteil Dagahaley betreut. Für diese Tätigkeiten erhält Ärzte ohne Grenzen keinerlei Mittel von Regierungen, vielmehr finanziert die Organisation die Arbeit in Dadaab ausschließlich über private Spenden.