Bundeskanzlerin Merkel in Westafrika: Ärzte ohne Grenzen fordert Rettung von Flüchtlingen aus Tripolis
Anlässlich des Besuchs von Bundeskanzlerin Angela Merkel in Niger sagt Florian Westphal, Geschäftsführer von Ärzte ohne Grenzen in Deutschland:
„Die Bundeskanzlerin muss den Besuch in Deutschlands Migrationspartnerland Niger dazu nutzen, um schleunigst eine Lösung für einige der am meisten gefährdeten Flüchtlinge und Migranten zu finden, etwa indem Deutschland Resettlement-Plätze zur Verfügung stellt: Etwa 3.000 Flüchtlinge und Migranten sitzen in höchster Gefahr in Internierungslagern im Konfliktgebiet in der libyschen Hauptstadt Tripolis fest, darunter Kleinkinder und Schwangere. Viele von ihnen wurden von der EU-finanzierten libyschen Küstenwache erst dorthin gebracht. Es gibt ein humanitäres UN-Evakuierungsverfahren über den Niger, aber dieser Rettungsmechanismus funktioniert nicht mehr, weil Länder wie Deutschland derzeit keine Plätze zur Verfügung stellen. Die Kanzlerin muss dringend wieder Resettlement-Plätze für in Niger gestrandete Flüchtlinge anbieten oder direkte Evakuierungsflüge aus Libyen ermöglichen, wie das die italienische Regierung vor wenigen Tagen getan hat. Das Zurückbringen von Bootsflüchtlingen nach Libyen muss sofort beendet werden. Eine Politik, die Flüchtlingen in Libyen Schutz verweigert, die mit deutscher und EU-Unterstützung sogar ins Konfliktgebiet zurückgebracht wurden, ist zutiefst zynisch und völlig inakzeptabel. Die Menschen in den Internierungslagern in Tripolis sind in akuter Gefahr.“
Angela Merkel reist derzeit durch Westafrika. Nach einem Besuch in Burkina Faso besucht sie Mali und Niger. Auf dem Programm stehen ein Truppenbesuch bei den Bundeswehrsoldaten in Gao in Mali, ein Treffen mit dem nigrischen Präsidenten Mahamadou Issoufou und ein Besuch der EU-Mission EUCAP Sahel Niger.
Im Niger leisten Teams von Ärzte ohne Grenzen medizinische Hilfe für Flüchtlinge, Migranten und die Bewohner der Wüstengegend im Grenzgebiet mit Algerien und Libyen, nördlich von Agadez. Die Teams beobachten, dass Flüchtlinge und Migranten immer gefährlichere Routen nehmen und zu wenig Zugang zu humanitärer und medizinischer Hilfe haben. Gründe dafür sind die zunehmende Kriminalisierung von Migration in Niger, die EU-Migrationspolitik, die entsetzliche Situation in Libyen sowie Massenausweisungen aus Algerien. Besonders die Zahl der Flüchtlinge und Migranten, die gezwungen werden, Algerien zu verlassen, hat deutlich zugenommen. Während nigrische Staatsbürger meist in offiziellen Konvois nach Niger zurückgebracht werden, werden Flüchtlinge und Migranten anderer Nationalität oft ohne Hilfe an der Grenze mitten in der Wüste abgesetzt, von wo aus sie 15 Kilometer zum nächsten Ort laufen müssen.
Mali befindet sich trotz eines 2015 unterzeichneten Friedensabkommens weiterhin in einem aktiven Konflikt mit Instabilität, Vertreibung und fehlendem Zugang zur Gesundheitsversorgung. Im Jahr 2018 verzeichnete das Land laut des „Armed Conflict Location & Event Data Project“ (ACLED) die höchste Zahl an zivilen Todesopfern seit Beginn der Krise im Jahr 2012. Ärzte ohne Grenzen ist besorgt über die Instrumentalisierung der humanitären Hilfe im Rahmen der Militäreinsätze im Land. Die derzeitigen Militäroperationen in Mali - darunter die UN-Mission MINUSMA, die Mission der Europäischen Union in der Sahelzone und die französische Militäroperation Barkhane - nutzen humanitäre Hilfe, um ihre eigenen politischen und militärischen Ziele zu erreichen. Dies stellt ein erhebliches Risiko für die im Land tätigen humanitären Akteure dar. Um die Akzeptanz der Bevölkerung zu gewährleisten, setzt die humanitäre Hilfe auf die Grundsätze der Unabhängigkeit, Unparteilichkeit und Neutralität. Wenn humanitäre Maßnahmen als Teil des Konflikts wahrgenommen werden, gefährdet dies die humanitären Helfer und die dringend benötigte Hilfe. So führt etwa die Verwendung von nicht identifizierten Fahrzeugen durch Streitkräfte zur Verwechslung von Militärs und humanitären Helfern.
Ärzte ohne Grenzen hat 2017 den Bericht "Perilous terrain: Humanitarian action at risk in Mali" zur Instrumentalisierung humanitärer Hilfe in Mali veröffentlicht.