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Innovation: Können Geschichten helfen, Leben zu retten?

Wie kann das Erzählen von Geschichten dabei helfen, Krankheiten zu bekämpfen? Kate Hughes gehört zu einem Team bei Ärzte ohne Grenzen, das sich mit medizinischer Innovation beschäftigt. Sie schreibt über ein Projekt, in dem wir Menschen mit der entstellenden Infektionskrankheit Noma behandeln. Dort versuchen wir über ein Erzählprojekt, die Sichtweisen der Menschen auf Betroffene zu verändern und sie dazu zu bewegen, schnell medizinische Hilfe zu suchen. Kate Hughes Fazit: Menschen wehren sich nicht gegen Veränderung – sie wehren sich dagegen, verändert zu werden.

Im Kinderkrankenhaus in Sokoto im Nordwesten Nigerias arbeiten wir mit dem nigerianischen Gesundheitsministerium zusammen, um spezielle Behandlungen und wiederherstellende Chirurgie für Noma-Patienten anzubieten. Noma ist eine entstellende und oft tödliche Infektionskrankheit, unter der hauptsächlich kleine Kinder leiden. Es entwickeln sich Geschwüre im Mund, und während sich die Krankheit ausbreitet, werden diese Geschwüre faulig und zerstören die Knochen und das Gesichtsgewebe.

Unbehandelt endet Noma in 90 Prozent der Fälle tödlich. 

Die medizinische Behandlung und die psychosoziale Unterstützung sind lebenswichtig für die von der Krankheit betroffenen Patienten, doch sie sind nicht die einzigen Aspekte unseres Projekts in Sokoto. Sensibilisierung für die Krankheit, einfache Vorbeugungungsmaßnahmen und schnelle medizinische Versorgung für Betroffene, sind genauso bedeutsam, um das Leiden zu verringern. Daher beinhaltet das Projekt ebenso Aufklärungsarbeit in den Gemeinden und Gesundheitsbildung. 

Gerade starten wir ein neues Pilotprojekt in Sokoto. Ziel ist es, Gesundheitsberater zu unterstützen, die Kraft interaktiven Geschichtenerzählens zu nutzen, um Menschen dabei zu helfen, mehr über Noma zu lernen. Es geht darum, Sichtweisen auf die Krankheit zu verändern, die Hürden für die Menschen darstellen können, sich Hilfe zu suchen. 

Was ist das „Stories of Change“-Projekt?

Wir alle erzählen Geschichten. Für einen Gesundheitsberater können sie ein wichtiges Kommunikationswerkzeug sein, da sie den natürlichen Mustern sozialer Interaktion in einer Gemeinschaft folgen und sich schnell unter den Menschen verbreiten. 

Normalerweise konzentrieren sich Aktionen zur Gesundheitsaufklärung auf eine spezifische Botschaft (z.B. „Die Bedeutung von Händewaschen …“) und setzten auf medizinisches Personal, das Informationen von einem biomedizinischen Standpunkt aus an die Gemeinschaft gibt (z.B. „… um eine Verbreitung von Krankheitserregern zu verhindern“). Das kann dazu führen, dass lokale Perspektiven und vorhandenes Wissen bei der Entwicklung und Umsetzung von Gesundheitsaufklärung unberücksichtigt bleiben. 

Wenn aber die Gesundheitsteams und die lokalen Gemeinden gemeinsam Geschichten zu Gesundheitsthemen entwickeln, können die Botschaften so verbreitet werden, dass die Gewohnheiten vor Ort berücksichtigt werden. Medizinisches und lokales Wissen werden zusammengebracht. 

Wie funktioniert es?

Zunächst wurden Gesundheitsberater, die für uns in den Einsatz gehen, darin geschult, Kontakt mit den Gemeinden aufzunehmen und den Menschen aktiv zuzuhören. Erst danach begannen sie, mit den lokalen Bewohnern Diskussionsrunden und Interviews zum Thema Noma zu führen. 

Eine ganze Reihe von Menschen teilten ihre Erfahrungen und insgesamt konnten vom Team 45 Geschichten gesammelt werden. 

Diese Geschichten wurden nach Themen gebündelt und in ein Geschichtennetz eingeflochten, durch das die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein besseres Verständnis davon erhalten, wie Menschen in der Gemeinde Noma wahrnehmen. Alle Sichtweisen kamen darin vor: wie man sich mit Noma infiziert bis hin zur Frage, wie man es behandeln kann.

So wurde in Zusammenarbeit eine neue Geschichte entwickelt, die zugleich Werbung für eine gute Gesundheitspraxis macht. 

Die Geschichte verändern

In insgesamt vier Gruppen entwickelten Gemeindemitglieder neue Geschichten über Noma, die auf ihrem eigenen Wissen und ihren Erfahrungen basierten. Die Gruppen bestimmten:

  • den Hauptcharakter der Geschichte,
  • die Herausforderungen, denen sich die Hauptfigur stellen muss,
  • die Unterstützung, die der Hauptfigur zuteilwird,
  • den Plot der Geschichte und
  • wie sich die Geschichte entwickelt und endet.

Die vier Geschichten wurden von unseren Teams analysiert und aus den Motiven, Aspekten und Diskursen wurde eine neue Geschichte kreiert. Die „Story of Change“ war geschaffen!

Der folgende Auszug aus der fertigen Geschichte erzählt von der Hebamme Mariya und einem lokalen Imam, die die Familie des kleinen, an Noma erkrankten Jungen Abubakar überzeugen, ihn in ein Krankenhaus zu bringen:

Das letzte Mal als Mariya das Kind sah, hatte er Schwellungen im Mund und Zahnfleischbluten. Mariya trug seiner Mutter auf, ihm den Mund mit Salzwasser auszuspülen. Als sie den Jungen nun allerdings wiedertrifft, sieht er schrecklich aus. Seine Wangen waren schon sehr stark angegriffen. Mariya hat Angst, dass der Junge Zaizayar Baki hat, auch bekannt als Noma-Krankheit. Sie hatte Noma schon zuvor gesehen. Eine Krankheit, die äußerst schnell voranschreitet – der Junge braucht sofort medizinische Behandlung.

Sie erzählt dem Vater und der Mutter von einem Noma-Kinderkrankenhaus in Sokoto. Doch obwohl Abubakars Mutter sehr besorgt ist, will sie nicht, dass er geht. Sie kennt Noma nicht und nimmt den Jungen mit zum traditionellen Heiler, der ihm einige Kräuter verabreicht. Sie helfen nicht. Der Heiler erzählt ihr, dass der Junge unter Maci dan Wawa leiden würde, der stummen Krankheit. 

Abubakars Vater schafft es nicht, seine Frau von einer Behandlung irgendwo anders zu überzeugen, und macht sich auf den Weg, um den Dorfvorsteher aufzusuchen. Es gelingt ihm, den Imam und den traditionellen Heiler zu einer Diskussion über das Problem zu bewegen. Der Imam predigt in verschiedenen Dörfern und hat bereits gesehen, wie schnell Noma ein Gesicht zerstören kann. Er erklärt immer, wie Hygiene funktioniert und wie wichtig es ist, Kindern die Hände zu waschen sowie Mund und Zähne zu putzen.

Seine Großmutter bietet an, Abubakar zum Noma-Kinderkrankenhaus zu fahren, damit seine Mutter daheimbleiben kann, um nach der Familie und den Feldern zu sehen. 

Das Verhalten ändern

Unsere Teams aus lokalen Gesundheitsberatern wurden in einem zusätzlichen Training darin unterrichtet, wie man den Gemeinden, in denen man arbeitet, die Geschichte vermitteln kann. Zudem lernten sie, wie man ihre Verbreitung dokumentieren kann, um den Erfolg im Blick zu behalten. 

Die fortlaufende Evaluation erfolgt zusammen mit unseren Epidemiologen. Wir wollen herausfinden, ob das „Story of Change“-Projekt dabei hilft, die Zahl von Noma-Fällen zu reduzieren und die Menschen zu ermutigen, sich früher Hilfe zu suchen. Bereits jetzt ändern sich aber Verhaltensweisen. Mitarbeiter haben berichtet, dass Gesundheitsberatungsteams mehr mit der Gemeinde verbunden sind und auch die Gemeinden stärker mit den Botschaften der Gesundheitsberatung vertraut sind. Sie stellen sich zum Beispiel dem Problem der Diskriminierung, der Menschen mit Noma ausgesetzt sein können.

Sie sind beruflich interessiert an dem Projekt? Hier können Sie dem Team eine Email schreiben