Ein neues Leben
„Man nennt Noma auch das Gesicht der Armen“, sagt Jens Rabbels. Der Chirurg aus Stuttgart war zusammen mit seinem Kollegen, dem Anästhesisten Jörg Fimpeler, zwei Wochen lang im Nordwesten Nigerias. Sie operierten Kinder und Erwachsene, deren Gesichter durch die bakterielle Infektion schwer entstellt waren.
„Noma ensteht im Zusammenhang mit fehlender Nahrung, mangelnder Hygiene und schlechter Gesundheitsversorgung“, erklärt der Mund-Kiefer-Gesichts-Chirurg Rabbels. Zu der Krankheit kommt es, wenn das Immunsystem aufgrund extremer Mangelernährung stark geschwächt ist. Ganz normale Bakterien der Mundhöhle verursachen Geschwüre, die Muskulatur und Knochen zerstören und sich über das gesamte Gesicht ausbreiten. Noma verläuft unbehandelt in bis zu 90 Prozent der Fälle tödlich. Bei den Überlebenden bleiben schwere Schäden zurück. „Unsere Patienten hatten Löcher im Gesicht, ihnen fehlten Teile der Nase oder ein Auge“, so Rabbels. Durch die Narbenbildung konnten zudem einige den Mund nicht mehr öffnen.
Der Anästhesist Jörg Fimpeler hat in 14 Tagen bei 36 Operationen mitgewirkt. „In meinem Berufsleben in Deutschland habe ich schon viel gesehen, aber die Situation dieser Kinder hat mich sehr bewegt“, sagt er. „Viele Kinder weinten vor Angst, wenn sie uns weiße Ärzte mit Kittel und Mundschutz sahen.” Schließlich haben die Kinder häufig ein schweres, von Krankheit, Schmerz und Ausgrenzung geprägtes Leben hinter sich. Manche der Älteren leben schon seit zehn bis 15 Jahren mit diesen Entstellungen, mit denen sie weder richtig essen noch sprechen, riechen oder sehen können. „Wir stellen vor allem die Funktionen wieder her, sodass die Kinder den Mund wieder öffnen und die Lippen schließen können“, sagt Jens Rabbels. „Und wir rekonstruieren Nasen sowie Augen und schließen alle Löcher.“ Bei größeren Defekten sind dafür bis zu vier Operationen notwendig. Vier Mal im Jahr kommt ein spezialisiertes Team von Ärzte ohne Grenzen nach Sokoto und operiert täglich mehrere Betroffene.
„Eine unserer Patientinnen hieß Hassana und war vier Jahre alt. Sie konnte den Mund nicht öffnen, und da sie kaum essen konnte, wog sie nur 13 Kilogramm“, berichtet Jörg Fimpeler. „Trotzdem war das Kind fröhlich, verspielt und fremdelte nicht.“ Nach der Operation konnte Hassana ihren Mund zum ersten Mal wieder öffnen und die Zunge rausstrecken. Jens Rabbels war begeistert davon, wie gut das psychosoziale Team von Ärzte ohne Grenzen in Sokoto die Kinder vor und nach den Eingriffen betreut. Drei erfahrene nigerianische Beraterinnen und Berater, die auch die Sprache der kleinen Patienten sprechen, nehmen ihnen und ihren Eltern spielerisch die Angst vor der Operation.
So entdecken die Kinder ihre Fähigkeiten neu und entwickeln Selbstvertrauen. Nach der Operation können sie wieder ohne Probleme essen, und sehen weitgehend normal aus. Ein neues Leben nach einer langen Leidenszeit ist nun wieder möglich.