Vier Wochen nach dem Erdbeben: Psychologische Hilfe für Bevölkerung und betroffene Helfer
Unter den Menschen in den vom Erdbeben am schlimmsten getroffenen Regionen sind auch viele Helfer: Sie müssen nicht nur mit den emotionalen Auswirkung des Bebens auf ihre Patienten umgehen, sondern auch mit ihren eigenen und denen ihrer Familien. Auch Sie haben ein Zuhause oder sogar geliebte Menschen verloren. Wegen dieser doppelten Belastung benötigen sie zusätzliche Hilfe. Die brasilianische Psychologin Ionara Rabelo arbeitet für uns in der Provinz Manabí im Norden Ecuadors. Dort unterstützt sie vom Erdbeben Betroffene und trainiert medizinisches Personal, Psychologen, Dozenten, Sozialarbeiter und Gemeindevorsitzende und gibt Vorlesungen an Universitäten. Sie und ihr Team haben 1.280 Menschen psychologisch beraten oder ausgebildet.
Was brauchen die Menschen in der Region?
Sie brauchen Unterkünfte, Nahrungsmittel und Schutz, um ihr Leben wieder aufbauen zu können. Diese Grundbedürfnisse müssen gedeckt sein, bevor psychologische Hilfe effektiv wirken kann. Im Moment sind es die Menschen, die außerhalb der offiziellen Unterkünfte leben – z.B. in Parks, Schulen oder Plätzen in der Nähe ihrer zerstörten Häuser -, die diese Hilfe am meisten benötigen.
Wir haben Menschen kennengelernt, die ihre Häuser verloren haben und mit dem Verlust ihrer Unabhängigkeit kämpfen. Drei Wochen nach dem Erdbeben begannen wir von Männern zu hören, die Alkohol trinken, um mit der Situation klarzukommen. Ein Anstieg der Alkohol- und Drogenabhängigkeit könnte sich in den nächsten Monaten zu einer Herausforderung für das Land entwickeln.
Eine der Psychologinnen hat mir erzählt, dass das Haus, in dem sie mehr als 40 Jahre gelebt hatte, durch das Beben komplett zerstört wurde und nicht mehr bewohnbar ist. Sie wollte dieses Haus an ihre Kinder vererben. Zwei Stockwerke des Krankenhauses, in dem sie arbeitete, wurden auch zerstört. Was von ihrem Büro übrig blieb, wurde an einen anderen Ort gebracht. Sie zeigte Stress-Symptome und litt viel unter der Situation. Ihre Kolleginnen und Kollegen wollten mit ihr sprechen, um ihr zu erzählen, wie es ihnen ging. Doch sie merkte, dass ihre Zeit nicht ausreichte, um mit Kollegen und Patienten gleichzeitig zu sprechen.
Sie war doppelt betroffen: Sie hat ihr Haus und damit einen Teil ihrer persönlichen und familiären Identität verloren, und in ihrer Arbeit wurde der letzte Rest des persönlichen Raums durch Veränderungen verringert. Wir haben mit ihr gearbeitet, damit sie die Kontrolle in dieser Notsituation wiedererlangte, indem sie beispielsweise einen Tag mit ihrer Familie verbrachte oder in ihrer Arbeit Strategien für Gruppen und Ausbildungen für ihre Kollegen und Kolleginnen entwickelte. Viele Leute glauben fälschlicherweise, dass Psychologen immer stark sind, aber auch sie brauchen Unterstützung von ihren Familien, Freunden und Kollegen.
Wie ist die aktuelle Situation im Norden der Provinz Manabí?
Die Bewohner der am schlimmsten betroffenen Städte erhalten in den offiziellen Unterkünften Unterstützung von der Regierung und von Nichtregierungsorganisationen. Die Bedürfnisse von Menschen in kleineren und inoffiziellen Unterkünften werden noch nicht gedeckt.
In Städten wie Jama, San Vicente und Bahía im Norden des Landes hat das Erdbeben das Netzwerk für psychosoziale Hilfe stark geschwächt. Es gibt nur wenige Angebote für psychologische Behandlungen, und die Nachfrage ist stark gestiegen. In drei Monaten könnte es noch eine viel größere Notwendigkeit für mehr psychologische Unterstützung geben, wenn die Menschen chronische psychologische Probleme entwickeln.
Wie sehen die Aktivitäten von Ärzten ohne Grenzen dort aus?
Wir stellen den Medizinern und Medizinerinnen vor Ort Fortbildungen zur Verfügung, um sie bei der Bewältigung ihrer persönlichen Situation zu unterstützen, damit sie das an ihre Kollegen und Patienten weitergeben können. Das Training beinhaltet Ausbildungen in der psychologischen Beratung und die Entwicklung von psychosozialen Programmen innerhalb des Gesundheitsangebots. Wir haben darüber hinaus auch Gemeindevorsitzende, medizinisches Personal und Menschen, die in temporären Unterkünften arbeiten, ausgebildet, sodass sie Zeichen eines ernsthaften psychischen Problems erkennen können. Unsere Teams haben mehr als 60 Lehrbeauftragte ausgebildet, die nun ihrerseits den Gemeindemitgliedern Weiterbildungen anbieten können. Diese beinhalten neben dem Erkennen von Symptomen u.a auch die Erläuterung von Bewältigungsstrategien.
Außerdem haben wir auch Grundschullehrer in Gruppenaktivitäten fortgebildet, damit sie den Kindern und den Familien bei der Bewältigung der Folgen des Erdbebens helfen können.
Wie funktioniert psychologische Unterstützung in Notsituationen?
Jede Notsituation fordert andere Strategien und Herangehensweisen, man muss die psychologische Unterstützung anpassen. Die Zeit spielt dabei oft eine sehr wichtige Rolle. In diesem Fall haben wir und darauf konzentriert, Kapazitäten bei den Medizinern und Psychologen zu entwickeln, damit sie erste psychologische Hilfe leisten können. Unsere Teams haben auch Beratungsgespräche geführt. Im Gegensatz zu langfristigen Projekten, bei denen die Patienten Zeit haben, ihre Situation zu reflektieren, können sich in Notsituationen die Gefühle schon mal überschlagen. Bei der ersten psychologischen Hilfe versuchen wir zu erreichen, dass die Patienten und Patientinnen genau herausbekommen, welche Gefühle sie haben und lernen so damit umzugehen, dass sie keine chronische Störung entwickeln.