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„Ich bin nicht sicher in Afghanistan“

Bachodur M. (Name geändert) aus Mazar-i-Sharif ist vor den Taliban geflohen. Sein Bruder hat für die Bundeswehr als Übersetzer gearbeitet, jetzt fürchtet er Rache. Die Angst, nach Afghanistan zurückgeschickt zu werden, lässt ihm auch nachts keine Ruhe.

Ich bin 20 Jahre alt und komme aus einer tadschikischen Familie in Mazar-i-Sharif im Norden Afghanistans, wo auch die Bundeswehr stationiert war. Mein Bruder hat als Englisch-Dolmetscher für die Bundeswehr und die NATO-Streitkräfte gearbeitet. Deshalb haben ihn die Taliban massiv bedroht. Vor drei Jahren ist er geflohen. Er konnte glücklicherweise direkt nach Deutschland kommen.

In Mazar-i-Sharif war ich Student an der Universität. Ich habe auch bei einem Fernsehsender gearbeitet, als Ansager für Fußball-Berichte. Deshalb kennen mich viele in Mazar-i-Sharif.

Ich weiß, dass mich die Taliban einmal auf der Straße zusammen mit meinem Bruder gesehen haben. Sie haben nach ihm gefahndet und unsere Adresse herausgefunden. Sie haben Drohungen ausgesprochen. Sie sagen, wir seien Ungläubige, weil mein Bruder für die NATO gearbeitet hat.

Eines Tages haben die Taliban die Universität angegriffen. Ich war dort und habe den Angriff miterlebt. Womöglich haben sie nach mir gesucht. Ich bin mir hundertprozentig sicher, dass sie mich entführen würden, wenn sie es könnten. Ich bin damals entkommen. Ich hatte große Angst. Als ich zu Hause angekommen bin, hat mein Vater gesagt: Du musst fliehen!

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Anfang 2016 bin ich auf einem Motorrad geflohen. Die Grenze zum Iran mussten wir zu Fuß über die Berge überqueren. Wir sind 20 Stunden gelaufen. Kurze Zeit war ich illegal in Teheran. Glücklicherweise hat mich die Polizei nicht gefunden. Afghanen, die im Iran aufgegriffen werden, müssen oft in Syrien kämpfen. Zwei Freunden, die mit mir geflohen sind, ist das passiert.

Auch die Grenze in die Türkei musste ich zu Fuß passieren. Diesmal waren wir 18 Stunden unterwegs. Sechs Monate habe ich dann in Istanbul in einem Restaurant und einer Bäckerei gearbeitet, um Geld zu sparen. Dann bin ich auf einem Boot nach Lesbos. Es war sehr gefährlich, es war dunkel und hat geregnet, wir waren vier Stunden auf dem Wasser. Drei Monate habe ich dann im EU-Hotspot Moria auf Lesbos gelebt. Ich hatte viel Glück, dass ich dann nach Athen weiterreisen konnte.
Von dort habe ich es nach Deutschland geschafft zu meinem Bruder, den ich als erstes besucht habe. Hier habe ich Asyl beantragt und wurde nach Schweinfurt verlegt. Jetzt habe ich einen Interviewtermin bei der Behörde, wo es aber nur um meinen Fluchtweg gehen soll.

Mein Bruder in Frankfurt ist vor 15 Tagen Vater geworden. Ich möchte so gern meinen kleinen Neffen besuchen, aber ich darf nicht. Warum will man mir das nicht erlauben? Ich fühle mich ein bisschen wie ein Gefangener.

Die meisten Afghanen, mit denen ich hier zu tun haben, bekommen Ablehnungen. Ich verstehe das nicht. Ich mache mir große Sorgen. Ich kann nicht nach Afghanistan zurück. Ich bin dort nicht sicher. Mir geht es nicht um Vorteile oder einen deutschen Pass oder so – ich will nur hierbleiben, bis es in meinem Land wieder sicher ist. Ich liebe mein Land, aber ich sehe, wie es immer neue Angriffe gibt. Schutz ist für mich am wichtigsten.

Wir Afghanen haben hier mehr Probleme als andere. Wir können zum Beispiel nicht zur Schule gehen. Das ist ein großes Problem. Ich sitze die ganze Zeit in meinem Zimmer und grüble und habe Angst um meine Familie. Die Taliban wissen, wo sie wohnt.

Es macht mir große Angst, dass Afghanen abgeschoben werden. Es ist entsetzlich. Einige Afghanen haben ihre Bescheide bekommen: Negativ, alle negativ. Die Leute werden dadurch verrückt. Viele haben angefangen zu trinken. Sie haben Angst vor der Abschiebung.

Ich kann nur in manchen Nächten wirklich schlafen. Jede Nacht bin ich bis nach Mitternacht wach. Ich bin schon müde vom Nachdenken.

Ich habe hier Gespräche mit der Beraterin geführt und eine Gruppensitzung besucht. Es hilft, wenn man weiß, dass jemand einen versteht. Dann fühle ich mich etwas besser. Aber ich weiß auch: Das hilft mir nichts für meinen Asylantrag. Dann fühle ich mich wieder einsam. Aber es ist gut, dass ich jemanden habe, der mir zuhört und meine Probleme versteht. Ich spreche darüber sonst mit niemandem, nur mit Frau Parisa, der Beraterin. Manchmal höre ich Musik. Das hilft mir.

Aber es ist immer nur für einen Moment. Wenn ich wieder allein im Zimmer bin, dann geht alles wieder von vorne los. Aber ich trinke nicht. Ich weiß: Das ist keine Lösung.