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„Man versucht immer, zu lachen und zu vergessen“

Die Familie von Hamdi G. (Name geändert) ist aus dem Bürgerkrieg in Somalia geflohen, er selbst ist im Jemen geboren. Nachdem auch dort Krieg ausgebrochen ist, war er monatelang in einem Gefängnis inhaftiert, wo die Insassen schwer misshandelt wurden. Unter dramatischen Umständen floh er durch die Sahara und über das Mittelmeer nach Deutschland. Er fürchtet, nach Italien abgeschoben zu werden und auf der Straße zu landen.

Ich bin 19 Jahre alt. Meine Familie stammt aus der Nähe von Mogadischu. Meine Eltern sind vor dem Bürgerkrieg in den Jemen geflohen, bevor ich geboren wurde. Als ich sechs Jahre alt war, ist mein Vater verschwunden. Ich nehme an, er hat sich geschämt, dass er nicht in Somalia geblieben ist, um sein Land zu verteidigen, und ist dorthin zurückgekehrt, als seine Familie in Sicherheit war. Seit damals musste ich Geld verdienen, um meiner Mutter zu helfen, mich und meine drei Schwestern zu versorgen. Ich habe für die Männer gearbeitet, die auf einem Markt in der Stadt Al-Baida die Kat-Blätter verkaufen, die dort fast jeder kaut. In der ersten Zeit musste ich immer Ausschau nach der Polizei und nach Dieben halten.

Bis 2013 war es im Jemen nicht so schlimm, aber dann hat die radikale Gruppe „Ansar al-Scharia“, die mit Al-Kaida verbunden ist, in der Stadt immer mehr Einfluss gewonnen. Ich war damals 15. Mich haben sie auch verhaftet und einen Monat gefangen gehalten, weil ich Kat verkauft habe.

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Deshalb sind wir in die Hauptstadt Sanaa geflohen. Dort war das Leben teuer, und niemand hat sich für uns Flüchtlinge interessiert. Meine Mutter musste ihre Kleidung verkaufen, um unsere kleine Wohnung bezahlen zu können. Dann haben die Huthi-Milizen aus dem Norden Sanaa erobert. Alles wurde noch teurer und uns Flüchtlingen ging es noch schlechter. Es gab ständig Kontrollen, und die Gefängnisse waren voller Somalier. Schließlich begann der Krieg gegen Saudi-Arabien, bald gab es auch keinen Strom mehr.

Ich habe beschlossen, zu fliehen, aber wurde von den Huthis in der Hafenstadt Al-Hodeida verhaftet. Sie verdächtigten mich, für Saudi-Arabien zu arbeiten. Fünf Monate war ich eingesperrt, vor allem im zweiten Gefängnis für Spionageverdächtige war es schlimm. In einem Raum hatten sie 40 Leute zusammengepfercht, es war heiß und man konnte kaum atmen. Er wurde „Guantanamo“ genannt. In diesem Raum war ich glücklicherweise nur einen Tag. Aber sie haben mich oft geschlagen, mit Stöcken, Gürteln und Schläuchen, und die Handschellen so eng angelegt, dass es geblutet hat. Einen Freund haben sie bewusstlos geschlagen und ihm den Fuß gebrochen, ein anderer hat Blut erbrochen. Drei Äthiopier sind gestorben. Auch eine der Frauen, die versucht hat, aus dem Frauenbereich zu fliehen, wurde erschossen. Eine andere verlor ihr ungeborenes Baby, weil sie geschlagen wurde. Ich habe die Erinnerungen an dieses Gefängnis noch immer im Kopf, ich kann es nicht vergessen.

Irgendwann sind Leute von den Vereinten Nationen gekommen und haben darauf gedrängt, uns freizulassen. Offiziell wurde das dann wohl auch so verkündet und womöglich haben sie dafür Geld bekommen, tatsächlich haben sie aber mit Schmugglern gemeinsame Sache gemacht. Bewaffnete haben uns zu einem Boot gebracht, das uns über das Rote Meer nach Port Sudan gebracht hat. Im Sudan waren wir in der Gewalt von Bewaffneten eines Stammes. Auf sechs oder sieben LKWs haben sie etwa 400 Frauen und Männer aus Somalia durch die Wüste nach Libyen gebracht.

Die Fahrt durch die Wüste war entsetzlich. Einige von uns sind auf dem Weg gestorben. Ich erinnere mich an eine Frau, die nicht mehr richtig atmen konnte und einfach zurückgelassen wurde.

In Libyen wurde unser Konvoi von einer anderen bewaffneten Gruppe angegriffen. Es gab einen Kampf und sie haben uns gekidnappt. Wir wurden in ein Lager gesperrt und mussten unsere Familien anrufen, um Lösegeld zu erpressen. Sie haben uns jeden Tag geschlagen. Die Familien mussten mindestens 1.200 Dollar für unsere Freilassung zahlen. Meine Mutter hat sich das Geld geliehen und es geschickt. Diese Schmuggler waren Barbaren.

Danach wurden wir in eine Lagerhalle mit Metalldach gebracht, wo wir zwei Monate lang eingesperrt waren. Dort sind fünf von uns gestorben. Wir hatten Würmer und Läuse und eine Hautkrankheit. Alle haben sich immer gekratzt, bis es zu bluten begann. Die Haut ist bei manchen schwarz geworden.

Dann haben sie uns an die Küste gebracht. Unser Schlauchboot startete um drei Uhr nachts. Wir waren etwa 100 Menschen. Gegen sieben Uhr hat uns ein italienisches Militärschiff gefunden und an Bord genommen. Sie haben uns dann an ein anderes Schiff übergeben. Dort gab es Ärzte und etwas zu essen. Sie haben uns nach Sizilien gebracht, wo ich zwei Monate war und wegen meiner Hautkrankheit behandelt wurde.

Im Februar bin ich nach Deutschland gekommen und habe einen Asylantrag gestellt. Ich war bei der Anhörung und warte auf mein Ergebnis.

Diese schrecklichen Erfahrungen sind ein Teil meines Lebens. Ich versuche, sie zu vergessen, aber es ist nicht so einfach. Jetzt geht es mir besser, ich habe keine Kopfschmerzen und keine Hautkrankheit mehr. Aber ich habe noch keine Ruhe. Ich bin gestresst. Ich weiß, dass meine Fingerabdrücke in Italien sind, und ich habe sehr große Angst, dass sie mich wegen der Dublin-Regeln nach Italien abschieben. Wir Somalier werden immer im Kreis herumgeschickt. Drei meiner Freunde mussten nach Österreich, einer nach Italien. Damit, dass sie mich nach Somalia abschieben könnten, will ich mich gar nicht erst auseinandersetzen. Das wäre das Schlimmste. Ich war nie dort.

Ich denke viel an meine Mutter und meine Schwestern, die noch im Jemen im Krieg sind. Ich kann ihnen nicht helfen. Was mir hilft, ist: Gott hat das alles für mich geplant, ob ich will oder nicht. Ich muss mein Schicksal akzeptieren. Ich muss stark sein für meine Mutter und die Familie. Wenn ich die Kontrolle verliere, sind auch sie in Gefahr. Ich muss für eine gute Zukunft arbeiten, um meine Familie zu retten.

Die Gespräche mit den Beratern haben mir geholfen. Zuvor habe ich nur geschlafen und dann ängstlich auf die Tafel geschaut, auf der immer bekannt gegeben wird, wer wohin muss. Wenn man immer nur in seinem Zimmer bleibt, wird man wie ein Tier. Jetzt habe ich mehr Kontakt. Ich arbeite jetzt immer wieder für das Beraterteam, indem ich für andere Asylsuchende von Somali auf Arabisch übersetze. Ich bin beschäftigt und nützlich und helfe meinen Leuten. Und vergesse meine Situation ein bisschen.

Ich will nur meine Mutter und Geschwister in Sicherheit bringen, eine Familie und eine Arbeit finden und in Frieden leben. Man versucht immer, zu lachen und zu vergessen.