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„Es hilft, wenn mir jemand zuhört“

Yassin E. aus Aleppo lebt mit seiner Frau und neun Kindern in der Erstaufnahmeeinrichtung für Asylsuchende in Schweinfurt. Seit ihrer Flucht vor vier Jahren hat die Familie eine Odyssee durch Syrien, den Libanon, die Türkei und die EU hinter sich.

Als der Krieg ausbrach, lebte ich mit meiner Familie in Aleppo. Ich war LKW-Fahrer und deshalb viel unterwegs, bis in den Irak. Ich wollte immer in Syrien bleiben, aber der Krieg kam immer näher. Ich hatte keine Arbeit mehr, aber viele Kinder. Um meine Familie zu ernähren, hätte ich entweder klauen müssen – oder mit der Regierung oder den Islamisten kämpfen. Da habe ich gesagt: Das mache ich nicht. Lieber verlassen wir Aleppo. Ich wollte niemanden töten, nur in Frieden leben und meine Familie in Sicherheit bringen.

Später haben Fassbomben unser Haus getroffen. Ich weiß den Tag noch genau: Es war der 29. November 2013. Sieben zweistöckige Häuser wurden durch den Angriff zerstört. Mein Vater und mein Bruder wurden getötet. Es gibt keine Worte für das, was ich empfunden habe. Auch ein Onkel, eine Nichte und drei Neffen wurden im Krieg getötet.

Wir sind zuerst in Syrien geblieben, in der Nähe von Homs. Ich habe wieder versucht, als Fahrer zu arbeiten, aber es war nicht einfach. Ich konnte die Situation nicht mehr ertragen. Aus dieser Zeit kommt auch die Narbe an meinem linken Arm. Ich war zwischen Homs und dem Libanon unterwegs, als ein Scharfschütze auf meine Reifen geschossen hat. Bei dem Unfall habe ich mich verletzt, es war eine große Wunde. Ich habe sie selbst behandelt. Wenn ich ins Krankenhaus gegangen wäre, hätten sie mich womöglich festgenommen, weil sie angenommen hätten, ich hätte für die Opposition gekämpft. Seitdem habe ich auch weiße Haare.

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2014 sind wir in den Libanon geflohen. Die ganze Familie musste auf dem Feld arbeiten, damit wir durchkamen. Ich wollte nicht, dass meine Kinder arbeiten, aber ich war dazu gezwungen. Eine meiner Töchter hat sich beim Spielen verletzt und musste zweimal am Unterleib operiert werden. Eine andere Tochter hat Diabetes. Für sie gab es keine gute medizinische Behandlung. Es ging nicht mehr.

Deshalb bin ich alleine in die Türkei, um dort Arbeit zu finden. Aber ich hatte keine Chance. Es gab zu viele arbeitslose Syrer dort. Schließlich habe ich einem Schlepper 5.000 Euro gegeben. Er hatte versprochen, mich nach Italien zu bringen. Aber er ist mit dem Geld einfach verschwunden. 2015 habe ich dann versucht, mit dem Boot auf eine der griechischen Inseln zu kommen. Erst beim achten Mal hat es geklappt. Zu Fuß und mit dem Zug bin ich weiter durch Europa.

Im August 2015 bin ich in Deutschland angekommen. An der Grenze wurde ich nach Schweinfurt geschickt. Für mich als Fremder war es schwierig, aber meiner Familie ging es noch viel schlechter. Sie waren allein und fremd im Libanon und wussten nicht, wie sie über die Runden kommen sollten. Deshalb sind sie zuerst nach Syrien zurückgegangen, dann in die Türkei geflohen. Der Gesundheitszustand meiner diabeteskranken Tochter verschlechterte sich, sie war 40 Tage lang bewusstlos. Ich war völlig ohnmächtig, konnte ihr nicht helfen.

Ich wollte zurück zu meiner Familie, aber über meinen Asylantrag war damals noch nicht entschieden. Ich überlegte trotzdem, in die Türkei zurückzufliegen, notfalls illegal. Ich wäre bereit gewesen, eine meiner Nieren zu verkaufen, um meine Tochter zu retten. Doch nach 40 Tagen ging es ihr glücklicherweise besser.

Dann habe ich eine der schwersten Entscheidungen meines Lebens getroffen. Ich habe meiner Frau Geld geschickt, damit sie mit den Kindern auf einem der Boote nach Griechenland kommen konnten. Es war ein schwerer innerer Konflikt. Ich hatte so große Angst, dass ihnen etwas passiert.

Glücklicherweise kamen sie gut auf Chios an. Danach flog ich zu ihnen. Doch das Wiedersehen war kein einfacher Moment. Die jüngsten Kinder haben mich nach zwei Jahren nicht mehr als ihren Vater erkannt. Mein Sohn hat mich „Onkel“ gerufen, so wie man bei uns Fremde bezeichnet.

Weil meine Tochter so schwer krank war, bekam sie eine spezielle Behandlung. Nach einiger Zeit durften wir aus dem Lager auf Chios heraus und wurden in Athen in einer Wohnung untergebracht. Während dieser Zeit hat eine syrische Frau in Griechenland meine Frau in die Klinik von Ärzte ohne Grenzen am Viktoria-Platz geschickt, weil sie schwere psychische Probleme hatte. Sie hatte so viel durchgemacht: Die Bomben, die Unsicherheit mit neun Kindern. Aber die Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen haben sich sehr um sie gekümmert.

Als wir einmal dort waren, hat die Ärztin zu mir gesagt: Yassin, du brauchst auch Hilfe. Heute weiß ich, dass seelische Gesundheit wichtig ist, aber damals war ich hin- und hergerissen. Bei uns in Syrien gibt es die Auffassung: Wer zum Psychologen geht, ist verrückt. Werden meine Freunde sagen, dass ich verrückt bin? Aber ich habe erkannt: Ich brauche Hilfe.
Es hat ein Jahr gedauert, bis meine Familie endlich nach Deutschland kommen durfte, wo ich als Flüchtling anerkannt war. Jetzt sind wir wieder in der Erstaufnahmeeinrichtung in Schweinfurt.

Unsere Situation hier mit neun Kindern ist noch immer schlimm. Wir können uns nicht selbst versorgen, sind in allem abhängig. Einmal habe ich in der Kantine nur um eine Banane für meinen kleinen Sohn gebeten, aber sie wollten mir keine geben. Dabei wird doch so viel Essen weggeworfen. Ich habe mich geärgert und bin mit den Security-Mitarbeitern aneinandergeraten.

Die Gespräche mit den Mitarbeitern hier tun mir gut. Ich suche sie immer wieder. Es hilft, wenn mir jemand zuhört. Ich will gern Deutsch lernen, um wieder als LKW-Fahrer arbeiten zu können, ich will wieder selbst mein Geld verdienen. Aber es ist nicht leicht für mich, ich bin derzeit so vergesslich, oft durcheinander. Ich brauche Hilfe.