„Schusswunden, Schlangenbisse und immer wieder schwere Malariafälle“ – Bericht aus Lankien
Volker Westerbarkey, Vorstandsvorsitzender von Ärzte ohne Grenzen in Deutschland, war Anfang des Jahres im Südsudan als Arzt im Einsatz. Hier berichtet er von seinen Erfahrungen:
"Keine Straße, kein Strom, keine Coca-Cola ... Im Januar dieses Jahres war ich für einen Monat in unserem Projekt in Lankien, im Südsudan. Zurzeit hören wir vom Südsudan vor allem, weil die Vereinten Nationen im Februar in zwei Bezirken im Norden aufgrund alarmierender Mangelernährungsraten den „Hungernotstand“ ausgerufen haben. Auch unsere Teams sehen beispielsweise im Norden des Bezirks Mayendit, dass 25 Prozent der Kinder unter fünf Jahren akut mangelernährt sind, bis zu 8,1 Prozent von ihnen schwer. Grund für die Ernährungskrise ist der anhaltende Bürgerkrieg. Leider folgte der Gründung des Südsudans, des jüngsten Staates der Erde im Jahr 2011, nur eine kurze Phase der Hoffnung. Schon seit mehreren Jahren müssen Männer, Frauen und Kinder wieder vor Kämpfen fliehen. Während meines Aufenthalts im weit abgelegenen Ort Lankien habe ich das nicht direkt miterleben müssen – doch schon bald nach meiner Rückkehr erhielt ich die Nachricht, dass ein Teil unseres Teams evakuiert werden musste. Lassen Sie mich aber zunächst von meinem Einsatz erzählen.
Seit sechs Jahren habe ich nicht mehr als Arzt in einem unserer Projekte gearbeitet. Ich freute mich daher sehr, neben meiner Arbeit in meiner Gemeinschaftspraxis in Berlin und als Vorstandsvorsitzender von Ärzte ohne Grenzen, wieder die Gelegenheit dazu zu haben. Bei meiner Landung am Flughafen der Hauptstadt Juba zeigt sich eine imposante Armada von Hilfsflugzeugen und Hubschrauben. So große und so viele, wie ich sie noch nie gesehen habe. Es scheint, das ganze Land ist auf Hilfslieferungen angewiesen. Mit einem Hubschrauber der Welternährungsprogramms (WFP) geht es weiter nach Lankien. Befahrbare Straßen dorthin gibt es nicht.
Ein Krankenhaus aus Lehmhütten
In Lankien gibt es wirklich nicht viel. Lehmhütten, auf dem Markt nur Seife und Zigaretten und immer wieder Kühe, der Reichtum der Nuer*. Unser Krankenhaus besteht auch nur aus mehreren Lehmhütten und einem Operations-Zelt. Immerhin haben wir fast 100 Betten. In der Ambulanz werden täglich um die 500 Patienten gesehen. Viele davon mit Malaria. Aber auch Tuberkulose, Durchfall, Leishmaniose oder HIV. Ich habe auf der Inneren Station für Erwachsene gearbeitet und dort täglich Visite gemacht. Den Rest der Zeit habe ich hauptsächlich in der Notaufnahme verbracht.
Ich sehe Schusswunden, Schlangenbisse und immer wieder schwere Malariafälle. Viele Kinder sterben, weil sie nach stundenlangen Märschen, die ihre Mütter mit ihnen zu uns brauchen, einfach zu spät ankommen. Dutzenden anderen Kindern dagegen können wir täglich helfen, auch wenn sie teilweise schon bewusstlos sind oder wenn sie durch die Malaria fast ihr ganzes Blut verloren haben. Mit Infusionen, Bluttransfusionen und Sauerstoffgabe und unter enger Überwachung überstehen sie die kritischsten Stunden und sind nach ein bis zwei Tagen wieder wohlauf.
Nach einer Woche Behandlung kann Nyang wieder laufen
Besonders beeindruckt hat mich auch eine Erkrankung, die ich vorher nur vom Namen kannte: Brucellose. Brucellen sind Bakterien, die vor allem in Kuhmilch und Kuhfleisch vorkommen. Sie zählen zu den Gründen, weshalb wir in Deutschland unsere Milch pasteurisieren. Geschieht das nicht, kann man sich mit den Bakterien anstecken und eine schwere chronische Krankheit entwickeln, die nur sehr schlecht zu diagnostizieren ist. Immer wieder kommen Patienten, die über Wochen abends Fieber haben, dann zunehmend Gewicht verlieren, Blutarmut entwickeln und vor lauter Gelenkschmerzen nur noch mit dem Stock oder gar nicht mehr gehen können. Leider ist aktuell kein Test für diese Erkrankung verfügbar, und wir müssen allein aufgrund der klinischen Beschwerden entscheiden, ob wir eine Behandlung beginnen.
Nyang Kenyok, dessen Alter ich auf 60 Jahre schätze, ist einer von diesen Patienten. Seit mehr als zwei Jahren ist er krank und konnte am Schluss kaum noch laufen, bevor er zu uns in die Klinik kam. Wir wissen uns nicht weiterzuhelfen und beginnen bei ihm mit der Brucellosetherapie - auch ohne Test. Nach einer Woche sind seine Schmerzen schon deutlich geringer, und er kann einige Schritte auch ohne Stock gehen. Das hat mich besonders beeindruckt und gefreut, denn Nyang ist ein stolzer und beeindruckender Mann. Sein Bett war immer das sauberste, und geklagt hat er nie.
Die Teams müssen evakuiert werden
Im März will Ärzte ohne Grenzen eine Studie für Brucellosetests in Lankien beginnen. Ja, auch so etwas macht unsere Organisation. Ich hoffe, dass wir dann Patienten wie Nyang besser und schneller behandeln können. Ob das gelingen wird, ist allerdings fraglich: Nach meiner Rückkehr im Februar erhalte ich einen Anruf aus dem Südsudan. Militärverbände rücken auf den Ort vor, und wir haben schon einen Teil des Teams evakuiert. Oft wurden in der Vergangenheit im Südsudan Krankenhäuser zerstört und sogar Patienten getötet, wenn ein Ort erobert wurde. Auch von uns betriebene Kliniken waren betroffen. Ich hoffe so sehr, dass dieses Schicksal unserem Team und den Menschen in Lankien erspart bleibt.
Trotz all dieser Gefahr und dem wenigen, was es in Lankien gibt, wäre ich so gerne noch geblieben. Ich würde so gerne weiter all die Kinder mit Malaria behandeln, ja und vielleicht auch bei der Studie zur Brucellose mitmachen. Ach ja, und meine Lehmhütte, mein Tukul, vermisse ich auch."
*In diesem Teil des Südsudans lebt die Bevölkerungsgruppe der Nuer. Sie leben von der Viehzucht und Kühe bedeuten für sie den größten Reichtum.