„Bambari war im Kriegszustand“ – Furcht vor weiteren Gewaltausbrüchen
Es ist erst rund zwei Jahre her, dass der Bürgerkrieg in der Zentralafrikanischen Republik sich beruhigt zu haben schien. Doch in diesem Jahr gab es mehrere Wellen schwerer Kämpfe, in denen die zersplitterten und neu gruppierten Milizen agieren. Für die Bevölkerung in dem sehr armen Land, für die wir medizinische Hilfe leisten, ist das eine schlimme Situation. Unser ehemaliger Landeskoordinator Paul Brockman ist sehr besorgt – er hat in den vergangenen Wochen den brutalen Angriff auf Bambari miterlebt, das in der Mitte des Landes liegt. Er erklärt im Interview, weshalb man den Konflikt nicht einfach zwischen muslimischer und christlicher Bevölkerung verorten kann, und was es für die Menschen bedeutet, dass ein Teil unseres Teams evakuiert werden musste.
Was ist in Bambari seit Mitte Mai passiert?
Die erste neue Welle schwerer Kämpfe in Bambari begann am Morgen des 15. Mai. Die Spannung in der Zentralafrikanischen Republik ist im Moment so hoch, dass es nur einen kleinen Funken braucht, bis die Dinge schnell explodieren. Dieses Mal waren es die Leichen zweier Männer, die am Tag zuvor auf der Straße südlich von Bambari gefunden wurden. An diesem Abend waren bereits 300 Menschen ins Krankenhaus gekommen, weil sie glaubten, es könnte ein sicherer Zufluchtsort sein. Und plötzlich hörten wir am nächsten Morgen überall in der Stadt Schüsse, und Verwundete kamen ins Krankenhaus. Ganze Familien wurden durch Schüsse verletzt. Während dieser Woche befand sich Bambari im Kriegszustand. Von Mitte Mai bis Mitte Juni wurden 36 Menschen verletzt, aber wir befürchten, dass die Zahl viel höher ist, da viele nicht in das Krankenhaus kommen konnten.
Kann man den Konflikt wirklich als einen entlang religiöser Linien beschreiben?
Nein, der Konflikt in der Zentralafrikanischen Republik ist viel komplizierter als ein Konflikt zwischen Muslimen und Christen. Es gibt jetzt viel mehr aktive bewaffnete Gruppen als während des Konflikts von 2013 bis 2014. Die Allianzen, die gebildet werden, neigen dazu, je nach Gebiet sehr schnell die Seiten zu wechseln. Es geht um mehr als religiöse Spannungen; es geht um Zugang und Kontrolle von Ressourcen und Einfluss. In einem solchen Konflikt sind die ersten, die leiden, immer die Zivilbevölkerungen; ihrem eigenen Schicksal überlassen.
Bambari war eine der letzten angeblich ruhigen Städte, die 2017 zur "waffenfreien Zone" erklärt wurde. Warum explodiert die Lage dort so heftig?
Bambari war eine künstlich ruhige Insel mitten in einem tobenden Meer, umgeben von Kämpfen. Und diese neue Welle der Gewalt entstand nicht aus dem luftleeren Raum. Die Stadt schien ruhig zu sein, denn die UN-Mission in der Zentralafrikanischen Republik (MINUSCA) zwang die bewaffneten Gruppen vor einem Jahr aus der Stadt heraus und erklärte Bambari zu einer waffenfreien Stadt. Aber das bedeutete nur, dass diese Gruppen in die umliegenden Dörfer der Stadt zogen und dort nach anderen Mitteln suchten, um Geld zu verdienen. Dazu zählte die Erhebung von Steuern genauso wie das Bestehlen von Menschen auf der Flucht und von den in der Gegend lebenden Gemeinschaften. Am 15. Mai war die Stadt erneut von den Schießereien betroffen.
Welche sind die wichtigsten Konsequenzen für die Bevölkerung?
Eine Hauptsorge von uns in Bambari besteht darin, dass diese Explosion der Gewalt dazu führt, dass die Bevölkerung viel medizinische Hilfe benötigt. Einige Menschen flüchteten in das Krankenhaus und Tausende flohen über den Fluss Ouaka in Gebiete, die weiter von den Kämpfen entfernt lagen. Aber dadurch waren sie auch weiter von den verfügbaren Gesundheitszentren entfernt. Der Zugang zum Krankenhaus ist ein wichtiges Anliegen, da kranke und verletzte Menschen durch Straßensperren vorübergehend daran gehindert wurden, diese zu erreichen.
Was sind jetzt die wichtigsten medizinischen Bedürfnisse in Bambari?
Von dem Moment an, in dem man gezwungen wird, das eigene Zuhause bzw. den jeweiligen Zufluchtsort zu verlassen, ist man allen Gefahren ausgesetzt. Am häufigsten behandeln wir in der Zentralafrikanischen Republik Menschen, die an Malaria erkrankt sind. Da viele Menschen fliehen mussten und im Freien schlafen, steigt das Risiko, von einer Mücke gestochen zu werden, exponentiell an. Nach den Kämpfen Mitte Mai bauten unsere Teams acht Kilometer westlich von Bambari mobile Kliniken auf. Am ersten Tag wurden von den 165 an diesem Tag behandelten Patienten 120 positiv auf Malaria getestet. Zwei neue Fälle von Meningitis wurden ebenfalls bestätigt.
Kann Ärzte ohne Grenzen derzeit in Bambari arbeiten?
Es ist sehr schwierig. Am 30. Mai wurde es noch schlimmer, als unser Haus in Bambari mitten in der Nacht von bewaffneten Personen ausgeraubt wurde. Zum Glück wurden unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dort nicht ernsthaft verletzt. Danach beschlossen wir, den Großteil des Teams nach Bangui, in die Hauptstadt, zu evakuieren. Das Krankenhaus [in Bambari] hat zwei gewaltsame Übergriffe von bewaffneten Personen erlebt. Ohne zu zögern betraten sie das Gelände, um unter den Patientinnen und Patienten nach vermeintlichen Feinden zu suchen oder um ihre eigenen Leute herauszuholen, bevor andere Gruppen kämen, um sie zu töten. Ein kleines Team von uns blieb in Bambari. Nachdem wir die aktuelle Sicherheitslage überprüft hatten, beschlossen wir, ein chirurgisches und medizinisches Team zu entsenden, um sie zu unterstützen und den Verwundeten zu helfen, die nicht operiert werden konnten. Seit dem 15. Juni konnten wir sowohl chirurgische als auch medizinische Aktivitäten wiederaufnehmen. Es gibt aber immer noch Gesundheitseinrichtungen, die nicht funktionieren.
Werden humanitäre Helfer und medizinische Einrichtungen in Bambari nicht mehr respektiert?
Nun, dass bewaffnete Personen ins Krankenhaus kommen, um sich schießen und Patienten aus ihren Betten holen, ist völlig inakzeptabel. Das Krankenhaus sollte ein Ort sein, an dem alle willkommen sind. Die Menschen müssen sich im Krankenhaus sicher fühlen können und sicher sein können, dass ihnen niemand etwas antun wird. Das ist in Bambari nicht der Fall. Wenn das nicht möglich ist, kann niemand dort arbeiten oder Patient sein. Und das ist unglaublich frustrierend für unsere Teams.