„Ich bin Zivilist und kein Kämpfer. Warum haben sie mich angegriffen?” – Gewalt gegen Zivilisten und massenhafte Vertreibung
In der Stadt Bria und weiteren Orten in der Zentralafrikanischen Republik werden bei Kämpfen zwischen bewaffneten Gruppen immer häufiger Zivilisten angegriffen. Ein Überlebender schildert den brutalen Angriff auf seine Familie.
Thomas sitzt auf einer Station im Krankenhaus von Bria. Sämtliche Finger seiner Hände wurden amputiert, sein linker Arm ist gebrochen. Eine Schiene stützt eines seiner Beine, dessen Oberschenkel durch Machetenhiebe verletzt wurde. „Es war 8 Uhr morgens, am 16. Mai, einem Dienstag. Ich war mit meiner Familie zuhause und wir hatten Freunde zu Besuch. Sie sind gewaltsam eingedrungen und hatten Macheten und Keulen dabei. Sie haben die Frauen nach draußen getrieben und uns zusammengeschlagen. Sie sagten, wir seien Anti-Balaka. Dabei war ich 40 Jahre lang Reiseleiter bei Safaris”, sagt Thomas. Er ist vielleicht 65 oder 70 Jahre alt und nur eines der Opfer der Kämpfe, die den Ort zwischen dem 15. und 18. Mai 2017 erschütterten. Der Angriff gegen ihn und seine Familie ist kein Einzelfall. Immer häufiger kommt es in Bria und weiteren Orten der Zentralafrikanischen Republik zu brutalen Zwischenfällen, bei denen Zivilisten angegriffen werden.
Ganze Wohnviertel sind menschenleer
Zwischen Zivilisten und Kämpfern wird offensichtlich kein Unterschied mehr gemacht. Das wissen die Menschen nur zu gut, und deshalb fliehen sie bei der ersten sich bietenden Gelegenheit. In Bria, einer Stadt mit 47.000 Einwohnern, die von verschiedenen bewaffneten Gruppen kontrolliert wird, sind ganze Wohnviertel verwaist. An den Häusern sieht man Spuren von Kämpfen: Einschusslöcher, verkohlte Wände, eingestürzte Dächer. „Ich kann nirgendwo mehr hingehen”, fährt Thomas fort. „Alles wurde zerstört und geplündert. Alle Geschenke, die ich von europäischen Kunden als Dank für meine Dienste als Reiseleiter bekommen habe, wurden gestohlen. Ich habe alles verloren. Meine Familie und ich sind fürs erste im Krankenhaus untergekommen. Wenn wir hier weg müssen, gehen wir in den Wald. Wir kehren nicht in unser Viertel zurück.” Wie Thomas und seine Familie übernachten rund 6.000 Menschen lieber auf dem Krankenhausgelände, wo sie zusammen mit den Mitarbeitern wohnen.
25.000 Menschen in einem Lager für 3.000
Etwa 41.000 Menschen, mehr als 85 Prozent der Einwohner von Bria, sind aus ihren Häusern geflohen. Die meisten dieser erst vor kurzem Vertrieben haben Zuflucht im Lager PK3 gesucht, wo sie hoffen, sicher zu sein. Das Camp war ursprünglich für rund 3.000 Menschen eingerichtet worden, nachdem im November 2016 Kämpfe ausgebrochen waren. Aktuell leben 25.000 Menschen dort und ihre Zahl steigt täglich. Das meiste Glück haben diejenigen, die vor acht Monaten angekommen sind und in der Mitte des Lagers einen Wohnplatz gefunden haben. Um sie herum stehen überall notdürftige Behausungen, die aus Stangen und Plastikplanen zusammengeflickt worden sind und nicht mehr als ein Dach überm Kopf und eine Matte auf der nackten Erde bieten. Der kleine Wald, der das Lager umgab, wurde innerhalb weniger Tage von den neu Ankommenden abgeholzt, weil man Baumaterial zum Schutz der Menschen brauchte.
Ärzte ohne Grenzen mit mobilen Kliniken im Einsatz
Ärzte ohne Grenzen hat die Zahl mobiler Kliniken für Kinder unter 15 Jahren im Vertriebenenlager PK3 erhöht. In den vergangenen zwei Wochen haben die Teams mehr als 600 Konsultationen durchgeführt, vor allem wegen Malaria. Die Hilfsorganisation stellt auch Wasser bereit, weil der Mangel an Latrinen und Wasser im Fall einer Epidemie katastrophale Folgen haben kann. Die humanitäre Hilfe in Bria reicht nicht aus, um den Bedarf der neu Ankommenden an Gebrauchsgütern für die Grundversorgung, wie Plastikplanen und Seife, zu decken. Akutfälle unter den Kindern werden ins Krankenhaus verlegt, wo Ärzte ohne Grenzen zwischen dem 15. und 18. Mai 2017 44 Verwundete behandelt hat, unter denen auch Thomas war.
Ärzte ohne Grenzen entsendet mobile Teams auch ins 10 km von Bria entfernte Kolaga. Dort kommen jetzt Menschen an, die aus dem Süden von Bria vertrieben worden sind und aus entlegeneren Gebieten fliehen, wo Misshandlungen zu oft unbemerkt bleiben.