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„HIV ist eine tödliche Bedrohung, aber in der Gemeinschaft hat man eine echte Chance!“

„Wir verstecken uns nicht!" Im Video erzählt Laurent Lwindi Mukota, HIV-Programmkoordinator in der Zentralafrikanischen Republik, von den Vorteilen eines Modells, das auf den Zusammenhalt der Gemeinschaft setzt.

HIV ist kein Todesurteil mehr. Es gibt Medikamente, die die Viruslast stabil halten und eine Übertragung verhindern können. Grundvoraussetzung ist allerdings eine lebenslange tägliche Einnahme von Antiretroviralen Medikamenten. Von den 37,9 Millionen Menschen mit HIV in 2018 lebten jedoch Zweidrittel in Ländern Subsahara-Afrikas. Die Gesundheitssysteme in vielen dieser Länder sind nicht in der Lage die Versorgung von Tausenden HIV-Patient*innen zu leisten. In solchen Kontexten arbeiten wir mit Strategien, die den besonderen Lebensrealitäten der Menschen Rechnung tragen und die die lokalen Gemeinschaften stärker mit einbeziehen. So wie in der Zentralafrikanischen Republik, wo nach Schätzungen 110.000 Menschen mit HIV leben und es 2018 zu beinahe 5.000 AIDS bedingten Todesfällen kam. Bei der Strategie handelt es sich um das sogenannte CAG-Modell.

CAG bedeutet „Community ART Groups“, wobei das ART für „antiretroviral treatment“ steht. Es ist eine Strategie, die sich besonders gut in einkommensschwachen Regionen und ländlich geprägten Gesellschaften etablieren lässt. In Ländern, wo die Wege gefährlich und die Gesundheitseinrichtungen weit entfernt sind, sind die sozialen Bindungen lokaler Gemeinschaften häufig stark. Nach erfolgreicher Anwendung der Strategie in Malawi, Mosambik und Zimbabwe wurde das Model erstmals auch in der Zentralafrikanischen Republik, in Zemio, eingeführt. 

Das Projekt in Zemio, eine Stadt im Süden des Landes, startete im November 2016 mit 95 Patient*innen und fünf Gruppen. Ein Aufflammen der Gewalt in der Region in 2017 zwang uns dazu, unsere Arbeit zeitweise einzustellen. Damals wurden Zehntausende zur Flucht vor den bewaffneten Kämpfen gezwungen, sodass Zemio beinahe zur Geisterstadt wurde. Nachdem sich die Situation wieder einigermaßen beruhigt hatte, konnten wir unsere Arbeit erfolgreich fortsetzen. Heute organisieren sich 1.132 Patient*innen in 75 Gruppen und sorgen gemeinsam dafür, dass alle ihre Medikamente erhalten.

Am Anfang steht ein Fest

Einer, der vom ersten Moment an dabei war, ist Laurent Lwindi Mukota. Er ist HIV-Programmkoordinator für Ärzte ohne Grenzen in der Zentralafrikanischen Republik. Wenn Laurent von seinen Erfahrungen mit der CAG-Strategie erzählt, gerät er ins Schwärmen. „Die Stigmatisierung, die die Menschen mit HIV empfinden, zurückzudrängen war einer der großen Erfolge der CAG-Strategie“, erzählt Laurent: „Wir machen keine geheimen Treffen, wir verstecken uns nicht, wir halten unsere Meetings mit Patienten draußen ab. Sie äußern sich offen. Und wenn Medikamente benötigt werden, müssen Patienten sie nicht im Geheimen nehmen.“ Doch gibt Laurent auch zu, dass es eine gut geplante Vorbereitung braucht, um diese größere Akzeptanz von Menschen mit HIV in den Gemeinschaften zu erreichen. 

Was er damit meint, lässt sich gut am Beispiel von Boguila nachvollziehen. 2018 wurde das CAG-Model auch in dieser Region im Norden des Landes eingeführt. Für den Start des Models in einer neuen Region braucht es nicht nur die Aufmerksamkeit der Menschen, sondern auch ihre Bereitschaft, sich auf HIV testen zu lassen. „Also haben wir am 2. Dezember 2018 in Boguila ein großes öffentliches Fest organisiert“, erklärt Laurent. Die Teams von Ärzte ohne Grenzen trugen das Thema auf die Straße, gut sichtbar auf weiße T-Shirts gedruckt unter dem Motto: „Kenne deinen Status“. Musik und Tanz sollten dem Thema die Schwere nehmen und Reden von Menschen mit HIV halfen den Zuschauer*innen Ängste davor abzubauen, sich auf HIV testen zu lassen. „Dabei erzählten neun Patienten öffentlich ihre Geschichten über das Leben mit HIV.“

Auf das Gewinnen der Aufmerksamkeit, wenn die Menschen zum ersten Info-Treffen kommen, folgt die Aufklärungsarbeit: Was genau bedeutet ein Leben mit HIV? Wie verläuft die Krankheit? Was ist eine Viruslast und was notwendig um sie auf einem gesunden Niveau zu halten? Geduldig antworten Laurent und sein Team auf alle Fragen und erklären den Betroffenen, was sie über die Krankheit wissen müssen und wie ihnen die CAG-Strategie dabei helfen kann, ein Leben mit HIV zu führen. „Die Menschen lernen zu verstehen, dass das Virus wie jede andere chronische Krankheit ist und dass es einen Weg gibt, ihre Lebenssituation zu verbessern.“

Community ART Groups 

Der Prozess, wie sich eine neue Gruppe, also eine CAG, bildet, ist einfach: Kommen genug HIV-positive Menschen, die aus der gleichen Gegend stammen und eine stabile Viruslast aufweisen, zusammen, kann eine neue CAG gebildet werden. „Die Patienten kommen zusammen und wählen einen Gruppenleiter“, erzählt Laurent. „Dann kommen sie als Gruppe zu uns und wir führen Viruslast-Tests durch. Wenn die Patienten stabil sind, versorgen wir sie sechs Monate lang mit Medikamenten.“ Denn HIV-Patient*innen, die ein stabiles virales Level aufweisen, brauchen keine intensive medizinische Versorgung. Solange sie die antiretroviralen Medikamente zuverlässig erhalten, können sie ein normales Leben führen, ähnlich wie Diabetiker*innen, die ihr Insulin nehmen müssen.

Während der ersten sechs Monate sollen die Menschen in den Gruppen in Kontakt bleiben. Vor Ablauf der Medikamentenration wird im wechselnden Turnus eine Person mit den Rezeptkarten aller Mitglieder in die Gesundheitseinrichtung geschickt. Nach einem Jahr muss die gesamte Gruppe kommen und es werden Beratungen angeboten und jährliche Viruslast-Tests durchgeführt. Diese Art der gemeinschaftlich organisierten Medikamentenverteilung bei gleichzeitiger Gewährleistung der jährlichen Kontrolle birgt also gleich mehrere Erleichterungen für die Menschen. 

Eine*r für alle, alle für eine*n

„Eines der größten Hindernisse bei der täglichen Einnahme der lebenswichtigen Medikamente wird durch die Medikamentenvergabe für sechs Monate überwunden Denn lediglich ein Gruppenmitglied im halben Jahr muss sich auf den womöglich gefährlichen Weg machen und nicht alle jeden Monat“, erklärt Laurent. Das beste Zeichen dafür, dass die Strategie Erfolge erzielt, belegen die Viruslasten der CAG-Mitglieder in Zemio, die sich bei 78,5 Prozent stabilisiert haben. Auch in der Region um Boguila wachsen die Teilnehmer*innenzahlen und es stellen sich erste Erfolge ein.

Neben der zuverlässigeren Versorgung mit Medikamenten stärkt die CAG-Strategie die Gemeinschaften auch auf anderen Ebenen. In einer Gruppe können sich die Menschen mit HIV gegenseitig beraten und unterstützen. Ist jemand krank, können die anderen ihn oder sie zur Pflege an das Gesundheitszentrum überweisen, in dem sie zum Beispiel gemeinsam für den Transport aufkommen. So lassen sich nicht nur die individuellen Kosten reduzieren, sondern darüber hinaus erlaubt es die Medikamentenvergabe für sechs Monaten den Patient*innen, zu Hause zu bleiben und zu arbeiten. „Man kann es auf eine einfache Formel bringen“, sagt Laurent. „Wenn du in der Zentralafrikanischen Republik auf dich allein gestellt bist, ist HIV eine tödliche Bedrohung. Aber in der Gemeinschaft hast du eine echte Chance damit zu leben.“