Fünf Gründe, warum uns die Schließung des Lagers M‘Poko interessieren sollte
Die schwere Krise, in der sich die Zentralafrikanischen Republik seit langer Zeit und zuletzt seit den Kämpfen um die Machtübernahme 2012/13 befindet, wurde international kaum beachtet. Die einzige Ausnahme stellt vielleicht eine Fotografie dar, die der Situation vor Ort auf besondere Weise Ausdruck verleiht. Sie zeigt tausende Vertriebene, die direkt neben dem Rollfeld des internationalen Flughafens M’Poko in der Hauptstadt Bangui lebten. Durch den bewaffneten Konflikt im Land flüchteten sich zeitweise bis zu 100.000 Menschen in das improvisierte Lager. Sie lebten in alten Flugzeugen, Lagerhallen oder aus Schrott gebauten Unterkünften. Nach drei Jahren wurde das Camp nun geschlossen und die meisten Menschen sind nach Hause zurückgekehrt. Doch steht die Schließung des Lagers für eine Verbesserung der Lage im Land? Wir nennen fünf Gründe, weshalb wir uns mit der Schließung beschäftigen sollten:
1. Weil es nicht vorüber ist
Die Schließung des M’Poko-Vertriebenenlagers ist eine gute Nachricht: Sie ist ein Zeichen für eine Stabilisierung in der Zentralafrikanischen Republik. Allerdings ist die Schließung vor allem symbolisch: Die Menschen kehren zurück, doch sie finden dort kaum etwas vor. Es herrschen prekäre Sicherheitsverhältnisse, es gibt so gut wie keine Infrastruktur, und viele Häuser sind zerstört. Ein Viertel der Bevölkerung ist immer noch auf der Flucht.
Das Lager sollte schon seit drei Jahren geschlossen werden. Nach einem relativ ruhigen Jahr wohnten im September 2015 beispielsweise noch knapp 6.000 Menschen dort. Unsere Teams bereiteten sich darauf vor, ihre Aktivitäten im Lager einzustellen. Doch nur ein paar Tage vor dem Abzug brach der Konflikt erneut aus. Und wieder flüchteten sich Tausende in den relativ sicheren Flughafen. Es zeigt sich, dass man in der Zentralafrikanischen Republik leider nie weiß, was die Zukunft bringt.
2. Weil die Situation im Lager nicht (nur) aussichtslos war
Unsere Teams waren von Anfang an im Lager aktiv und beobachteten dort die Folgen furchtbarer Taten, wie zum Beispiel Verstümmelungen. Die Lebensbedingungen für die tausenden traumatisierten Menschen waren sehr schwierig. Trotz allem versuchten sie, ein Mindestmaß an Würde aufrecht zu erhalten.
Mehr als 5.800 Babys wurden in unserem Krankenhaus geboren. Durch unsere Arbeit im Lager konnte auch Menschen von außerhalb geholfen werden. Sie liefen teilweise Stunden zu Fuß, um uns zu erreichen, weil es keine andere kostenlose medizinische Betreuung gab. Zuletzt waren rund zwei Drittel unserer Patientinnen und Patienten keine Lagerbewohner. Diese Menschen sind nun wieder abhängig vom äußerst schwachen öffentlichen Gesundheitssystem.
3. Weil die Situation auch eine internationale Angelegenheit ist
Am 4. Dezember 2013 entschieden der UN-Sicherheitsrat und Frankreich unabhängig voneinander, dass man dem brutalen Konflikt ein Ende setzen müsse. Nur einen Tag danach eskalierten die Kämpfe in Bangui und die Menschen begannen, zum M’Poko-Flughafen zu fliehen. Sie erhofften sich Schutz durch die dort stationierten Truppen der Vereinten Nationen und Frankreichs. Allerdings ist der Ruf dieser internationalen Truppen stark durch Anschuldigungen des sexuellen Missbrauchs beschädigt, die bis heute nicht aufgeklärt wurden. Bis heute findet die große Not der Bevölkerung international kaum Beachtung. Kaum jemand ist bereit, zu helfen.
4. Weil M’Poko zumindest für etwas Aufmerksamkeit sorgte
Trotz allem wurde durch die Bilder des M’Poko-Vertriebenenlagers erstmals mehr über die dortige humanitäre Krise berichtet. Die Vertriebenen waren buchstäblich das erste, was man bei der Ankunft im Land sah. Weil das Bereisen des Landes fast unmöglich war, wurde der M’Poko-Flughafen für Journalisten und ihre Leser weltweit zum Inbild der vergessenen Krise.
Heute ist das symbolträchtige M’Poko-Lager geschlossen, aber die Probleme des Landes sind noch da. Die Hälfte der Bevölkerung ist weiterhin auf Hilfsorganisationen angewiesen. Dabei erhielten weder das Lager noch das Land insgesamt internationale Hilfe in einer Dimension, wie sie für andere Lager auf der Welt bereitgestellt wird. Abgesehen von der Versorgung mit militärischer Ressourcen steht die Situation in der Zentralafrikanischen Republik trotz der großen Not ganz unten auf der internationalen Agenda.
5. Weil Sie etwas Gutes bewirkt haben
Das M’Poko-Lager war ein besonderes Projekt für Ärzte ohne Grenzen. In nur wenigen Tagen haben unsere Teams mitten in diesem sehr brutalen gewaltsamen Konflikt ein provisorisches Krankenhaus mit 60 Betten errichtet. Unsere Teams arbeiteten jeden Tag, tausend Tage lang. Neben internationalen Mitarbeitern gab es auch viele mutige einheimische Mitarbeiter. Alle zentralafrikanischen Kolleginnen und Kollegen hatten mit ihren Familien immens unter dem Konflikt zu leiden. Manche von ihnen hatten alles verloren und mussten selbst im Vertriebenenlager leben. Unsere Teams haben insgesamt 440.000 Sprechstunden abgehalten, 46.000 medizinische Eingriffe in der Notaufnahme und 11.000 Einweisungen in unser Krankenhaus durchgeführt.
All das wurde durch die Hilfe von privaten weltweiten Spendern möglich gemacht, die uns unterstützen. Wir bedanken uns im Namen unserer Patientinnen und Patienten dafür!
Die Krise in der Zentralafrikanischen Republik ist nicht zu Ende. Ärzte ohne Grenzen liefert mit 17 Projekten weiterhin einen wichtigen Beitrag zur medizinischen Versorgung im ganzen Land, unter anderem mit einem chirurgischen Programm und einer Entbindungsklinik in Bangui.