Ärzte ohne Grenzen verurteilt Quarantäne im Lager Moria – Appell an Bundesregierung
Lesbos/Berlin, 04.09.2020. Die von der griechischen Regierung im Flüchtlingslager Moria auf Lesbos verhängte Massenquarantäne ist Ärzte ohne Grenzen zufolge gefährlich und muss auf alle Fälle vermieden werden. Die dortige Regierung hat die Pflicht, die öffentliche Gesundheitsversorgung für die Geflüchteten zu verbessern und sie nicht unter entsetzlichen Bedingungen einzusperren und dabei so zu tun, als wolle sie die Insel vor der Verbreitung des Virus schützen, so die Hilfsorganisation. Denn die Zahl der Covid-19-Fälle auf Lesbos außerhalb von Moria steigt, während es bislang gibt nur einen bestätigten Fall unter den Bewohnern des Lagers gibt.
„Offensichtlich hat die Gesundheitsbehörde auf Lesbos damit begonnen, die Bewohner des Lagers auf Covid-19 zu testen, aber das ist nur ein kleiner Teil dessen, was jetzt passieren muss“, sagt Caroline Willemen, Einsatzleiterin von Ärzte ohne Grenzen für Covid-19 auf Lesbos. „Nötig ist jetzt eine gut geplante Aktion, mit Nachverfolgung von Kontaktpersonen ebenso wie Tests, mit einer fundamentalen Verbesserung der Hygienebedingungen und der Gesundheitsversorgung. Wir können keine Rechtfertigung für die Massen-Zwangsquarantäne erkennen, und wir wissen, dass diese Maßnahme die psychischen Beschwerden unserer ohnehin schon sehr stark belasteten Patienten weiter verschlimmern wird. In Moria leben auch ältere Menschen mit Vorerkrankungen, Schwangere und Kinder, die Angst haben und die nun als Ergebnis dieser Politik noch mehr seelische Erschütterungen erleiden werden. Die Regierung sollte diese Menschen schützen. Stattdessen sperrt sie sie zusammen mit dem Coronavirus in das Lager ein und setzt sie ihm aus.“
„Die Bundesregierung trägt eine besondere Mitverantwortung für die desaströsen Verhältnisse in Moria und muss nun dringend auf EU-Ebene dafür sorgen, dass die Menschen in den EU-Hotspots auf den griechischen Inseln wirksam vor Covid-19 geschützt werden“, sagt Marie von Manteuffel, Expertin von Ärzte ohne Grenzen für Flüchtlingspolitik. „Sie hat maßgeblich den EU-Türkei-Deal verhandelt, der für das Festsitzen der Schutzsuchenden verantwortlich ist, und hat aktuell die EU-Ratspräsidentschaft inne. In den EU-Hotspots müssen umgehend humanitäre Mindeststandards erfüllt werden - oder die Lager müssen komplett geräumt werden.“
Es gibt im Lager Moria mehr als 200 namentlich benannte Personen, die aufgrund ihres Alters und ihres Gesundheitszustands ernsthaft von Covid-19 bedroht sind. Seit Monaten fordert Ärzte ohne Grenzen gemeinsam mit anderen Akteuren, diese besonders gefährdeten Menschen in sichere Unterkünfte auf Lesbos, auf dem Festland oder in anderen EU-Staaten zu bringen. Im April versprach die griechische Regierung eine solche Evakuierung, aber fünf Monate später sind diese Menschen immer noch gefangen und nun durch die Quarantäne auch noch eingeschlossen.
Nötig ist laut Ärzte ohne Grenzen jetzt ein umfassendes Maßnahmenpaket:
- Keine schädlichen Maßnahmen wie das Einsperren der Menschen, stattdessen:
- Ausreichende Informationen für die Betroffenen und enge Kooperation mit ihnen
- Ausreichende Hygienemaßnahmen, die für alle zugänglich sind
- Evakuierung und Abschirmung von Risikopersonen
- Massenhaftes Testen
- Isolation und Behandlung der positiv getesteten Patienten
- Nachverfolgung von Kontaktpersonen
- Quarantäne ausschließlich an Orten, an denen wenigstens Minimalstandards bei Hygiene, Gesundheitsversorgung und Unterbringungsbedingungen sichergestellt sind
Bislang besteht die Reaktion der Behörden aus einer einzigen Maßnahme – dem Beginn der Tests im Lager – und der unnötigen Verhängung einer Massen-Zwangsquarantäne. Um ihrer Pflicht zur Versorgung der Menschen nachzukommen, muss die griechische Regierung dringend die anderen notwendigen Maßnahmen umsetzen oder Moria komplett evakuieren. Die Massenquarantäne wird stattdessen neues Leid verursachen und niemandem nutzen.