Griechenland: Regierung treibt Tausende Flüchtlinge gezielt in die Obdachlosigkeit
Athen, 14. Juli 2020. In Griechenland droht einer wachsenden Zahl von Geflüchteten mit schwerwiegenden gesundheitlichen oder psychischen Problemen die Vertreibung aus ihren Unterkünften. Die internationale Nothilfeorganisation Ärzte ohne Grenzen kritisiert, dass die Betroffenen ohne Schutz und angemessene medizinische Versorgung gezielt in die Obdachlosigkeit gedrängt werden und zudem von finanzieller Unterstützung abgeschnitten werden.
Die griechische Regierung strebt danach, überfüllte Geflüchtetenlager etwa auf den Inseln Moria und Samos rasch zu entlasten. Zu diesem Zweck haben die Behörden damit begonnen, mehr als 11.000 Geflüchtete aus ihren Unterkünften auszuweisen, sowohl auf dem griechischen Festland als auch auf den griechischen Inseln. Viele dieser Menschen sind äußerst schutzbedürftig. Zu ihnen zählen Opfer von sexueller Gewalt, Folter und Misshandlung, ältere Menschen sowie chronisch kranke Menschen. Ärzte ohne Grenzen fordert die griechische Regierung dazu auf, die Räumungsmaßnahmen auszusetzen und bestehende Kapazitäten zur Unterbringung von Geflüchteten auszuweiten.
„Wir haben Patienten mit schweren Krankheiten, die vertrieben werden. Auf dem Viktoria-Platz im Zentrum Athens müssen bereits Hunderte von Geflüchteten unter freiem Himmel kampieren, unter ihnen auch Hochschwangere. Mitten in der Coronavirus-Pandemie sollte die Regierung Menschen mit hohem Infektionsrisiko schützen, anstatt sie ohne Zugang zu medizinischer Grundversorgung auf die Straße zu setzen“, erklärt Marine Berthet, die medizinische Koordinatorin von Ärzte ohne Grenzen in Griechenland.
Im Juni dieses Jahres starb eine Patientin von Ärzte ohne Grenzen durch einen Herzstillstand. „Diese Patientin war querschnittsgelähmt, zudem litt sie an Diabetes und an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung. Dennoch drohte man ihr mehrfach mit einer Räumung ", sagt Berthet. Die Familie der Frau holte sie in das Lager Schisto, in dem ihr Sohn mit zwölf anderen Personen in einem Container untergebracht war, zwei Tage später starb die Frau. „Der Fall der verstorbenen Frau ist nur einer von vielen", erklärt Berthet. „Inzwischen füllen sich die öffentlichen Plätze mit gefährdeten Geflüchteten. Ihre grundlegendsten Bedürfnisse können hier nicht gedeckt werden.“
Im Februar erhielt Griechenlands Regierung Mittel der Europäischen Union für das Erweitern von Unterkünften für Geflüchtete auf dem Festland, allerdings wurden bis jetzt noch keine ergänzenden Wohnmöglichkeiten zur Verfügung gestellt. Im Gegenteil: Das für Migration und Asyl zuständige Ministerium legte sich im Juni darauf fest, seine Ausgaben für die Unterbringung von Asylsuchenden um bis zu 30 Prozent zu kürzen.
Ärzte ohne Grenzen fordert die griechische Regierung, die EU sowie alle am Bereitstellen von Unterkünften beteiligten Organisationen dringend auf, sofort Lösungen für die Unterbringung jener Flüchtlinge zu schaffen, die derzeit auf dem Viktoria-Platz in Athen kampieren müssen. Bis alle administrativen Hindernisse für die Integration und den Zugang zur medizinischen Versorgung beseitigt sind, muss die Vertreibung von Flüchtlingen aus bestehenden Lagern grundsätzlich gestoppt werden.