Ärzte ohne Grenzen: Freihandelsabkommen zwischen der EU und Indien könnte sich negativ auf den Zugang zu Arzneimitteln auswirken
Brüssel/Berlin, 15. März 2023. Ärzte ohne Grenzen warnt vor negativen Folgen eines Freihandelsabkommens zwischen der EU und Indien für den Zugang zu Medikamenten. Die Hilfsorganisation fordert die EU auf, zu ihrer früheren Zusagen zu stehen und dafür zu sorgen, dass das Freihandelsabkommen Indien nicht zur Einführung sogenannter Datenexklusivitätsbestimmungen verpflichtet. „Es ist sehr besorgniserregend zu sehen, dass die EU von ihren Zusagen abrückt und in den laufenden Handelsverhandlungen mit Indien erneut auf schädliche Bestimmungen wie die Verlängerung der Patentlaufzeit und Datenexklusivität drängt”, sagt Dimitri Eynikel, Experte für EU-Politik der Medikamentenkampagne von Ärzte ohne Grenzen.
„Diese Bestimmungen würden die Monopolstellung multinationaler Pharmakonzerne weiter stärken und Generikahersteller aus Indien daran hindern, lebensrettende Medikamente zu liefern, auf die Ärzte ohne Grenzen und Millionen von Menschen auf der ganzen Welt angewiesen sind”, sagt Dimitri Eynikel. „In den vergangenen Verhandlungen hatte Indien diese Bestimmungen, die über die internationalen Handelsregeln hinausgehen, erfolgreich beseitigt, um den Zugang zu Medikamenten für Menschen in ärmeren Ländern zu gewährleisten.”
„Auch Ärzte ohne Grenzen ist auf die bezahlbaren, qualitätsgesicherten Generika angewiesen, die in Indien hergestellt werden, um Menschen zu behandeln, die etwa an Tuberkulose, Malaria, HIV/AIDS und anderen Infektionen leiden“, sagt Melissa Scharwey, politische Referentin bei Ärzte ohne Grenzen. „Der Wettbewerb zwischen den Generikaherstellern senkt die Arzneimittelpreise; die niedrigeren Preise sind notwendig für gerechteren Zugang und retten Leben. Dies ist aber durch Freihandelsabkommen bedroht, die die Monopole für geistiges Eigentum an Arzneimitteln ausweiten.“
Diese Woche treffen sich Delegationen des indischen Handelsministeriums und der Europäischen Kommission in Brüssel, um die Verhandlungen über das Freihandelsabkommen fortzusetzen. Im Juni 2022 hatten die Europäische Union (EU) und Indien die Verhandlungen über dieses Freihandelsabkommen wieder aufgenommen. Diese umfassten auch erneute Gespräche über ein Kapitel zu Fragen des geistigen Eigentums, darunter auch zu Arzneimitteln. Seitdem wurden drei Verhandlungsrunden abgeschlossen, und die vierte Verhandlungsrunde findet diese Woche statt (13. bis 17. März 2023).
Zwischen 2007 und 2013 hat die EU ihre Position überarbeitet und sich verpflichtet, zwei Bestimmungen zum geistigen Eigentum aus einem früheren Verhandlungstext zu streichen, nachdem es starken Widerstand gab, unter anderem von Ärzte ohne Grenzen und Patient*innengruppen. Zudem hatte sich die indische Regierung geweigert, diese Vorschläge zu akzeptieren.
Der von der EU im Juli 2022 veröffentlichte Entwurf des Freihandelsabkommens zwischen der EU und Indien zeigt jedoch, dass die EU einige dieser zuvor gestrichenen Bestimmungen wieder eingeführt hat. Eine davon ist die so genannte „Datenexklusivität“, die Zulassung von Generika verzögern würde, selbst wenn es kein Patent auf das betreffende Arzneimittel gibt. Durch die Verlängerung oder Ergänzungen der Patentlaufzeit wird der Patentschutz der Arzneimittelhersteller über die bestehende 20-jährige Laufzeit hinaus verlängert, wodurch der Markteintritt von Generika für neuere Behandlungen um mehrere Jahre blockiert wird. Der vorgeschlagene Text enthält auch Bestimmungen zur Durchsetzung des geistigen Eigentums, die den rechtmäßigen Handel mit Generika behindern könnten.
„Die EU muss unverzüglich alle Vorschläge zurückziehen, die sich nachteilig auf den Zugang zu Arzneimitteln auswirken könnten, insbesondere die Bestimmungen, zu deren Rücknahme sie sich zuvor verpflichtet hatte”, sagt Dimitri Eynikel. „Wir fordern das indische Handelsministerium außerdem dazu auf, den Widerstand des Landes gegen alle problematischen Bestimmungen zum geistigen Eigentum aufrechtzuerhalten, welche die EU in diesem Handelsabkommen vorschlägt und die den Zugang zu bezahlbaren generischen Arzneimitteln aus Indien sowie deren Herstellung und Lieferung gefährden könnten."