Libyen: Ärzte ohne Grenzen ruft zur Evakuierung von Geflüchteten auf
Paris/Berlin, 20. Juni 2020. Ärzte ohne Grenzen fordert eine rasche Evakuierung von Geflüchteten und Migrant*innen aus Libyen. Insbesondere die europäischen Staaten und die USA sollten dafür sorgen, dass die Menschen in Sicherheit gebracht werden. Am heutigen Weltflüchtlingstag veröffentlicht Ärzte ohne Grenzen den Report „Out of Libya“, der die Lage der in Libyen festsitzenden Menschen beschreibt.
„In Libyen ist die Mehrheit der Geflüchteten und Migrant*innen willkürlicher Inhaftierung, Folter oder Gewalt ausgesetzt“, sagt Claudia Lodesani, Projektverantwortliche von Ärzte ohne Grenzen für Libyen. Aus diesem Grund ist die oftmals tödliche Migrationsroute über das Mittelmeer für viele der einzige Ausweg aus der Situation. „Wir sind der Meinung, dass sichere Länder, insbesondere aus der Europäischen Union, die Pflicht haben, die Evakuierung zu erleichtern und diesen Menschen Schutz zu gewähren”, fordert Lodesani. „Das gilt besonders, da diese Länder seit Jahren die sogenannte libysche Küstenwache mitfinanzieren und die erzwungene Rückführung von Geflüchteten und Migrant*innen nach Libyen fördern.“
Ärzte ohne Grenzen unterstützt Geflüchtete und Migrant*innen in Libyen seit 2016. Immer wieder gab es seither Schwierigkeiten, Patient*innen adäquat zu behandeln. Auch bei Menschen mit schwersten physischen oder psychischen Erkrankungen konnte oft keine kontinuierliche medizinische Versorgung geleistet werden.
Der Report „Out of Libya“ zeigt alternative legale Fluchtwege aus Libyen auf, wie sie von Hilfsorganisationen in Zusammenarbeit mit verschiedenen Regierungen gestartet wurden. Insbesondere in Italien wurde etwa ein humanitärer Korridor geschaffen, der die Evakuierung von besonders gefährdeten und schutzbedürftigen Menschen ermöglicht, darunter auch Patient*innen, die von Ärzte ohne Grenzen in Libyen behandelt wurden.
„Für Deutschland bedeutet das zuallererst, die enormen bürokratischen Hürden abzubauen, die momentan jede Evakuierung auch der schwersten humanitären Einzelfälle aus Libyen nach Deutschland verhindern“, sagt Marie von Manteuffel, Expertin für Flucht- und Migrationsthemen von Ärzte ohne Grenzen, die zuletzt mehrere Monate in dem Land im Einsatz war. „Die Bundesregierung kann sich nicht ihre internationalen Vermittlungen der vergangenen Jahre auf die Fahnen schreiben, aber gleichzeitig keine Schritte einleiten, Menschen aus dieser ausweglosen Lage herauszuholen”, betont von Manteuffel. „Denn eine der Hauptursachen für dieses menschliche Leid ist die europäische Abschottungspolitik”.
Nur sehr wenige Menschen können derzeit die wenigen legalen Möglichkeiten nutzen, die vom UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) und der Internationalen Organisation für Migration (IOM) eingerichtet wurden, und in sichere Länder gelangen. Von den rund 40.000 Menschen, die für das sogenannte Resettlement-Programm des UNHCR registriert wurden, haben nur 1.662 Menschen Libyen im vergangenen Jahr verlassen. Insgesamt leben derzeit rund 600.000 Geflüchtete und Migrant*innen in Libyen.
Ärzte ohne Grenzen ist eine der wenigen internationalen Nichtregierungsorganisationen, die in Libyen tätig ist. Mitarbeitende bieten Geflüchteten und Migrant*innen, die in Internierungslagern oder informellen Unterkünften leben, unter anderem eine allgemeine medizinische Grundversorgung und psychosoziale Unterstützung.
Interviews mit Marie von Manteuffel sind möglich.