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Myanmar

Laut Studie mindestens 6.700 Rohingya in Rakhine umgebracht

Dhaka/Berlin, 14. Dezember 2017. Nach Berechnungen von Ärzte ohne Grenzen sind zwischen 25. August und 24. September mindestens 6.700 Rohingya im Bundesstaat Rakhine in Myanmar gewaltsam getötet worden. Zu diesem Ergebnis kommen sechs systematische Befragungen, die Ärzte ohne Grenzen in Flüchtlingslagern in Bangladesch durchgeführt hat. Insgesamt sind den Hochrechnungen zufolge mindestens 9.000 Menschen in dem besagten Zeitraum in Rakhine gestorben. 71,7 Prozent der erhobenen Todesfälle waren eine direkte Folge von Gewalt. Unter diesen Umständen ist eine Rückführung von Rohingya nach Myanmar derzeit realitätsfern.

Die Ergebnisse der Studien zeigen, dass die Rohingya gezielt angegriffen wurden, und sind der bislang deutlichste Hinweis auf die umfassende Gewalt, die am 25. August in Rakhine begann. An diesem Tag haben das Militär von Myanmar, die Polizei und lokale Milizen in Reaktion auf Angriffe der bewaffneten Gruppierung Arakan Rohingya Salvation Army gewaltsame Aktionen gegen Rohingya in Rakhine gestartet. Seitdem sind mehr als 647.000 Rohingya nach Bangladesch geflohen.

„Wir haben mit Überlebenden der Gewalt gesprochen, die nun in den völlig überfüllten und unzureichenden Lagern in Bangladesch Schutz gesucht haben“, sagt Sidney Wong, medizinischer Leiter bei Ärzte ohne Grenzen. „Was wir dabei herausgefunden haben, ist unvorstellbar. Erschütternd ist sowohl die Zahl der Menschen, die von gewaltsam getöteten Familienangehörigen berichten, als auch die grausame Art und Weise, auf die diese laut der Berichte getötet oder schwer verletzt wurden. Die höchsten Todesraten fallen in die letzte Augustwoche, in der die Sicherheitskräfte in Myanmar diese Angriffe gestartet haben.“

Ärzte ohne Grenzen hat Anfang November sechs systematische Befragungen in verschiedenen Teilen der Flüchtlingslager in Cox‘s Bazar an der Grenze von Bangladesch und Myanmar durchgeführt, um die Sterblichkeit rückwirkend zu erheben. Die Studien decken eine Fläche mit einer Gesamtpopulation von 608.108 Menschen ab. 503.698 dieser Menschen sind nach dem 25. August aus Myanmar geflohen. 100.464 waren Kinder unter fünf Jahren.

Durch die Befragungen wurde für diesen Monat eine Sterblichkeitsrate von 2,26 Prozent von der Grundgesamtheit ermittelt (95-Prozent-Konfidenzintervall: zwischen 1,87 % und 2,73 %). Übertragen auf die Gesamtzahl derer, die nach dem 25. August in den von der Studie abgedeckten Lagern angekommen ist, bedeutet das, dass zwischen 9.425 und 13.759 Rohingya in den 31 Tagen nach Ausbruch der Gewalt gestorben sind, darunter mindestens 1.000 Kinder unter fünf Jahren.

Die Befragungen zeigen, dass mindestens 71,7 Prozent der Todesfälle durch Gewalt verursacht wurden. Das entspricht zwischen 6.759 und 9.867 Menschen. Demnach sind mindestens 6.700 Menschen umgebracht worden, darunter 730 Kinder unter fünf Jahren.

Bei den gewaltsamen Todesfällen waren Schussverletzungen mit 69 Prozent die häufigste Todesursache, gefolgt von neun Prozent der Toten, die lebendig in ihren Häusern verbrannt und fünf Prozent, die zu Tode geprügelt wurden. Von den im betreffenden Zeitraum getöteten Kindern unter fünf Jahren wurden 59 Prozent den Berichten zufolge erschossen, 15 Prozent lebendig in ihren Häusern verbrannt, sieben Prozent zu Tode geprügelt und zwei Prozent starben bei Explosionen von Landminen.

„Diese Bezifferung der Todeszahl fällt wahrscheinlich zu gering aus, da wir nicht in allen Flüchtlingsansiedlungen in Bangladesch Daten erhoben haben und die Studien zudem Familien gar nicht berücksichtigen, die es nicht aus Myanmar hinaus geschafft haben“, sagt Sidney Wong. „Wir haben von ganzen Familien gehört, die umgekommen sind, nachdem sie in ihre Häuser eingesperrt und diese in Brand gesetzt wurden. Auch aktuell fliehen immer noch Menschen aus Myanmar nach Bangladesch. Diejenigen, die es über die Grenze schaffen, berichten nach wie vor, dass sie in den vergangenen Wochen Gewalt erfahren haben. Da nur sehr wenige unabhängige Hilfsorganisationen Zugang zu Maungdaw in Rakhine haben, sind wir um die Rohingya, die noch dort sind, sehr besorgt.“

Ein Abkommen über die Rückführung der Flüchtlinge zwischen den Regierungen von Myanmar und Bangladesch ist daher derzeit realitätsfern. Die Rohingya dürfen nicht zu einer Rückkehr gezwungen werden. Ihre Sicherheit und die Einhaltung ihrer Rechte müssen garantiert sein, bevor ein solcher Plan ernsthaft in Erwägung gezogen werden kann.

Die Erhebung und Hochrechnung der Daten entspricht wissenschaftlichen Standards. Die sechs Erhebungen wurden im November 2017 von Ärzte ohne Grenzen und seiner epidemiologischen Einrichtung Epicentre in 2.434 Haushalten in den Flüchtlingslagern in Bangladesch durchgeführt. Den Mitarbeitern wurden direkt 280 Todesfälle von Haushaltsangehörigen in Rakhine im Monat nach dem 25. August berichtet.

Ärzte ohne Grenzen arbeitet seit 1985 in Bangladesch. Nahe Kutapalong in Cox‘s Bazar betreibt Ärzte ohne Grenzen seit 2009 ein Gesundheitszentrum und eine Klinik, wo allgemeine Gesundheitsversorgung und medizinische Notversorgung sowie stationäre Betreuung für Rohingya und die lokale Bevölkerung angeboten werden. Als Reaktion auf den Flüchtlingszustrom in Cox‘s Bazar hat Ärzte ohne Grenzen seine Kapazitäten in der Region verstärkt und die Aktivitäten zur Wasser- und Sanitärversorgung und medizinischen Betreuung der Flüchtlinge ausgeweitet.

Außerdem ist Ärzte ohne Grenzen in der Hauptstadt Dhaka im Slum Kamrangirchar im Einsatz, wo die Organisation psychologische Betreuung, Familienplanung und Untersuchung für Schwangere sowie Gesundheitsuntersuchungen für Fabrikarbeiter anbietet.

Hier finden Sie eine Zusammenfassung der Ergebnisse.

Hier finden Sie die vollständigen Studien "Health Survey in Kutupalong and Balukhali Refugee Settlements, Cox’s Bazar, Bangladesh" und "Retrospective mortality, nutrition and measles vaccination coverage survey in Balukhali 2 & Tasnimarkhola camps".

 

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Lena Langbein
Lena Langbein
- Media Relations