Polnisch-belarussische Grenze: Zunehmende Militarisierung und Gewalt haben lebensbedrohliche Folgen für Schutzsuchende
Berlin, 4. Februar 2025. Ärzte ohne Grenzen hat gestern vor dem polnischen Parlament über die Erfahrungen der vergangenen zwei Jahre an der polnisch-belarussischen Grenze gesprochen. Seit 2021 wurde das Recht auf Asyl durch Polens Gesetzesänderungen schrittweise eingeschränkt. Sie gipfelten in dem Vorschlag, dieses Grundrecht für bestimmte Gruppen vollständig auszusetzen.
Seit November 2022 ist Ärzte ohne Grenzen Zeuge der stetigen Zunahme der Militarisierung und der Gewalt gegen Menschen, die in Polen Schutz suchen.
Wir fordern Polen und alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union auf, dringend den Kurs zu ändern und das Recht auf territoriales Asyl zu schützen und das Leben und Wohlergehen von Menschen, die Zuflucht in der EU suchen, nicht länger zu gefährden.-Felix Braunsdorf, Experte für Flucht und Migration von Ärzte ohne Grenzen Deutschland
Von November 2022 bis November 2024 behandelte Ärzte ohne Grenzen 442 Menschen, die in den Wäldern an der polnisch-belarussischen Grenze gestrandet waren. Etwa 50 Prozent von ihnen hatten schwere körperliche Verletzungen. Ihre Verletzungen wurden unter anderem durch Schläge, Hundebisse und Gummigeschosse verursacht. Abgesehen von der Gewalteinwirkung litt mehr als die Hälfte der Patient*innen an Erfrierungen, Fußbrand oder Unterkühlung, weil sie über einen längeren Zeitraum den extremen Witterungsbedingungen in der militärischen Sperrzone ausgesetzt waren. Weitere Erkrankungen waren Infektionen, Dehydrierung, Erschöpfung, psychische Traumata sowie tiefe Schnittwunden und Brüche, die beim Überklettern des Grenzzauns oder bei Stürzen entstanden.
Die in den Jahren 2021 und 2024 verabschiedeten Gesetze haben den Grenzschutzbeamt*innen und Soldat*innen zusätzliche Befugnisse eingeräumt, die es ihnen ermöglichen, Menschen nach nahezu absolutem Ermessen Asyl zu verweigern – ohne ordnungsgemäßes Verfahren. In einigen Fällen hat dies zur Trennung von Familien geführt. Obwohl die polnische Regierung behauptet, humanitäre Hilfe für Migrant*innen und Geflüchtete sei gewährleistet, werden Ärzte ohne Grenzen und andere Organisationen in ihrer Arbeit durch die Behörden massiv eingeschränkt.
Mitarbeitende humanitärer Organisationen und Freiwillige aus der Zivilgesellschaft, die eine Schlüsselrolle bei der Bereitstellung humanitärer Hilfe an der Grenze spielen, haben keinen Zugang zur Sperrzone und sind zunehmend der Gefahr der Kriminalisierung ausgesetzt.
Dadurch bleibt ein großer Teil des Gebiets für humanitäre und medizinische Hilfe unzugänglich, einschließlich derjenigen von Ärzte ohne Grenzen. Anstatt diese Politik zu überdenken, schlägt die polnische Regierung sogar noch schärfere Gesetze vor, die das Recht auf Asyl weiter aushöhlen.
Die neuen und weitreichenden Vorschläge zur Aussetzung des Asylrechts sind unverzeihlich. Die polnische Regierung und die belarussischen Behörden müssen anerkennen, dass es sich hier um Menschen handelt und nicht um Spielfiguren, die für politische Zwecke ausgenutzt werden können. Das derzeitige System zwingt diejenigen, die Zuflucht suchen, in einen anhaltenden Kreislauf der Gewalt, in dem sie keine Hilfe in Anspruch nehmen und sich nirgendwo hinwenden können.
-Uriel Mazzoli, Landeskoordinator von Ärzte ohne Grenzen in Polen
Polen hat derzeit die EU-Ratspräsidentschaft inne und die jüngste Asylgesetzgebung des Landes wurde in öffentlichen Erklärungen von der EU-Kommission befürwortet. Seit 2015 haben die EU-Institutionen und die Mitgliedstaaten die Grundlagen des Asyls in der EU kontinuierlich ausgehöhlt. Stattdessen setzen sie auf eine Politik, die schmutzige Abkommen mit Drittstaaten, Pushbacks und offene Gewalt an den Außengrenzen beinhaltet.
Die politische Rhetorik stellt schutzsuchende Menschen zunehmend als Bedrohung in einem „hybriden Krieg“ dar und entmenschlicht sie damit zunehmend.
„Männer, Frauen und Kinder, die Schutz in Europa suchen, sind keine Waffen. Wer so spricht, greift die Würde der Menschen an“-Felix Braunsdorf, Experte für Flucht und Migration von Ärzte ohne Grenzen Deutschland.
Mit der EU-Ratspräsidentschaft hat Polen die Möglichkeit, Verantwortung zu übernehmen und seine Führungsrolle unter Beweis zu stellen, indem es den Schutz von Menschenleben und die menschenwürdige Aufnahme von Schutzsuchenden über die politischen Interessen stellt. Polen muss sicherstellen, dass die Menschen Zugang zu fairen Asylverfahren und humanitärer Hilfe erhalten.