Seenotrettung: Ärzte ohne Grenzen stoppt Einsatz der Geo Barents
- Das Such- und Rettungsschiff hat über 12.000 Menschen aus Seenot gerettet
- Beschränkungen italienischer Behörden behindern die Arbeit massiv und machen einen Weiterbetrieb derzeit untragbar
- Ärzte ohne Grenzen will seine Rettungseinsätze so bald wie möglich wiederaufnehmen
Rom/Berlin, 13. Dezember 2024. Ärzte ohne Grenzen hat den Betrieb des Rettungsschiffes Geo Barents eingestellt. Das Schiff war seit Juni 2021 für die Organisation im Einsatz. Die italienische Gesetzgebung hat es unmöglich gemacht, die Arbeit wie bisher fortzusetzen. Ärzte ohne Grenzen wird die Such- und Rettungsaktivitäten wiederaufnehmen, muss jedoch evaluieren, wie dies in einem derart schwierigen Umfeld möglich ist.
Die Organisation bekräftig zugleich ihr Engagement für Menschen auf der Flucht, darunter jene, die sich auf die gefährliche Reise über das zentrale Mittelmeer begeben – eine Route, auf der seit 2014 über 31.000 Menschen ums Leben kamen oder verschollen sind.
Wir wollen so schnell wie möglich zurück sein, um unsere Such- und Rettungsaktionen auf dieser Migrationsroute fortzusetzen, die zu den tödlichsten der Welt gehört. Und wir werden weiter die Verstöße gegen Menschenrechte und Rechte Geflüchteter anprangern, die wir beobachten – sowohl durch EU-Mitgliedsstaaten, darunter Italien, als auch von anderen Akteuren der Region.“
- Juan Matias Gil, Koordinator von Ärzte ohne Grenzen für Such- und Rettungseinsätze.
In den vergangenen zwei Jahren wurde die Geo Barents, die bis zu 600 Menschen an Bord aufnehmen kann, viermal von den italienischen Behörden sanktioniert. Als Strafe dafür, dass sie ihre humanitäre und gesetzliche Pflicht erfüllte und Leben auf See rettete, musste sie für insgesamt 160 Tagen im Hafen bleiben.
Diese Strafmaßnahmen gehen auf das 2023 von der italienischen Regierung eingeführte Piantedosi-Dekret zurück, das Rettungsschiffe unter anderem dazu verpflichtet, nach jeder Rettung direkt einen Hafen anzulaufen, statt mehrere Rettungseinsätze hintereinander durchzuführen und erst bei erreichter Kapazität einen Hafen anzusteuern. Im Dezember dieses Jahres hat Italien die Sanktionen weiter verschärft: Es wurde den italienischen Behörden noch leichter gemacht, humanitäre Such- und Rettungsschiffe innerhalb kurzer Zeit festzusetzen.
Die Praxis, Such- und Rettungsschiffen weit entfernte Häfen zuzuweisen, die häufig im Norden liegen, hat es für die Geo Barents immer weiter erschwert, dort vor Ort zu sein, wo sie am dringendsten benötigt wird. Seitdem das Piantedosi-Dekret in Kraft getreten ist, hat die Geo Barents ein halbes Jahr allein mit dem langwierigen Anfahren und Ablegen von entfernten Häfen verbracht.
Beispielsweise wiesen die italienischen Behörden die Geo Barents im Juni 2023 an, das norditalienische La Spezia anzusteuern, um 13 Überlebende dort an Land zu bringen: Eine Fahrt von mehr als 1.000 Kilometern, obwohl andere Häfen näher lagen.
„Wir sind nach reiflicher Überlegung zu dem Schluss gekommen, dass ein Weiterbetrieb der Geo Barents angesichts solch absurder italienischer Gesetze und Vorgehensweisen untragbar ist. Die Rettungskapazitäten humanitärer Schiffe werden bei Weitem nicht ausgeschöpft, sondern von italienischen Behörden aktiv untergraben“, so Gil.
„Die Gesetze und Vorgehensweisen Italiens zeugen von Missachtung gegenüber dem Leben der Menschen, die das Mittelmeer überqueren. Wir haben auf der Geo Barents die Geschichten zehntausender Überlebender gehört: Babys haben ihre ersten Schritte an Deck gemacht, Menschen haben um Angehörige getrauert“, so Projektkoordinatorin Margot Bernard. „Im Angesicht einer europäischen Abschreckungspolitik, die so viel Leid verursacht und so viele Menschenleben fordert, haben wir die Pflicht, uns weiter für Menschlichkeit einzusetzen.“
Ärzte ohne Grenzen ist seit 2015 mit acht Schiffen (allein oder in Partnerschaft mit anderen Nichtregierungsorganisationen) im zentralen Mittelmeer aktiv und hat mehr als 94.000 Menschen gerettet. Die Organisation betrieb zuletzt die Geo Barents. Das Schiff hat seit Beginn seines Einsatzes im Juni 2021 in 190 Rettungsaktionen 12.675 Menschen aus Seenot gerettet und in Sicherheit gebracht.
In den zwei Jahren seit Inkrafttreten des Piantedosi-Dekrets hat Ärzte ohne Grenzen alle rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft und vor italienischen Gerichten Rechtsmittel gegen die Sanktionen und die Praxis der Zuweisung weit entfernter Häfen eingelegt. Dadurch wurde erreicht, dass zwei für 60 Tage ausgesprochene Festsetzungen wieder aufgehoben wurden. Ärzte ohne Grenzen und andere Nichtregierungsorganisationen haben außerdem fünf Einzelbeschwerden bei der Europäischen Kommission eingereicht, damit diese überprüft, ob die restriktiven Maßnahmen mit dem EU-Recht vereinbar sind. Diese Beschwerden blieben bisher erfolglos.