Serbien: Ärzte ohne Grenzen fordert von der EU eine bessere Beobachtung der Grenzbehörden – Viele Patient*innen sind Opfer von Gewalt
Nach einem Besuch hochrangiger EU-Beamt*innen an der serbisch-ungarischen Grenze fordert die internationale Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen von der EU eine verstärkte Überprüfung der Gewalt gegen Geflüchtete, Migrant*innen und Asylbewerber*innen an den europäischen Grenzen.
Seit Januar 2021 haben medizinische Teams von Ärzte ohne Grenzen in der serbisch-ungarischen Grenzregion 498 Menschen behandelt, die Gewalt durch Grenzbeamt*innen erlebt haben. Die Patient*innen wiesen Prellungen, Hämatome und geschlossene Frakturen auf. „Die körperlichen Verletzungen, die wir behandeln und die Berichte über Gewalt, die wir hören, deuten darauf hin, dass immer wieder Gewalt angewendet wird, um Menschen davon abzuhalten, in der EU Asyl zu beantragen”, sagt Duccio Staderini, Landeskoordinator von Ärzte ohne Grenzen auf dem Westbalkan.
Patient*innen, die in der Nähe der serbischen Grenze zu Bulgarien behandelt werden, berichten den Teams von Ärzte ohne Grenzen, dass sie ihrer Kleidung und ihrer Habseligkeiten beraubt werden, mit Schlagstöcken und Ästen verprügelt werden, Hunde auf sie losgelassen und Pfefferspray sowie Tränengas gegen sie eingesetzt werden. Zu den weiteren Formen der unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung gehören die Beschlagnahmung und Zerstörung von persönlichen Gegenständen, das Einsperren in isolierte Einzelhaftzellen im Grenzgebiet und absichtlich herbeigeführte Stürze von Zäunen und Leitern.
Die EU-Kommissarin für Inneres, Ylva Johansson, und der neu ernannte Chef der Europäischen Grenz- und Küstenwache Frontex, Hans Leitjens, besuchten am 16. März den offiziellen Grenzübergang zwischen Horgos in Serbien und Roszke in Ungarn, an dem regelmäßig Menschen gewaltsam von Grenzbeamt*innen zurückgedrängt werden. Bei ihrem Besuch lobte Johansson den Erfolg der gemeinsamen Grenzkontrolle bei der Eindämmung der „illegalen Migration” nach Europa.
„Die EU-Vertreter*innen haben sich bewusst entschieden, die Augen vor der exzessiven Gewaltanwendung an den EU-Außengrenzen zu verschließen”, sagt Staderini. „Dieser Besuch zeigt das wahre Gesicht des EU-Engagements auf dem Westbalkan, mehr Mittel für die Sicherheit, eine stärkere Präsenz von Frontex und eine verstärkte Rückführung und Überwachung.”
Vor zwei Jahren hat Frontex seine Tätigkeit auf der ungarischen Seite der Grenze zu Serbien eingestellt, nachdem ein Gericht festgestellt hatte, dass Ungarn bei illegalen Push-Backs von aus Serbien kommenden Migrant*innen gegen EU-Recht verstoßen hatte. Im Dezember 2022 verlegte Frontex seine Tätigkeit auf die serbische Seite der Grenze als Teil des EU-Projekts zur Externalisierung des Migrationsmanagements in benachbarte Drittländer.
Teams von Ärzte ohne Grenzen arbeiten seit 2014 in Serbien und leisten medizinische Hilfe für Geflüchtete, Migrant*innen und Asylsuchende, die über die Balkanroute nach Europa kommen. Im Januar 2021 nahmen die Teams von Ärzte ohne Grenzen ihre Arbeit in der nordserbisch-ungarischen Grenzregion auf. Im Januar 2023 eröffnete Ärzte ohne Grenzen zudem ein Notfallprojekt in der südserbisch-bulgarischen Grenzregion.
Der Grenzübertritt von Bulgarien nach Serbien bedeutet einen drei- bis viertägigen Fußmarsch auf bewaldeten Bergpfaden. Die Menschen, die diesen Weg antreten, haben oft keine Nahrung, kein Wasser und keine Unterkunft und sind schwierigen Witterungsverhältnissen ausgesetzt. Im Februar erfroren zwei Menschen auf dieser Strecke, darunter ein Kind. In diesem Jahr haben die Teams von Ärzte ohne Grenzen in Pirot auf der serbischen Seite der Grenze 1.944 Menschen mit Erfrierungen, infizierten Verletzungen, Fieber, Hautverletzungen, Blasen und allgemeinen Anzeichen körperlicher Erschöpfung medizinisch behandelt.