Ärzte ohne Grenzen sieht weltweit ungewöhnlich viele Cholera-Ausbrüche
In mindestens 30 Ländern weltweit gab es im vergangenen Jahr Cholera-Ausbrüche, das waren deutlich mehr als in den Vorjahren. Ärzte ohne Grenzen hatte Cholera-Programme in zehn Ländern, unter anderem in Haiti, der Demokratischen Republik Kongo und dem Libanon. Auch zu Beginn dieses Jahres bestimmen die Cholera-Projekte zahlreiche Projekte der Organisation.
Cholera ist eine Krankheit, die durch Bakterien in verunreinigtem Wasser verursacht wird. Die Gründe für die Ausbrüche in den einzelnen Ländern waren unterschiedlich. In Haiti, Somalia oder Syrien waren es langwierige politische Krisen, die zu einer mangelhaften Instandhaltung der Trink- und Abwasserinfrastruktur führten. Auch die Klimakrise kann die Ausbreitung von Cholera begünstigen. In Somalia, Kenia und Äthiopien haben schwere Dürreperioden dazu geführt, dass das Trinkwasser knapp wurde. In Ländern wie dem Südsudan oder Nigeria hatten wiederum Überschwemmungen und das über Monate nicht abfließende Wasser zur Folge, dass sich die Bakterien ausgebreitet haben. Fluchtbewegungen können ebenfalls ein Grund für die Ausbreitung der Krankheit sein, weil Geflüchtete oft an Orten mit unzureichender Wasserversorgung untergebracht sind. Im vergangenen Jahr gab es zum Beispiel Cholera-Ausbrüche in Geflüchtetenlagern im Libanon, in Somalia und Nigeria.
Wenn Cholera-Bakterien den Darm infizieren, verursachen sie sehr starken Durchfall und manchmal auch Erbrechen. Der Durchfall ist so stark, dass Erkrankte schnell dehydrieren. Das kann innerhalb weniger Stunden zum Tod führen. Der Kot von Cholera-Patient*innen enthält viele Cholera-Bakterien. Wenn diese das Trinkwasser verunreinigen, können sich Cholera-Ausbrüche extrem schnell ausbreiten. Zur Behandlung erhalten die Patient*innen oral eine Flüssigkeit zur Rehydrierung, in schwereren Fällen auch intravenös. Bei rechtzeitiger Behandlung überleben mehr als 99 Prozent der Patient*innen die Krankheit.
Allerdings sind die Behandlung und die Vorbeugung von Cholera mit erheblichen logistischen Herausforderungen verbunden. Die Einrichtung von Cholera-Behandlungszentren erfordert, ebenso wie Wasser- und Sanitärprojekte, einen hohen Materialaufwand. Außerdem gibt es angesichts der hohen Zahl der Ausbrüche im vergangenen Jahr einen Mangel an Cholera-Impfstoffen. Auch die Versorgung mit anderen wichtigen Materialien wie der Flüssigkeit für die intravenöse Rehydrierung wird knapp. Hinzu kommt, dass Regierungen den Ausbruch von Cholera oft aus politischen Gründen nicht offiziell melden wollen. Das macht es schwierig, die Bevölkerung angemessen darüber zu informieren.
Immer noch sterben Menschen an einer Krankheit, die gut behandelbar und sogar vermeidbar ist. Es gibt wirksame Cholera-Impfstoffe, die jedoch aufgrund der aktuell sehr hohen Nachfrage knapp sind und nicht ausreichend produziert werden können. Im Moment gibt es nur einen Hersteller auf dem Markt. Das zuständige WHO-Gremium, dem auch Ärzte ohne Grenzen angehört, hat auf den akuten Impfstoffmangel reagiert und hat das Impfprotokoll angepasst. Statt der eigentlich notwendigen zwei Impfdosen erhalten Patient*innen momentan nur eine, so dass für mehr Menschen ein kurzfristiger Schutz gewährleistet werden kann. „Aus unserer Sicht ist das ein verheerender Missstand“, sagt Melissa Scharwey, politische Referentin bei Ärzte ohne Grenzen. „Dies zeigt, dass unser globales Forschungs- und Entwicklungssystem Fehlanreize setzt und Fehlpraktiken zulässt. Es gibt einen wirksamen Impfstoff, doch er wird nicht ausreichend produziert.“
Beispiele für Cholera-Einsätze von Ärzte ohne Grenzen im Jahr 2022:
Haiti
Ein Cholera-Ausbruch alarmierenden Ausmaßes hat die Organisation vor allem im Oktober und November 2022 beschäftigt. Die Cholera-Zentren von Ärzte ohne Grenzen waren voll, Tausende Patient*innen wurden dort behandelt. Insgesamt waren rund 15.000 Menschen in Haiti an Cholera erkrankt, 300 starben.
Die Ausbreitung der Cholera ist ein Symptom für die katastrophale humanitäre und gesundheitliche Situation in Haiti. Der Staat befindet sich inmitten einer noch nie dagewesenen politischen, wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Krise. Die Hauptstadt Port-au-Prince ist umzingelt, die Hauptverbindungsstraßen zum Rest des Landes werden von bewaffneten Gruppen kontrolliert. Der Zugang zu Treibstoff ist für einen großen Teil der Bevölkerung zu teuer. Viele Gesundheitseinrichtungen sind geschlossen und der Krankenwagenverkehr eingeschränkt. Der Zugang zu sauberem Wasser – ein entscheidendes Element im Kampf gegen die Cholera – hängt von Tankwagen ab, die wiederum vom Zugang zu Treibstoff und von der Sicherheitslage abhängen. Jüngst starteten die Gesundheitsbehörden eine Impfkampagne, die von Ärzte ohne Grenzen unterstützt wird. Am 12. Dezember erhielt das Ministerium für öffentliche Gesundheit und Bevölkerung 1,17 Millionen Dosen Cholera-Impfstoff von der Internationalen Koordinierungsgruppe, einem Mechanismus zur Verwaltung und Koordinierung der Bereitstellung von Notimpfstoffen für Länder bei Ausbrüchen. „Unsere Teams helfen beim Transport der Impfstoffdosen und anderer Artikel, erleichtern den Transport der Impfteams, verteilen Seife und andere Hygieneartikel und kümmern sich um die Abfallentsorgung“, sagt William Etienne, Notfallkoordinator von Ärzte ohne Grenzen.
Hier finden Sie Bildmaterial von dem Einsatz in Haiti. Sie können es im Rahmen der aktuellen Berichterstattung bei Nennung des Copyrights „Ärzte ohne Grenzen“ kostenlos nutzen.
Libanon
Im Libanon wurde am 6. Oktober 2022 offiziell ein Cholera-Ausbruch erklärt – es war der erste Ausbruch seit drei Jahrzehnten. In den beiden darauffolgenden Monaten wurden fast 5.000 Infizierte und 20 Tote registriert. Das Land ist mit einer heftigen Wirtschaftskrise konfrontiert, was Auswirkungen auf alle Lebensbereiche hat. Wasserpumpen funktionieren wegen der Stromausfälle nicht, so dass Menschen auf private Wassertransporte angewiesen sind. Diese können sich nicht alle leisten, so dass manche auf verschmutzte Flüsse und Teiche zurückgreifen. Außerdem wird das Wasser- und Abwassernetz nicht gewartet und ist an vielen Stellen undicht, was die Verbreitung von Krankheiten wie Hepatitis A und Cholera begünstigt. Zudem gibt es gravierende Mängel im Gesundheitssystem.
Ärzte ohne Grenzen betreibt mehrere Cholera-Behandlungszentren und mobile Kliniken. Zudem haben Teams der Hilfsorganisation in Zusammenarbeit mit anderen internationalen und nationalen Akteuren fast 600.000 Cholera-Impfstoffe verabreicht, um den Ausbruch der Krankheit einzudämmen.
Hier finden Sie Bildmaterial von dem Einsatz in Haiti. Sie können es im Rahmen der aktuellen Berichterstattung bei Nennung des Copyrights „Ärzte ohne Grenzen“ kostenlos nutzen.
Syrien
Im Norden Syriens trat die Cholera bereits im September vergangenen Jahres auf – auch dort war es der erste Ausbruch seit 15 Jahren. Es wird vermutet, dass die Krankheit durch kontaminiertes Wasser im Euphrat im Nordosten des Landes verbreitet wurde – in einer Zeit enormer Wasserknappheit. Hinzu kommen die schwache Wasser- und Sanitärinfrastruktur aufgrund des jahrelangen Konflikts und die sinkenden humanitären Mittel.
Allein im Nordosten des Landes haben Teams von Ärzte ohne Grenzen von September bis Mitte November 3000 Cholera-Patient*innen behandelt, im Nordwesten waren es 530. Mehr als 20 Prozent davon waren schwere Fälle mit einem hohen Grad an Dehydrierung. Diese war meist auf eine zu späte Behandlung zurückzuführen.
Hier finden Sie Foto- und Videomaterial von dem Einsatz im Nordosten Syriens. Sie können es im Rahmen der aktuellen Berichterstattung bei Nennung des Copyrights „Ärzte ohne Grenzen“ kostenlos nutzen.
Demokratische Republik Kongo
Auch in der Demokratischen Republik Kongo gab es einen Cholera-Ausbruch mit einem rasanten Anstieg der Zahlen Ende des vergangenen Jahres. Allein zwischen dem 26. November und 15. Dezember wurden mehr als 730 Patient*innen in dem Cholera-Behandlungszentrum von Ärzte ohne Grenzen im Lager Munigi behandelt – etwa ein Drittel waren Kinder unter fünf Jahren.
Die ersten bestätigten Cholerafälle wurden im August in Kanyaruchinya gemeldet, was die Teams von Ärzte ohne Grenzen dazu veranlasste, im September eine Cholera-Impfkampagne für rund 6.000 Menschen zu starten. Anfang November, als neue Cholerafälle bestätigt wurden, führten die Teams eine neue Impfkampagne für 3.600 Menschen durch, um die Ausbreitung zu stoppen. „Seit Juli warnen wir vor den Gesundheitsrisiken, einschließlich Epidemien, für die vertriebenen Gemeinschaften im Nyiragongo-Gebiet“, sagt Simplice Ngar-One, Projektkoordinatorin von Ärzte ohne Grenzen. „Neue, massive Vertreibungen von Menschen seit Ende Oktober haben die ohnehin schon äußerst prekäre Situation noch verschärft.“ Auch Monate nach ihrer Ankunft in den Vertriebenenlagern fehlt es den Menschen an den meisten Grundbedürfnissen. Einige Menschen schlafen auf dem Boden, unter einfachen Moskitonetzen, entlang der Straße. Es gibt nicht genügend sanitäre Einrichtungen, einschließlich Toiletten und Duschen. „Angesichts des Mangels an Nahrungsmitteln, Unterkünften, Latrinen und Duschen sind alle Voraussetzungen für eine Gesundheitskatastrophe gegeben“, sagt Ngar-One. „Der Anstieg der Cholerafälle in den vergangenen Tagen ist ein weiterer Indikator für die sich verschlechternde Situation und den eklatanten Mangel an humanitärer Hilfe."
Hier finden Sie Bildmaterial von dem Einsatz in DRC. Sie können es im Rahmen der aktuellen Berichterstattung bei Nennung des Copyrights „Ärzte ohne Grenzen“ kostenlos nutzen.
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Cholera erkennen und behandeln
Cholera ist hoch ansteckend. Die Behandlung im Prinzip unkompliziert. Der schnelle Zugang zu medizinischer Hilfe ist dabei essentiell.