Zentralafrikanische Republik: Deutlich mehr Überlebende sexualisierter Gewalt behandelt
Bangui/Berlin, 20. November 2023. Ärzte ohne Grenzen verzeichnet einen signifikanten Anstieg bei der Zahl der Behandlungen von Überlebenden sexualisierter Gewalt in der Zentralafrikanischen Republik. Während 2018 noch 1.934 Patient*innen behandelt wurden, waren es 2022 bereits 5.789, was einer Verdreifachung innerhalb von fünf Jahren entspricht. Dies geht aus dem Bericht „Unsichtbare Wunden“ der internationalen Hilfsorganisation hervor, den die deutsche Sektion von Ärzte ohne Grenzen anlässlich des Internationalen Tages zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen (25.11.) veröffentlicht.
Für den Bericht wurden Daten aus zwölf langfristigen Projekten und einem Nothilfeeinsatz in der Zentralafrikanischen Republik analysiert. Grund für den Anstieg der Behandlungen ist dem Report zufolge nicht nur ein Zuwachs bei den Fallzahlen, sondern auch eine Ausweitung des Angebots für Überlebende sexualisierter Gewalt. So gibt es verstärkte Aufklärungsarbeit in den Communities und eine besser funktionierende Zusammenarbeit mit anderen Hilfsorganisationen sowie dem Gesundheitsministerium. Außerdem wurden die Programme von Ärzte ohne Grenzen dazuh ausgeweitet. Doch es gibt weiterhin große Lücken: So haben viele Überlebende sexualisierter Gewalt in der Zentralafrikanischen Republik keinen Zugang zu grundlegender medizinischer Versorgung, zu psychiatrischer Betreuung oder zu psychosozialer, finanzieller und rechtlicher Unterstützung.
„Sexualisierte Gewalt wird in der Zentralafrikanischen Republik tabuisiert und kann nicht nur als ein Problem im Zusammenhang mit bewaffneten Konflikten dort betrachtet werden“, sagt Khaled Fekih, Landeskoordinator von Ärzte ohne Grenzen in der Zentralafrikanischen Republik.
Trotz einiger positiver Entwicklungen in den vergangenen fünf Jahren zeigen viele Überlebende sexualisierter Gewalt (95 Prozent von ihnen sind Frauen) ihre Fälle nicht an und suchen keine medizinische Einrichtung auf. Wir wissen, dass die Zahl der behandelten Patient*innen immer noch nur die Spitze des Eisbergs ist. Sowohl die Regierung der Zentralafrikanischen Republik als auch andere nationale und internationale humanitäre Organisationen müssen mehr konkrete Maßnahmen ergreifen, um diese Situation zu ändern.“
- Khaled Fekih, Landeskoordinator von Ärzte ohne Grenzen in der Zentralafrikanischen Republik
Dem Report zufolge war mit etwa 70 Prozent die überwiegende Mehrheit der Täter den Überlebenden bekannt. Nur sehr wenige von ihnen werden verurteilt, während die Überlebenden meist stigmatisiert werden und oft große Schwierigkeiten haben, weiterhin ein normales Leben in ihrer Gemeinschaft zu führen. „Die Patient*innen sehen sich mit vielen Hindernissen konfrontiert, wenn es darum geht, rechtzeitig medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen“, sagt Liliana Palacios, Gesundheitsberaterin von Ärzte ohne Grenzen. „Viele haben Angst, für andere ist der Weg zu weit oder die Reise zu teuer.“
Laut Report kamen zwischen 2018 und 2022 durchschnittlich nur knapp drei von zehn Überlebenden innerhalb der ersten 72 Stunden nach dem Übergriff in die Einrichtungen von Ärzte ohne Grenzen. Dieser Zeitraum ist unter anderem für die HIV-Prophylaxe und die Vorbeugung ungewollter Schwangerschaften entscheidend. Mitunter suchten die Patient*innen auch erst Jahre nach den Übergriffen Hilfe.
„Es ist ein viel stärkerer kollektiver und ganzheitlicher Ansatz erforderlich, um mehr, schneller und besser unterstützen zu können“, sagt Khaled Fekih. „Es muss ein Ansatz sein, der die Überlebenden in den Mittelpunkt stellt und auf Vertraulichkeit, Empathie und Respekt beruht.“