Reaktion auf US-Untersuchungsbericht zum Angriff auf Klinik in Kundus
Das US-amerikanische Militär hat am 29. April seinen Untersuchungsbericht zum Angriff auf das Trauma-Krankenhaus von Ärzte ohne Grenzen im afghanischen Kundus veröffentlicht. Der Angriff fand am 3. Oktober 2015 statt. Bei dem Luftangriff starben 42 Menschen, darunter 14 Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen. Dutzende wurden verletzt.
Ärzte ohne Grenzen hat den Bericht vor Veröffentlichung nicht einsehen können. Vertreter der Hilfsorganisation wurden einen Tag bevor der Leiter des US-Zentralkommandos, General Joseph Votel, den Bericht öffentlich vorstellte und im Internet veröffentlichte, von Votel und dessen Team in einem zweistündigen mündlichen Briefing über Ergebnisse und Empfehlungen der Untersuchung unterrichtet. Ärzte ohne Grenzen wird den schriftlichen Bericht nun prüfen und entscheiden, ob dieser die vielen Fragen beantwortet, die sieben Monate nach dem Angriff noch immer offen sind.
Unabhängige Untersuchung der Geschehnisse nach wie vor nötig
Ärzte ohne Grenzen erkennt die Bemühungen des US-Militärs an, den Vorfall zu untersuchen. Die internationale Hilfsorganisation ist ebenso wie andere medizinische NGOs, die an den Frontlinien bewaffneter Konflikte tätig sind, immer wieder Angriffen auf Gesundheitseinrichtungen ausgesetzt, die von den Konfliktparteien in den meisten Fällen nicht untersucht werden. Ärzte ohne Grenzen hat aber immer wieder betont, dass die Organisation sich nicht mit einer ausschließlich militärischen Untersuchung des Angriffs auf das Krankenhaus in Kundus zufrieden geben wird. Sie fordert nach wie vor eine unabhängige und objektive Untersuchung durch die Internationale Humanitäre Ermittlungskommission (IHFFC).
„Die Pressekonferenz kam einer Anerkennung gleich, dass eine unkontrollierte militärische Operation in einem dicht besiedelten, städtischen Gebiet stattgefunden hat, während der die US-Streitkräfte nicht in der Lage waren, die grundlegendsten Gesetze des Krieges zu befolgen“, sagt Meinie Nicolai, Präsidentin von Ärzte ohne Grenzen Belgien. „Angesichts der Schilderungen des US-Militärs ist es unverständlich, dass dieser Angriff nicht gestoppt wurde.“
In der Klinik befanden sich keine Kämpfer und es wurde nicht geschossen
Das Krankenhaus von Ärzte ohne Grenzen war zum Zeitpunkt der Luftangriffe voll funktionsfähig. Die US-Untersuchung bestätigt, dass sich im Krankenhaus keine bewaffneten Kämpfer befanden und von dort aus auch keine Schüsse abgegeben wurden.
„Bei der Frage, ob es sich bei diesem tödlichen Angriff um eine schwerwiegende Verletzung des humanitären Völkerrechts handelt, geht es nicht darum, ob er vorsätzlich war oder nicht", sagt Nicolai. „In den verschiedenen Konflikten weltweit – sei es in Afghanistan, in Syrien oder im Jemen – kämpfen multinationale Koalitionen mit unterschiedlichen Regeln. Doch bewaffnete Gruppen können sich nicht aus der Verantwortung stehlen, indem sie jegliche Absicht beim Angriff auf eine geschützte Einrichtung wie ein Krankenhaus zurückweisen.“
Hilfe kann nur nach Zusicherungen wieder aufgenommen werden
Der Charakter der tödlichen Luftangriffe auf das Krankenhaus in Kundus sowie die wiederholten Angriffe auf weitere medizinische Einrichtungen in Afghanistan verlangen von allen Konfliktparteien, dass sie den geschützten Status der medizinischen Versorgung im Land erneut anerkennen. Bevor Ärzte ohne Grenzen über die Wiederaufnahme der medizinischen Aktivitäten in Kundus entscheiden kann, muss es diese Zusicherung geben.
„Wir können unser Team – einschließlich unserer Kolleginnen und Kollegen, die den traumatischen Angriff überlebt haben – nicht wieder in Kundus arbeiten lassen, ohne von allen Konfliktparteien in Afghanistan die klare und eindeutige Zusicherung bekommen zu haben, dass so etwas nicht wieder passieren wird“, sagt Nicolai. „Wir brauchen die ausdrückliche Zustimmung aller Konfliktparteien, einschließlich der afghanischen Behörden und des US-Militärs, dass es keine militärischen Eingriffe oder Anwendung von Gewalt gegen unsere medizinischen Einrichtungen, unser Personal, unsere Patienten und Krankenwagen geben wird. Ebenso müssen wir uns sicher sein können, dass unsere Teams medizinische Versorgung ausschließlich auf der Grundlage medizinischer Bedürfnisse leisten können, ohne Diskriminierung und unabhängig von der religiösen, politischen oder militärischen Zugehörigkeit der Patientinnen und Patienten. Jeder Tag, der ohne solche Zusicherungen vergeht, lässt die Zahl der Todesopfer des Angriffs weiter steigen, da die Menschen in der Region keinen Zugang zu lebensrettenden medizinischen Leistungen mehr haben.“
Strafen stehen in keinem Verhältnis zu den Toden und der Zerstörung
Die administrativen Strafen, die die USA auf der Pressekonferenz bekannt gaben, stehen in keinem Verhältnis zu der Zerstörung einer geschützten medizinischen Einrichtung, dem Tod von 42 Menschen, der Verwundung weiterer Mitarbeiter, Patienten und Pflegenden und der kompletten Vernichtung lebenswichtiger medizinischer Hilfe für Hunderttausende Menschen. Dass so wenig Verantwortung übernommen wird, sendet ein beunruhigendes Signal an Krieg führende Parteien und wird kaum als Abschreckung gegen künftige Verstöße gegen die Regeln des Krieges wirken.
Gleichzeitig ist klar geworden, dass die Opfer des Angriffs und ihre Familien weder die Möglichkeit haben, rechtliche Schritte gegen das US-Militär einzuleiten, sei es in Afghanistan oder in den USA, noch Entschädigung für den Verlust ihrer Angehörigen und ihrer Existenzgrundlage einzuklagen. Dies verschärft die Folgen der Zerstörung noch.
Einige der Fragen, die nach Veröffentlichung des US-Berichtes noch offen sind:
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