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Medizinische, psychologische und existenzielle Herausforderungen

Widnika ist zwei Jahre und sieben Monate alt. Er liegt in unserem Krankenhaus in der Hauptstadt Port-au-Prince, während seine Mutter Widline ständig an seiner Seite ist. Das Erdbeben hat ihr Haus zerstört und ihren Sohn verletzt: Das Bein des kleinen Jungen ist kompliziert gebrochen. Nachdem das Haus der Familie in der südhaitianischen Stadt Camp-Perrin eingestürzt ist, halfen die Nachbarn, den Kleinen aus den Trümmern zu befreien. Seine Mutter brachte ihn schnellstmöglich ins Krankenhaus. 

Kapazitäten erweitern 

Noch am Tag des Bebens haben wir ein zusätzliches Notfallzentrum zur Stabilisierung der Patient*innen aus dem Süden Haitis eröffnet: In den ersten acht Tagen behandelten wir dort mehr als 280 Patient*innen. Einige von ihnen wurden zur weiteren Behandlung an örtliche Krankenhäuser sowie unsere Traumaklinik für Verbrennungen überwiesen.  

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Patient*innen liegen in ihren Betten in einem Krankenhauszimmer.
© Steven Aristil
Mehrere Opfer des Erdbebens wurden zur Behandlung in unsere Traumaklinik gebracht.

 

Die meisten Betten der Traumaklinik waren bereits mit Brandverletzten und Patient*innen mit anderen Traumata belegt. Innerhalb weniger Tage wurden jedoch zusätzlich weitere 70 Überlebende des Erdbebens eingeliefert. Der akute Bedarf überstieg die Kapazität des Krankenhauses bei Weitem und das Personal aktivierte umgehend den Katastrophenplan: Sie stellten unter anderem zusätzliche Notfall-Betten in überdachten Bereichen des Innenhofs und im Gebäude auf.

 

Nachsorge sicherstellen 

In dieser Traumaklinik wurde auch Widnika operiert: Die Knochen seines Unterschenkels werden nun mit einer externen Haltevorrichtung in Position gehalten, während sie langsam wieder zusammenwachsen. Seine Mutter ist einerseits dankbar für die Behandlung, anderersits aber auch besorgt, denn ihr Zuhause wurde zerstört. 

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Ein kleiner Junge liegt mit einer Haltevorrichtung für Knochenbrüche am Schienbein in einem Krankenhausbett
© Steven Aristil
Komplizierte Frakturen werden nach einer OP mit einem externen Gestell fixiert. So kann die Heilung besser vorankommen.

Viele der Patient*innnen und ihre Familien stehen neben medizinischen und psychologischen Verletzungen vor allem auch vor existenziellen Herausforderungen. Das Krankenhauspersonal ist in den kommenden Wochen und Monaten für die erforderliche Nachsorge verantwortlich und unsere Kolleg*innen stehen aktuell vor großen Fragen: Im Süden Haitis sind vor allem viele Krankenstationen beschädigt und vorerst gar nicht in der Lage, die vielschichtige Hilfe zu leisten, die viele Überlebende des Erdbebens zukünftig benötigen werden.  

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Patient*innen die im Süden Haitis geblieben sind werden im St.Antoine Krankenhaus in Jérémie behandelt.
© Steven Aristil
Ein Notfallteam konnte nach Jérémie im Süden Haitis reisen, um im Krankenhaus St. Antoine Operationen durchzuführen und medizinisches Material zu liefern.

"Wir sind dabei, mit anderen Organisationen Kontakt aufzunehmen, um sicherzustellen, dass die Behandlungen auch in den einzelnen Gemeinden fortgesetzt werden können. Es ist sehr wichtig, dass Menschen mit Knochenbrüchen regelmäßig ärztlich betreut werden, um den Heilungsprozess zu überwachen und gegebenenfalls Anpassungen vorzunehmen", erklärt Dr. Kanoute Dialla, Koordinator der Traumaklinik. "Auch die Versorgung von Traumapatient*innen muss mit einer guten postoperativen Nachsorge, Physiotherapie und psychologischer Unterstützung fortgesetzt werden", ergänzt Dr. Alain Ngamba, medizinischer Landeskoordinator.

Emotionale Unterstützung  

Elvie Pierre, Sozialarbeiterin in der Traumaklinik, hält den Kontakt zwischen den Patient*innen und ihren Familien aufrecht. Sie brauchen diese emotionale Unterstützung dringend. "Weiß jemand, dass Sie im Krankenhaus sind?", fragt sie regelmäßig und leiht ihr Telefon für Anrufe aus. Wenn sich der Zustand der Patient*innen verbessert und sie sich auf ihre Entlassung vorbereiten, hilft sie ihnen im nächsten Schritt bei Verwandten oder anderswo in der Nähe unterzukommen, damit die ambulante Behandlung fortgesetzt werden kann.  

Denn ein langfristiger Aufenthalt in Port-au-Prince ist für viele Patient*innen keine Option: Sie haben keine Angehörigen in der Stadt und somit keine Möglichkeit unterzukommen. Falls keine längerfristige Lösung gefunden wird, haben wir auf dem Krankenhausgelände ein großes Zelt für entlassene Patient*innen errichtet. Hier können sie zunächst unterkommen und somit ihre Behandlung im Krankenhaus fortsetzen.

Ein Blick in die Zukunft 

Für Widnika und seine Mutter stellt sich die Frage, wann er nach Camp-Perrin zurückkehren kann und was ihn dort erwarten wird. Wie bei vielen Überlebenden des Erdbebens ist auch bei ihm der Heilungsprozess in vollem Gange, aber es wird noch eine Weile dauern, bis er sich wieder erholt hat. Um vollständig zu genesen, wird es viel Unterstützung und Durchhaltevermögen brauchen.  

 

Das Erdbeben in Haiti, am 14. August um 8:29 Uhr Ortszeit, dauerte zwei Minuten und hatte eine Stärke von 7,2. Die Gebiete im Süden Haitis hat es besonders stark getroffen. Die Wände und Dächer der Häuser stürzten ein. Mehr als 12.000 Menschen erlitten Verletzungen und mehr als 2.200 Menschen wurden tödlich verletzt.