Eine Wüste der Gesundheitsversorgung – der andauernde Konflikt fordert Tribut
Um Ayman hätte ihr Kind nicht verlieren müssen. Sehr viele der medizinischen Probleme in ihrer Heimat Jemen wären vermeidbar, und wir tun alles in unserer Kraft stehende, um die Menschen zu versorgen. Doch uns beunruhigt, was wir sehen: In unserem Krankenhaus in Hajdan beobachten wir, wie der Bedarf steigt. Grund dafür ist der noch immer andauernde Konflikt. Was das für das Leben der Menschen bedeutet, wird klar, wenn man Um Ayman zuhört, die davon erzählt.
Um Ayman
Als die Schmerzen auftraten, dachte Um Ayman nicht, dass es der Beginn ihrer Wehen sein könnte, da sie noch nicht im neunten Monat schwanger war. Sie ging deshalb in ihrem Dorf al-Malahaet zum Apotheker, der auch ehrenamtlich medizinischen Rat erteilt.
Al-Mahalaet ist ein abgelegener Ort, der sowohl in der Nähe der Grenze zu Saudi-Arabien als auch der Frontlinie liegt, an der sich saudi-arabische und jemenitische Truppen gegenüberstehen. "Der Apotheker sagte mir, dass es noch nicht an der Zeit sei, zu entbinden und gab mir eine Infusion", sagte sie. "Aber dann ist meine Fruchtblase geplatzt."
Sie verbrachte drei qualvolle Tage zu Hause und versuchte ihr Kind zu gebären, bevor ihre Familie das Geld für die fünfstündige Autofahrt nach Hajdan aufbringen konnte. Dort stellten die Mitarbeitenden unseres Krankenhauses fest, dass ihr Baby waagerecht in der Gebärmutter lag. Es war während der Wehen gestorben und Um Ayman musste dringend operiert werden, um ihr Leben zu retten. Erfahrungen, wie die von Um Ayman sind keine Seltenheit in Hajdan.
Der Bedarf an medizinischer Versorgung wächst
Die Stadt, umgeben von üppigen Qat-Feldern, wurde in den ersten Kriegsjahren häufig von saudi-arabischen Jets bombardiert, viele Gebäude sind Ruinen. Damals, 2015, wurde unter anderem auch die Mädchenschule der Stadt und unser Krankenhaus zerstört. Obwohl Hajdan inzwischen nicht mehr so häufig Ziel von Luftangriffen ist, ist es, als ob das Echo der Explosionen noch immer zwischen den umliegenden Hügeln hängt.
Die Abgeschiedenheit und Unzugänglichkeit der Gegend in Kombination mit dem aktuellen Konflikt, der Armut und einem kaum funktionierenden Gesundheitssystem führen dazu, dass nur wenige der Bewohner*innen Zugang zu der notwendigen medizinischen Versorgung haben. Das Krankenhaus, welches wir 2017 wiederaufgebaut und neu eröffnet haben, ist eine der wenigen Anlaufstellen.
"Wir befinden uns hier sozusagen in einer Wüste der Gesundheitsversorgung", sagt David Charo Kahindi, unser Projektkoordinator in Hajdan.
"Es gibt nur sehr wenige Gesundheitseinrichtungen und der Bedarf scheint zu wachsen. Unsere pädiatrischen Aufnahmen sind im Vergleich zum Vorjahr um 45 Prozent gestiegen und die Zahl der Entbindungen um 30 Prozent. Insgesamt kommen immer mehr ernste Fälle zu uns: Die Anzahl der Menschen, die in die Notaufnahme müssen, ist in etwa gleich hoch, aber wir nehmen viel mehr Patient*innen stationär auf – fast doppelt so viele wie im letzten Jahr."
Schwangere, Mütter und Kinder im Fokus
Im Krankenhaus werden pro Monat nur etwa 15 im Kampf Verwundete behandelt, stattdessen konzentriert sich ein Großteil der Aktivitäten auf die Bedürfnisse von Müttern und ihren Kindern. Unser Team hat in diesem Jahr bereits 176 Entbindungen begleitet und im Durchschnitt 92 Kinder im Monat auf die Station aufgenommen.
Die Kinder wiesen meistens Atemwegsinfektionen und Durchfallerkrankungen auf, die oft mit den mangelhaften hygienischen Bedingungen zusammenhängen.
Nur 40 Prozent der Mütter, die im Krankenhaus entbinden, hatten Zugang zur Schwangerenvorsorge. Das bedeutet, dass viele Komplikationen unentdeckt bleiben, bis die Wehen einsetzen - wie bei Um Ayman.
"Ende vergangenen Jahres haben wir einen Operationssaal im Krankenhaus eröffnet, damit wir die Menschen nicht nach Sa'ada City überweisen müssen", erklärt David Charo Kahindi. "Die Menschen hier sind meist viele Stunden unterwegs, um nach Hajdan zu kommen. Jetzt können wir zum Beispiel Kaiserschnitte direkt hier vornehmen.”
Wenn der Krieg zur Normalität wird
Das Reisen ist für die Menschen im Jemen in den letzten Jahren noch schwieriger geworden, da die Kraftstoffpreise gestiegen sind. "Wir leben in Lower Duweib und es dauert sechs Stunden, um hierher nach Hajdan zu kommen", berichtet Hamid Ali. Der 33-jährige begleitet seinen Onkel ins Krankenhaus, nachdem er sich bei einem Autounfall das Bein gebrochen hat.
"Das örtliche Gesundheitszentrum in Lower Duweib hat nur einen Mitarbeiter, und der kann nur kleine Verbände anlegen”, erzählt Hamid Ali. “Wir mussten 100.000 YER (340 Euro) bezahlen, um ein Auto zu bekommen, das uns hierherbringt." Das sind astronomische Summen für die Familien in der Region, von denen die meisten Bauern und Hirten sind und in einem Gebiet leben, das stark vom Konflikt betroffen ist. "Wir besitzen Vieh", sagt Ali.
"Die Kämpfe sind in unserem Dorf jeden Tag zu hören. Manchmal trifft der Beschuss unser Dorf, aber wir tun unser Bestes, um ein normales Leben zu führen."
Mehr humanitäre Hilfe ist hier nötig
Durch den Konflikt sind die Menschen, die in der Region leben, auf Hilfe angewiesen, allerdings wird die Arbeit humanitärer Organisationen im Kontext des Konfliktes zunehmend erschwert. Die verschiedenen Behörden im Jemen regulieren die Arbeit und die Bewegungen der humanitären Organisationen bis zu einem gewissen Grad. Eine Genehmigung für die Arbeit in frontnahen Gebieten wie Hajdan zu erhalten, ist oft ein diplomatisches und bürokratisches Kunststück, wir sind bislang die einzige humanitäre Organisation, mit einer ständigen Präsenz in dieser Region.
"Wir sehen, dass es hier einen enormen Bedarf gibt, und obwohl wir bereits weitere Aktivitäten aufbauen und das Krankenhaus erweitern, können wir nicht alle Bedürfnisse allein erfüllen", sagt Kahindi.
"Um die Menschen hier wirklich zu versorgen und zu verhindern, dass sich die Situation weiter verschlechtert, müssen auch andere Organisationen hier die Arbeit aufnehmen und die Behörden müssen ihnen den Zugang erleichtern."
Vermeidbares Leid
Um Ayman überwand das Trauma ihres Erlebnisses und bereitete sich darauf vor, zurück ins Krankenhaus zu gehen, um ihre Wunde reinigen zu lassen. "Ich habe Angst", sagte sie. "Ich möchte nicht sterben, ohne meine Kinder wiederzusehen." Dass ein Kind quer im Becken liegt, ist eine recht häufig auftretende Komplikation, die unter den entsprechenden medizinischen Bedingungen gut gelöst werden kann – für Um Ayman ging sie beinahe tödlich aus.
"Ohne besseren Zugang für humanitäre Organisationen in der Region, werden mehr Menschen, wie Um Ayman, an leicht zu vermeidenden oder einfach zu behandelnden medizinischen Problemen leiden - und sogar sterben", sagte Kahindi. "Das dürfen wir nicht zulassen."