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10.000 syrische Babys - geboren in einem anderen Land

In unserer Geburtsklinik in der jordanischen Provinz Irbid - 15 Kilometer von der Grenze zu Syrien entfernt - sind in vier Jahren 10.000 Babys zur Welt gekommen. Die meisten haben syrische Eltern. Sie gehören zu einer Generation, die das Land ihrer Herkunft nie gesehen hat. Vor den Kindern liegt eine Zukunft mit großen Herausforderungen im Hinblick auf ihre Identitätsfindung und Integration in die jordanische Gesellschaft. Laut Schätzungen der Behörden leben insgesamt mehr als eine Million Flüchtlinge in Jordanien.

Basma* aus Syrien ist 20 Jahre alt. Sie lebte im jordanischen Flüchtlingslager Zaatari, als sie schwanger wurde. Dort wollte sie ihr Kind nicht zur Welt bringen. Darum zog sie mit ihrem Ehemann an den Stadtrand von Irbid. Die beiden hatten große Mühe, Arbeit zu finden, und es war noch schwieriger, Zugang zu medizinischen Untersuchungen und Medikamenten zu bekommen.

Die meisten syrischen Familien, die nach Jordanien geflohen sind, können Gesundheitsleistungen in privaten Kliniken nicht bezahlen. Dort kostet jeder Besuch durchschnittlich zwischen 25 und 40 jordanische Dinar (30 und 48 Euro) - unerschwinglich für Menschen, die ohne Arbeit oder verschuldet und abhängig von der begrenzten humanitären Hilfe sind.

Basma hörte, dass man in der Geburtsklinik von Ärzte ohne Grenzen in Ibrid kostenlos behandelt wird. Wenige Monate später brachte sie dort ihr Baby zur Welt. „Ich schätze mich glücklich, dass wir trotz allem Kummer und aller Mühen ein Baby bekommen haben und dass unsere kleine Familie hier von unparteiischen Ärzten und Pflegekräften betreut wird“, sagt sie.

Als Flüchtlinge geboren

Erwan Grillon koordiniert den Einsatz von Ärzte ohne Grenzen in Jordanien. „Wir sind hier in einer einzigartigen Position“, sagt er über die Geburtsklinik in Irbid. „Einerseits sehen wir, wie mit jeder Geburt ein Stück Hoffnung in die Welt kommt. Andererseits realisieren wir aber auch, dass viele Babys wohl niemals das Land ihrer Eltern sehen werden.“

In den vier Jahren seit Eröffnung der Geburtsklinik sind dort 10.000 Babys zur Welt kommen. Die meisten haben syrische Eltern. Auf diese Kinder kommen Probleme bei der Identitätsfindung zu, meint Grillon, denn viele Patientinnen berichten, wie schwierig es ist, sich in die jordanische Gesellschaft zu integrieren.

Aus Sicht der Behörden sind die Flüchtlinge eine große Bürde. Die Lage der Wirtschaft und des Gesundheitswesens sowie Angst vor Terrorismus nennen Teile der jordanischen Bevölkerung, wenn man sie nach ihren Sorgen fragt. „Wirtschaftlich gesehen gelten die Flüchtlinge als Eindringlinge“, sagt Grillon. „Sie sind arm und mühen sich ab, irgendwie über die Runden zu kommen. Zugleich sehen sie sich dem Vorwurf ausgesetzt, eine zusätzliche Last für Jordaniens Arbeitsmarkt zu sein.“

In der Provinz Irbid leben aktuell 140.000 Syrer. Viele von ihnen haben ihr Land nach Ausbruch des Bürgerkrieges verlassen. In Jordanien leben 660.550 registrierte Flüchtlinge. Laut Schätzungen der Behörden sind aber mehr als eine Million Menschen nach Jordanien geflohen.

„Eine Patientin, die ich nie vergessen werde“

Wie furchtbar die Situation in Syrien ist, verdeutlicht ein Fall, den Maysoon Mohammad Khalaf Al-Hijazat schildert. Die Hebamme arbeitet als Oberschwester in Irbid und hat im Lauf der Jahre hunderte Notfälle erlebt. „Aber es gab eine Patientin, die ich nie vergessen werde“, sagt sie.

„Als sie zu uns kam, war sie schwanger. Sie hatte beide Beine verloren, weil sie in Syrien auf eine Mine getreten war. Es war sehr schlimm für uns alle, die arme Frau so zu sehen. Aber wir zwangen uns, die Fassung zu bewahren, so als wäre sie nur eine gewöhnliche Patientin, die zur Vorsorgeuntersuchung kommt. Wegen ihres Zustandes gab es bei der Geburt Komplikationen. Leider hat ihr Baby nicht überlebt.“

Dies ist eine extrem tragische Geschichte aus der Geburtsklinik in Irbid. Doch auch aus den meisten anderen Schicksalen der Patientinnen und Patienten geht hervor, wie problematisch die Lage der syrischen Flüchtlinge in Jordanien ist und welche Sorgen sie sich um ihre Zukunft machen.

Was bringt die Zukunft?

Ayesha* hat Zwillinge in unserer Klinik zur Welt gebracht. Trotz ihrer Freude, Mutter geworden zu sein, bangt sie um die Zukunft ihrer Kinder. „Ich habe sie in eine Ungewissheit hineingeboren. Für mich ist nur sicher, dass sie einen langen und schwierigen Weg vor sich haben“, sagt sie.

„Meine Kinder werden Syrien vielleicht jahrelang nicht sehen – oder sogar nie. Mein Mann und ich müssen uns hier vermutlich weiter durchschlagen, doch sie wurden hier geboren. Vielleicht gehen sie zusammen mit anderen syrischen Kindern zur Schule, zu einer anderen Zeit als jordanische Kinder, damit es keine Schwierigkeiten gibt.“

 

*Name geändert