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Ein gespaltenes Land und die Grenzen humanitärer Arbeit

Seit mehr als vier Jahren hält ein bewaffneter Konflikt zwischen staatlichen Sicherheitskräften und anglophonen Separatistengruppen im Nordwesten und Südwesten Kameruns an. Den Preis zahlt die zivile Bevölkerung: Bewaffnete Überfälle auf Dörfer, Angriffe auf Schulen, außergerichtliche Tötungen, Entführungen, Folter und sexualisierte Gewalt sind seit der sogenannten "anglophonen Krise" zur neuen Normalität geworden. Die Wurzeln des Problems liegen tief in der Kolonialzeit verankert.  

Als 2016 Lehrer*innen- und Anwält*innengewerkschaften gegen die zunehmende Frankophonisierung des Justiz- und Bildungssystem streiken, schließen sich Aktivist*innen an, die den Schutz des Rechtssystems in den anglophonen Regionen fordern. Diese Proteste weiten sich schnell über die gesamte südwestliche Region aus, was die hohe Frustration mit der Regierung deutlich macht. Aus einem politischen Konflikt um Sprache wird ein bewaffneter Konflikt, in dem es um grundlegende soziale und wirtschaftliche sowie politische Reformen geht. Bis heute scheint keine Einigung in Sicht. Mit zunehmender Gewalt auf beiden Seiten steigt auch das Leid in der Bevölkerung. 

 

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Obel Antoinettes Sohn hatte hohes Fieber und litt an Malaria. Als sich sein Zustand verschlechterte, war es bereits nach der Ausgangssperre und Obel rief unseren Rettungsdienst im Südwesten Kameruns.
© Scott Hamilton/MSF

 Diese anglophone Krise betrifft uns alle. Es ist eine sehr gefährliche Zeit; zeitweise wird viel geschossen, und nachts kann man nicht rausgehen, weil es nicht sicher ist. Ich konnte nicht einfach ein Motorradtaxi nehmen, um mein Kind ins Krankenhaus zu bringen, also musste ich den Rettungsdienst von Ärzte ohne Grenzen rufen.  

Obel Antoinette aus Südwest-Kamerun 

Ein Erbe der Kolonialzeit 

Der Grundstein des Konflikts wurde 1919 gelegt, als Deutschland den 1. Weltkrieg verliert und Kamerun, bis dahin deutsche Kolonie, in ein britisches und französisches Völkerbundmandat (festgehalten durch den Versailler Vertrag) aufgeteilt wird. Während der östliche Teil von Frankreich verwaltet wird, gehen die Regionen Südwest und Nordwest an Großbritannien. Seitdem gibt es nicht nur zwei Amtssprachen-Englisch und Französisch-, sondern auch zwei Bildungs- und Rechtssysteme. Nach dem Auslaufen des Mandats gründet sich 1961 die Republik Kamerun und der anglophone schloss sich dem frankophonen Teil an. Seither beklagen sich die Bewohner*innen der anglophonen Minderheit über die zunehmende Benachteiligung.  

Nach den jüngsten UN-Statistiken wurden mehr als 711.000 [1] Menschen durch die Gewalt im Nordwesten und Südwesten Kameruns vertrieben, weitere 67.000 [2] sind ins benachbarte Nigeria geflohen. Mehr als zwei Millionen Menschen benötigen aufgrund der physischen und psychischen Folgen der Krise humanitäre Hilfe. 

24 Stunden sieben Tage die Woche im Einsatz 

Seit 2018 haben unsere Teams einen Ambulanzdienst in den beiden anglophonen Regionen eingerichtet, um den Zugang zu medizinischer Notfallversorgung in einer unsicheren und von Gewalt geprägten Region zu gewährleisten.

Jeden Montag wird von bewaffneten Gruppen eine Ausgangssperre in den anglophonen Regionen verhängt, die die Menschen daran hindert, ihre Häuser zu verlassen - das macht es für sie extrem schwierig, im Falle eines medizinischen Notfalls ins Krankenhaus zu kommen. Während dieser Abriegelungen verzeichneten wir in der Notrufzentrale in der Region Kumba einen Anstieg der eingehenden Anrufe um mehr als 20 Prozent im Vergleich zu normalen Tagen. Es gibt keine andere Organisation, die in der Südwest-Region einen kostenlosen Rettungsdienst anbietet, schon gar nicht während der Ausgangssperren.  

Die Auswirkungen dieser Krise auf die Bevölkerung dürfen nicht unterschätzt werden. Unsere Unterstützung für Krankenhäuser, unsere kommunalen Gesundheitshelfer*innen und unser Ambulanzdienst sind für die Menschen hier lebenswichtig, aber der Bedarf ist enorm, und im Vergleich dazu ist unsere Arbeit ein Tropfen auf den heißen Stein; es muss mehr getan werden.

Unser Einsatzkoordinator für die Region Südwest, Zakaria Mwatia 

Unser Ambulanzdienst steht rund um die Uhr zur Verfügung, auch während der von bewaffneten Gruppen verhängten Ausgangssperren und Abriegelungen. 2020 haben unsere Teams mehr als 9.000 Überweisungen vorgenommen. 

Rückzug aus dem Nordwesten 

Im Dezember 2020 kam es leider zu Suspendierung unserer Arbeit im Nordwesten durch die kamerunischen Behörden. Der offizielle Grund hierfür war eine Überprüfung der Rahmenbedingungen der Zusammenarbeit zwischen Ärzte ohne Grenzen und der Regierung. Jedoch folgte diese Entscheidung nacheiner Reihe von Anschuldigungen, in denen uns vorgeworfen wurde, lokale bewaffnete Gruppen zu unterstützen, was wir sowohl in Gesprächen mit den Behörden als auch in der Öffentlichkeit konsequent und kategorisch zurückgewiesen hatten. Trotz monatelanger Gespräche erlaubten die Behörden uns nicht, unsere medizinischen Aktivitäten wieder aufzunehmen, weshalb wir uns gezwungen sahen, uns im August 2021 vollständig aus dem Nordwesten Kameruns zurückzuziehen.  

Wir können nicht länger in einer Region bleiben, in der wir den Menschen nicht helfen dürfen. Was wir behalten ist ein kleines Büro mit zwei Mitarbeitenden in Bamenda, der Hauptstadt der Region, um den Dialog mit den Behörden fortzusetzen.

Emmanuel Lampaert, unser Einsatzkoordinator  für Zentralafrika. 

Auch in Kamerun behandeln wir verwundete Zivilist*innen, als auch Mitglieder von Regierungstruppen und bewaffneten Gruppen gleichermaßen. Denn als medizinische Hilfsorganisation arbeiten wir nach den humanitären Prinzipien Unparteilichkeit, Neutralität und Unabhängigkeit. Doch auch wir stoßen bei der Arbeit in Konflikt- und Krisengebieten trotz der Arbeit nach diesen Prinzipien an Grenzen und müssen darauf achten, politisch nicht instrumentalisiert zu werden, wie das Beispiel Kamerun zeigt.

2021 hat unser Rettungsdienst allein in den ersten sechs Monaten 3.956 Überweisungen in Krankenhäuser im Südwesten durchgeführt. Unser Ambulanzdienst steht rund um die Uhr zur Verfügung, auch während der von bewaffneten Gruppen verhängten Ausgangssperren.  

[1] UNHCR Operational Portal, Refugee situations - Cameroon  

[2] UNHCR, Operational Portal, Refugee situation - Nigeria