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Südsudan: Geburtshilfe zwischen Fluten und Konflikt

Martha* kommt mit Luftnot in unsere Notaufnahme in Old Fangak, einer Inselstadt in einem abgelegenen Sumpfgebiet im Norden des Südsudans. Straßen gibt es dort keine, die Menschen bewegen sich in Kanus und Booten fort. Ihr besorgter Ehemann begleitet sie. Vor zwei Wochen habe Martha ihr erstes Kind zur Welt gebracht, erklärt er. Alles schien gut verlaufen zu sein. Bis Martha plötzlich keine Luft mehr bekam.  
 
Unsere Mitarbeiter*innen kommen zu dem Schluss, dass die Frau an einer Lungenembolie leidet: ein Gerinnsel, das die Blutzufuhr zur Lunge blockiert und akute Schmerzen und Kurzatmigkeit verursacht. Da Blutgerinnsel während und kurz nach einer Schwangerschaft leichter auftreten, sind Frauen in dieser Zeit besonders gefährdet. 

Jede Sekunde zählt 

In Notfällen wie diesen zählt jede Sekunde. Unser Team verabreicht Martha Sauerstoff und blutverdünnende Medikamente gegen ein Fortschreiten der Gerinnselbildung. Ihr Ehemann sorgt sich trotzdem, denn unser Krankenhaus in Old Fangak ist klein. Er fragt nach einer Verlegung in die Hauptstadt Juba. Doch dort ist die Lage der Gesundheitseinrichtungen, wie im gesamten Land, äußerst angespannt: Es fehlt an medizinischem Material und Personal. Und: Ein Krankentransport in Richtung Festland ist unmöglich. Denn die Landebahn in Old Fangak ist überflutet. 

Die Fluten reißen auch Krankenhäuser mit sich 

Der Südsudan ist bereits das vierte Jahr in Folge von beispiellosen Fluten betroffen. Saisonale Überschwemmungen des Nils sind in dem Land nichts Ungewöhnliches. Die Entwicklung der vergangenen Jahre ist jedoch besorgniserregend und wird durch die Klimakrise verschärft: Die Regenzeit dauert länger und die Intensität des Niederschlags wird immer stärker. 

Und so verschärfen die Überschwemmungen auch die medizinische Notlage für werdende Mütter. Aufgrund der jahrelangen Instabilität verfügt das Land ohnehin nur über ein sehr begrenztes öffentliches Gesundheitssystem. Allein im Jahr 2020 starben im Südsudan 3.800 Frauen an den Folgen von Schwangerschafts- oder Geburtskomplikationen. Zum Vergleich: In Deutschland waren es 34.

Glücklicherweise können wir Martha auch in unserer kleinen Klinik vor Ort gut behandeln. Ihr Zustand bleibt einige Tage kritisch, bis es ihr nach einer Woche ganz langsam ein wenig besser geht. Die Schmerzen lassen nach, ihre Atemfrequenz verringert sich, und sie beginnt wieder, ein wenig zu essen. Nach drei Wochen kann sie das Krankenhaus endlich verlassen – zusammen mit ihrem Mann und ihrem nun fünf Wochen alten Baby. 

Deiche Schaufeln, um das Wasser aufzuhalten

Szenenwechsel nach Ulang County weiter östlich im Land: Männer, Frauen und Kinder schaufeln Deiche auf, um das Flutwasser davon abzuhalten,  ihr Dorf zu überschwemmen. Unsere Mitarbeiter*innen nähern sich ihnen auf einem Motorboot. Denn: Es heißt, eine Geburt kündige sich an, eine Dorfbewohnerin liege bereits seit einem Tag in den Wehen.  

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Überschwemmtes Dorf in Ulang, Südsudan.
Die Folgen der Klimakrise machen sich im Südsudan auf dramatische Weise bemerkbar. Bereits das vierte Jahr in Folge ist das Land von beispiellosen Überflutungen übertroffen.
© Nicola Flamigni/MSF

Selbst zu Trockenzeiten muss eine werdende Mutter im Südsudan häufig tagelang laufen, bis sie das nächste Krankenhaus erreicht. Während der Regenzeit sind Gemeinden monatelang durch das umliegende Flutwasser isoliert. Die meisten Frauen bringen ihre Kinder dann zuhause zur Welt, oftmals mit Hilfe traditioneller Geburtshelferinnen. Wenn das Leben der Mutter oder des Kindes in Gefahr ist, ist dann keine medizinische Nothilfe in Sicht. Der Sprit für Bootsfahrten ist teuer. Und durch den jahrelangen Konflikt besteht auf dem Weg ins nächste Krankenhaus die Gefahr, von bewaffneten Gruppen überfallen zu werden. 

 

 “Wir haben einen neuen Passagier an Bord!”

Als die Dorfbewohner*innen unser Boot sichten, rennen sie in die Ortschaft hinein, um die Schwangere zu uns zu bringen. Unser Team nimmt sie auf dem Boot in Empfang und steuert unser Krankenhaus in Ulang an: die einzige Gesundheitseinrichtung für die rund 100.000 Menschen, die in der Stadt und den umliegenden Dörfern leben. 

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Mitarbeiter*innen erreichen per Boot Menschen im Südsudan.
Mehrstündige Bootsfahrten legen unsere Mitarbeiter*innen im Südsudan zurück, um die Menschen zu erreichen, die durch die Überflutungen von jeglicher Gesundheitsversorgung abgeschnitten sind.
© MSF/Verity Kowal

Die fünfzigminütige Bootsfahrt zum Krankenhaus kam mir vor wie eine Ewigkeit. Hätte sie einen Kaiserschnitt gebraucht, wäre uns nichts anderes übrig geblieben, als sie in unser Krankenhaus nach Malakal zu bringen. Das wiederum liegt eine achtstündige Bootsfahrt entfernt.

- Fernando Bartolome Guarido, Projektkoordinator im Südsudan 

Plötzlich werden die Wehen stärker. Unsere Mitarbeiter*innen verlangsamen das Boot und versuchen, es der Frau so bequem wie möglich zu machen. Nach einigen Minuten ertönt der erste Schrei. Die Mutter hält überglücklich ihr Neugeborenes in den Armen. “Wir haben einen neuen Passagier an Bord!”, informiert unser Fahrer über das Funkgerät unser Krankenhaus. 

Eine Drillingsgeburt in 90 Stunden

Werdende Mütter stehen im Südsudan vor vielen Herausforderungen. Ernährungsunsicherheit macht sie besonders anfällig für Mangelernährung. Die fehlenden Bildungs- und Arbeitsmöglichkeiten hindern sie daran, ihre Armut zu überwinden. Außerdem leben Hunderttausende aufgrund des Konflikts und der starken Überschwemmungen in Vertriebenencamps.  

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Riesiges Vertriebenencamp in Bentiu, Südsudan, umgeben von Flutwasser.
Mehr als 120.000 Menschen leben im Vertriebenencamp in Bentiu. Die ständige Bedrohung: Flutwasser. Zuweilen ist das Camp fast vollständig vom Hochwasser umzingelt, lediglich ein paar Deiche schützen es. Wir betreiben nahe des Camps unter anderem eine Entbindungsstation.
© Christina Simons

In der Stadt Bentiu betreiben wir ein Krankenhaus in der Nähe eines solchen Camps – die einzige Gesundheitseinrichtung für die rund 130.000 Bewohner*innen. Dort kam es vor Kurzem in unserer Entbindungsstation zu einem ganz besonderen Ereignis. Eine Frau stand kurz vor einer Drillingsgeburt: Ihre Fruchtblase war geplatzt, jedoch viel zu früh. Bis dahin wusste sie noch gar nicht, dass sie mit Drillingen schwanger war. Aufgrund der Position, in der die Babys lagen, war die Situation kritisch. Wir gaben ihr Antibiotika und überwachten die Vitalwerte. Kurz darauf fingen die Wehen an und sie brachte das erste Baby zur Welt. Ein kleiner, gesunder Junge – der 1,8 Kilo wog und ziemlich groß war für einen Drilling. 

Normalerweise folgt die Geburt der Geschwister direkt im Anschluss. Doch in diesem Fall vergingen erst 24, dann 48 und schließlich 72 Stunden. Wir betreuten die Frau engmaschig, führten immer wieder Ultraschalluntersuchungen durch, um sicherzugehen, dass es den anderen beiden Babys gut ging. In der Zwischenzeit begann die Mutter ihr erstes Neugeborenes zu stillen. 90 Stunden nach ihrer Ankunft ins Krankenhaus kamen dann noch zwei weitere Jungen zur Welt. Alle Babys waren gesund und wohlauf und ihre Mutter überglücklich.

 

Angesichts der aufflammenden Gewalt und wachsenden Naturkatastrophen, betreiben wir Krankenhäuser und Kliniken und unterstützen bestehende staatliche Einrichtungen, vor allem bei der Versorgung von Müttern, Kindern und Neugeborenen sowie bei der Bekämpfung von Krankheitsausbrüchen. Ärzte ohne Grenzen leistet seit 1983 Hilfe im Südsudan.

Ärzte ohne Grenzen ist seit 1983 im Südsudan aktiv. Angesichts der immer wieder aufflammenden Gewalt und zunehmenden Naturkatastrophen, betreiben wir Krankenhäuser und Kliniken, unterstützen bestehende staatliche Einrichtungen und bilden lokale Gesundheitshelfer*innen aus.

Trotz der sich verschlimmernden humanitären Lage im Land wurden internationale Hilfsgelder gestrichen. Diese Kürzungen betreffen die humanitäre Versorgung unmittelbar und sollten sofort rückgängig gemacht werden, damit für dringend benötigte Nahrungsmittel und Gesundheitsversorgung ausreichende Ressourcen zur Verfügung stehen.