Ost-Aleppo: Kaum Hoffnung für die Kinder
Mindestens 320 Kinder wurden in den vergangenen drei Wochen bei syrischen und russischen Luftangriffen in Ost-Aleppo verwundet. Zugleich fürchten die Behörden, dass immer mehr Kinder an Krankheiten leiden werden, die durch verunreinigtes Wasser hervorgerufen werden. Nach wie vor ist es nicht möglich, Medikamente und medizinisches Material in den belagerten Ostteil der Stadt zu bringen.
Die Bombardierungen durch die syrische und russische Luftwaffe in Ost-Aleppo fordern ihren Tribut unter den Kindern. Nach Angaben der Direktion für Gesundheit in Ost-Aleppo wurden allein in den vergangenen drei Wochen durch Luftangriffe mindestens 320 Kinder verwundet. Mindestens 114 sind demnach getötet worden. Nach Auskunft der Ärzte vor Ort konnten Kinder zudem grundlegende Impfungen nicht erhalten, und immer mehr leiden an Krankheiten, die durch verunreinigtes Wasser übertragen werden.
Seit die Luftangriffe nach einer kurzen Waffenruhe am 23. September wieder aufgenommen worden, wurden jeden Tag durchschnittlich 17 Kinder verwundet. In dieser Zahl sind die Opfer der vergangenen zwei Tage, in denen die Bombardierungen stark zugenommen haben, noch nicht berücksichtigt. Seit Beginn des Syrien-Krieges im Jahr 2011 bis zum April dieses Jahres hat die Direktion für Gesundheit 5.200 getötete Kinder in Aleppo registriert.
Verwundete Kinder erreichen Krankenhäuser zu spät
„Die internationale Gemeinschaft ist immun geworden gegenüber den Bildern toter Kinder, die aus den Trümmern bombardierter Gebäude geborgen werden. Es ist zum täglichen Geschehen geworden. Alle möglichen zivilen Bereiche werden getroffen; Schulen werden zerstört. Die Realität ist, dass Kinder täglich in dieser ‚Todeszone‘ sterben“, sagt Carlos Francisco, Landeskoordinator von Ärzte ohne Grenzen für Syrien.
Die Menschen können die medizinischen Einrichtungen nur schwer erreichen. Mediziner aus den Krankenhäusern berichten, dass Patientinnen und Patienten mit eigentlich leicht zu behandelnden Verletzungen daher immer wieder Komplikationen entwickeln oder sie kommen so spät, dass sie bereits in Lebensgefahr schweben. Dabei sind Kinder besonders gefährdet.
Verbleibende Ärzte völlig überwältigt
“Zahlreiche Kinder haben ihre Eltern durch die Luftangriffe und die Belagerung von Ost-Aleppo verloren. Manche wurden schwer verletzt und werden ihr Leben lang mit Behinderungen leben. Andere leiden an schweren Traumata. Die Folgen von dem, was wir heute sehen, werden noch Jahre andauern“, sagt Pablo Marco, Programmleiter von Ärzte ohne Grenzen im Nahen Osten.
Kinder sind nicht nur durch die Luftangriffe in Lebensgefahr, sondern auch, weil die grundlegende Gesundheitsversorgung unzureichend ist oder gar nicht mehr existiert.
„Früher gab es in Ost-Aleppo Polio-Impfkampagnen sowie umfassende Programme zur Immunisierung. Doch das ist nicht mehr möglich, da Impfstoffe und logistisches Material nicht mehr in die Region gebracht werden können“, berichtet Dr. Hassan Nerabani von der Direktion für Gesundheit in Aleppo. „Auch die Zahl der medizinischen Teams, die in Ost-Aleppo arbeiten, reicht nicht aus. Sie sind völlig überwältigt von der riesigen Zahl Kriegsverwunderter und ihre Priorität ist es, Leben zu retten. Die Gesundheitsprogramme für Kinder sind daher vorübergehend eingestellt.“
Helfer müssen die Menschen erreichen können
Da sauberes Trinkwasser zunehmend knapper wird, leiden viele Kinder in Ost-Aleppo unter Dehydrierung und Durchfallerkrankungen, berichten Mediziner aus den Krankenhäusern vor Ort. Einige Wasserpumpen wurden bei Luftangriffen zerstört, und für die verbleibenden Pumpen wird der benötigte Treibstoff knapp. „Wir sehen viele Kinder mit Hepatitis A, da uns sauberes Trinkwasser fehlt. Zudem haben wir Fälle schwerer Mangelernährung, da es nicht genügend Lebensmittel und Babynahrung gibt“, so Dr. Hassan Nerabani.
Auch die Schulbildung hat während der Belagerung gelitten. Seit der Schulbetrieb im September wieder aufgenommen wurde, sind mindestens sieben der 100 noch verbleibenden Schulen in Ost-Aleppo von Bomben getroffen worden. Eine der Schulen wurde zwei Mal getroffen, ein Lehrer wurde nach Angaben der lokalen Behörden getötet. „Die Familien haben Angst, ihre Kinder zur Schule zu schicken“, sagt Mohammed Bakir vom Lehrerkomitee in Ost-Aleppo.
„Alle Konfliktparteien müssen den sicheren und freien Zugang für medizinische und humanitäre Helfer gewährleisten. Sie müssen sicherstellen, dass schwerkranke und verletzte Menschen schnell in Regionen evakuiert werden können, wo sie eine spezialisierte medizinische Behandlung erhalten können und sich sicher fühlen“, fordert Pablo Marco von Ärzte ohne Grenzen.
Ärzte ohne Grenzen unterstützt die acht verbliebenen Krankenhäuser in Ost-Aleppo. Landesweit unterstützt die Hilfsorganisation mehr als 150 Gesundheitszentren und Kliniken, viele davon in belagerten Gebieten. Im Norden Syriens betreibt Ärzte ohne Grenzen selbst sechs medizinische Einrichtungen.