Trotz Waffenruhe: Situation für Menschen in belagerten Gebieten katastrophal
Obwohl der Waffenstillstand und Hilfskonvois die Situation in Syrien insgesamt etwas verbessert haben, bleibt die Situation in vielen belagerten Gebieten sehr kritisch. „In vielen belagerten Gebieten geht das Grauen ungebrochen weiter", sagt Bart Janssens, Leiter der Projektabteilung von Ärzte ohne Grenzen in Brüssel.
„In den vergangenen zwei Wochen ist in den belagerten Gebieten in der Region Damaskus ein Arzt von einem Scharfschützen erschossen worden, zwei von uns unterstützte Krankenhäuser wurden bombardiert, belagerte Wohngegenden werden beschossen und medizinische Hilfe wird immer noch blockiert oder eingeschränkt“, so Janssens. „Wir bekräftigen unsere Forderung nach einem Ende wahlloser und gezielter Gewalt gegen Zivilisten und zivile Gebiete. Und wir betonen erneut die dringende Notwendigkeit, Menschen zu evakuieren, die medizinische Hilfe brauchen. Humanitäre Güter müssen alle Gebiete erreichen, in denen Menschen in Not sind, insbesondere die belagerten Gegenden."
Letzter Arzt in Zabadani erschossen
In der belagerten Stadt Zabadani nahe Madaja im Nordwesten von Damaskus wurden in der vergangenen Woche der letzte verbliebene Arzt und ein Mitglied des Rettungsteams erschossen. Beide starben durch Schüsse eines Scharfschützen, nachdem sie einen Patienten behandelt hatten.
In den meisten belagerten Gebieten gibt es nur noch wenige Ärzte, an einigen Orten gar keine mehr. Einige sind geflohen, viele von ihnen sind bei Bombardierungen oder durch Schüsse getötet worden. Ärzte ohne Grenzen hat dokumentiert, dass im Jahr 2015 allein in den von der Organisation unterstützten medizinischen Einrichtungen 23 syrische Mitarbeiter getötet und 58 verwundet wurden.
In einigen belagerten Gebieten ist es normal, dass Pflege- und Medizinstudenten mit begrenzter Ausbildung Patienten behandeln und sich bemühen, das Beste aus der Situation zu machen. Auch wenn Ärzte ohne Grenzen versucht, sie aus der Ferne fachlich zu beraten und zu unterstützen, können sie unmöglich alle schwierigen medizinischen Behandlungen meistern, die nötig wären. Dieser Zustand macht auch eine korrekte Diagnose von Erkrankungen und Verletzungen extrem schwierig.
Zwei Krankenhäuser bombardiert
In den belagerten Vorortgebieten von Damaskus in Ost-Ghuta wurden in der vergangenen Woche zwei von Ärzte ohne Grenzen unterstützte Kliniken, eine Schule sowie Wohnhäuser bombardiert. Die Kliniken befinden sich in den Ortschaften Deir Al Asafir und Zebdine. Bei den Angriffen wurden mindestens 38 Menschen getötet und 87 verwundet. Unter den Verletzten sind fünf medizinische Mitarbeiter.
Die verbliebenen Ärzte in diesen Gebieten haben in den vergangenen Monaten äußerst wenig Medikamente und medizinisches Material erhalten. Sie sind von der Unterstützung durch Ärzte ohne Grenzen und anderen humanitären Organisationen abhängig. Das medizinische Material wird auf verborgenen Wegen zu ihnen gebracht.
In den vergangenen Wochen wurden mehrere belagerte Gebiete in der Umgebung von Damaskus bombardiert, in denen Ärzte ohne Grenzen Gesundheitseinrichtungen unterstützt. Dazu gehören Al Marj, Deir al Asafir und Zebdine.
Medizinisches Material aus Hilfskonvois entfernt
Internationale Hilfskonvois erhalten weiterhin nur selten Zutritt zu belagerten Gebieten. Erreicht doch ein Hilfskonvoi sein Ziel, so kommt die Fracht meist unvollständig an. Medizinische Fachkräfte, die von Ärzte ohne Grenzen unterstützt werden, berichten, dass oft Material für Chirurgie und Anästhesie sowie lebenswichtige medizinische Artikel wie Blutkonserven fehlen. Außerdem gibt es meist viel zu wenige Infusionen. Somit mangelt es genau an Material, das für Verletzungen durch Bombardements, Unfalltraumata oder Kaiserschnitte unbedingt nötig ist. Unlängst erklärten UN-Vertreter, im bisherigen Verlauf des Jahres 2016 seien 80.000 medizinische Artikel aus geplanten Konvois entfernt worden.
Medizinisch gebotene Evakuierungen nicht erlaubt
In den 40 medizinischen Einrichtungen in belagerten Gebieten um Damaskus, die von Ärzte ohne Grenzen regelmäßig unterstützt werden, gibt es lange Listen mit Patienten, die sich in kritischem Zustand befinden. Sie warten auf eine lebensrettende Behandlung, die vor Ort nicht möglich ist. Jedoch können diese Patienten nur in den seltensten Fällen gerettet werden. Allein in der zurückliegenden Woche starben in Madaja fünf Menschen. Man hätte drei von ihnen vermutlich stabilisieren und behandeln können, wäre ihre Evakuierung erlaubt worden. Ein Kind erlag den Verletzungen eines Unfalls mit einem Blindgänger, eine ältere Person starb vermutlich infolge einer Durchblutungsstörung des Gehirns und ein junger Mann verhungerte.
Mangelernährung und Blockade halten an
Trotz der Konvois wurden mehrere hundert Fälle von Mangelernährung von dem medizinischen Team in Madaja und sieben Fälle schwerer Mangelernährung in Madamijeh identifiziert. Einige Gebiete wie Daraja und Duma bleiben komplett für humanitäre Helfer blockiert. Auch die wiederholte Zugangsverweigerung zu den belagerten Gebieten von Barzeh nahe Damaskus und El Waer nahe Homs ist alarmierend.