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Lebensrettende Handgriffe: Geburtshilfe im Süden Afghanistans

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Nana Bündgen am Eingang des Krankenhauses in Laskar Gah

Nana Bündgen

Ich bin Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe.

Nana Bündgen ist Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe und zum zweiten Mal in der der Provinzhauptstadt Lashkar Gah in Helmand im Einsatz. Sie erzählt wie es ist, an einem Ort zu arbeiten, wo man froh sein muss, wenn Frauen es trotz der schwierigen Sicherheitslage aus entlegenen Bezirken ins Krankenhaus schaffen. Und sie berichtet von Notfällen der Geburtshilfe, die ihr nicht so schnell aus dem Kopf gehen.

Zu viert sitzen wir auf der Rückbank unseres Jeeps und versuchen, so viele Eindrücke wie möglich von dem Leben in den Straßen aufzunehmen. Im vorausfahrenden Jeep sitzen unsere männlichen Kollegen, streng getrennt nach Geschlecht, wie die Regeln es hier in Helmand verlangen. Die tägliche Fahrt von unserer Unterkunft ins Boost-Krankenhaus dauert nicht lang, ist aber unsere einzige Chance, kurze Einblicke in den Alltag auf den Straßen Laskhar Gahs zu bekommen.  

Morgens ist es Mitte Februar immer noch kühl, so sieht man viele Männer eng in ihre Patus gehüllt, den traditionellen Umhang, auf klapprigen Fahrrädern durch die Straßen flitzen. Unter den Arm oft mehrere frische Fladenbrote geklemmt, die früh morgens schon am Straßenrand zu kaufen sind.  

Vor dem Sprachinstitut ist um diese Zeit immer viel los. Junge Frauen komplett in hellblaue Burkas gehüllt, nur die glänzenden Highheels luken unter dem Saum hervor, warten vor dem Frauen-Eingang. Barfüßige Kinder, selbst die Mädchen schon ein Kopftuch tragend, winken uns vom Straßenrand zu. So gerne würden wir aussteigen und uns unter die Einheimischen mischen, um etwas mehr am Leben teilzunehmen, aber die weiterhin angespannte Sicherheitslage in Helmand wird das wohl in absehbarer Zukunft nicht möglich machen. 

Der ersehnte blaue Fingerabdruck 

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Der Eingang des  Boost Krankenhaus in Lashkar Gah, Afghanistan
Das Boost Krankenhaus in Lashkar Gah.
© MSF/Elise Moulin

Im Krankenhaus angekommen mache ich mich auf den Weg zur Frühbesprechung in der Geburtshilfe, wohlwissend, dass mich alles erwarten kann - leere Notfall-Betten im Flur und ein entspannter Kreißsaal oder mehrere Patientinnen in kritischem Zustand zur gleichen Zeit. 
Mir geht unsere Patientin von gestern nicht aus dem Kopf. Gulalai* hat unsere Klinik in sehr kritischem Zustand erreicht. Nach der Geburt ihres elften Kindes zu Hause hatte sie nicht aufgehört zu bluten. In der Klinik mussten wir rasch feststellen, dass eine Operation nötig war, um ihr Leben zu retten.  

Frauen gelten in dieser Region Afghanistans allgemein nicht als einwilligungsberechtigt, wenn es um medizinische Eingriffe geht. Bevor wir operieren dürfen, müssen wir die Erlaubnis des männlichen „care takers“ (Betreuers) einholen. Das ist zunächst der Ehemann oder auch der Bruder, Schwager, Onkel…. wie gestern verrinnen oft wertvolle Minuten des verzweifelten Wartens, bis wir endlich den ersehnten kleinen Zettel mit dem blauen Fingerabdruck einer dieser Personen in den Händen halten. Dann können wir mit der Patientin für den lebensnotwendigen Eingriff in den OP fahren. 

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Zwei Gynäkologinnen operieren eine Frau im Boost Krankenhaus in Afghanistan
Gynäkologinnen bei der Arbeit im Boost Krankenhaus.
© MSF/Elise Moulin

Frauen unter sich

Schon beim Durchtritt durch die großen Flügeltüren der Geburtsstation, die für Männer verschlossen bleiben, spürt man heute Morgen eine entspannte Atmosphäre. Die Hebammen der Nachtschicht tauschen lachend die neuesten Neuigkeiten mit der Tagschicht aus. Alle in rosa Uniform gekleidet, unterschiedlich nur die prächtigen Kopftücher, die hier unter uns Frauen auch mal vom Kopf rutschen dürfen. In einem Bett erkenne ich Gulalai, erleichtert sehe ich sie schwach zurück lächeln. Sie scheint die Nacht stabil überstanden zu haben.  

Die Teamleitung berichtet von mehr als 40 Geburten in der Nacht. Trotz zunehmender Kriegshandlungen in den umgebenden Gebieten und zahlreichen Straßensperren also fast wieder eine normale Geburtenzahl für den Kreißsaal des Boost-Krankenhauses.

 Aktuell scheinen alle Patientinnen stabil zu sein, so dass ich mit den beiden jungen afghanischen Ärztinnen die Visite beginnen kann. Wir sind gerade in dem 10-Betten Zimmer, in dem unsere Patientinnen nach Kaiserschnitt-Operationen liegen, als plötzlich eine der Hebammen aus dem Kreißsaal hineinstürmt. Dass es sich um einen Notfall handelt, verstehe ich auch ohne Pashtu-Kenntnisse. Während wir in den Kreißsaal rennen, übersetzt meine Kollegin nur knapp: “Schulterdystokie”. Ein geburtshilflicher Notfall egal ob in meiner deutschen Heimat oder hier in Afghanistan. 

Handgriffe, die Leben retten

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Frauen vor der Geburtsstation in der Sonne
Trotz der schwierigen Sicherheitslage schaffen es Frauen immer wieder in unsere Geburtsstation - für viele ist es jedoch ein Weg von mehreren Stunden, bis sie uns erreichen.
© MSF/Elise Moulin

Mein Blick mustert zügig die acht Geburts-Pritschen mit bereits entbundenen oder in den Geburtswehen liegenden Frauen, nur spärlich durch dünne Vorhänge verdeckt.  

In der Mitte links sehe ich zwei Hebammen um eine Frau stehen. Die Stimmung ist angespannt. Wir eilen hinzu und sehen gleich den festsitzenden Kopf des Babys. Meine Kollegin und ich führen rasch die so oft trainierten Handgriffe durch und nach einer endlos erscheinenden Minute können wir die eingeklemmte Schulter des Babys lösen und das Kind auf den Bauch der Mutter legen.  

Das Neugeborene ist blass, schlapp und beginnt auch nach Stimulation nicht zu atmen, eilig durchtrennen wir die Nabelschnur und bringen es zur Versorgungseinheit. Wir beginnen mit der Beatmung. Meine Kollegin kontrolliert die Herzfrequenz und informiert mich erfreut: „etwa 100 Schläge pro Minute“, ein gutes Zeichen. Nach mehreren tiefen Beatmungen mit dem Ventilationsbeutel wird das Neugeborene langsam rosig und beginnt regelmäßig zu atmen. 

Zunächst wimmert es nur zögerlich, aber dann hören wir zwei kräftige Schreie. Erleichtert schauen wir uns an und die Anspannung fällt langsam von uns ab.

Erschöpft, aber glücklich

Wir bringen den kleinen Jungen zurück zur erschöpften Mutter. Als sie das Geschlecht des Babys sieht, fängt sie an zu strahlen. Meine Kollegin dolmetscht für mich: Dies ist ihr siebtes Kind, aber sie hat erst einen lebenden Jungen zuhause.  

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Eine Krankenpflegerin behandelt ein Neugeborenes im Boost Krankenhaus
Ein neues Leben im Boost Krankenhaus - nach einer komplizierten Geburt sind sowohl Mutter als auch Sohn wohlauf.
© MSF/Elise Moulin

Bibi Sahida* kommt aus einem entlegenen Bezirk Lashkar Gahs. Mehrere Stunden war sie unterwegs, um in unserem Krankenhaus zu entbinden. Das farbenprächtige, perlenbestickte Kleid ist starr von Straßenstaub, die Haare traditionell zu vielen Zöpfen geflochten. Am Arm klirren zahlreiche staubige Armreifen als sie nach meiner Hand greift. Sie werde für mich beten, übersetzt meine Kollegin. 

Wie schön, dass Bibi Sahida unsere Klinik trotz der schwierigen Sicherheitslage erreichen konnte, und wir ihr in dieser geburtshilflichen Notsituation helfen konnten. Ich bin sehr glücklich, dass der kleine Junge überlebt hat und meine junge afghanische Kollegin die schwierige Situation für Mutter und Kind so gut gemeistert hat. Doch steigt in diesen Momenten auch immer ein bedrückendes Gefühl in mir auf: zu wissen, dass die Frauen hier in Helmand oft glücklicher sind, wenn sie einen Jungen geboren haben als ein Mädchen. 

*Namen zum Schutz der Patientinnen geändert