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Durch die Wüste: Von Mexiko in die USA

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Belen Ramirez schient Arm von Jungen

Belen Ramirez

Ich bin Ärztin und seit 2014 mit Ärzte ohne Grenzen im Einsatz - unter anderem in der Demokratischen Republik Kongo, dem Tschad, Kamerun, Nigeria, Honduras und Mexiko.

"Mami, Mami!", Mateo* ist 5 Jahre alt und so glücklich seine Mutter zu sehen: Sie ist bereits in den USA und wir rufen sie von meinem Handy aus an. Die Nummer war auf einem Stück Papier notiert und in einer kleinen Plastiktüte an dem Rosenkranz befestigt, den er wie eine Kette um den Hals trägt. Er hielt die Tüte immerzu fest und wiederholte, das Stück Papier sei für die Polizei. Eine Gruppe etwas älterer unbegleiteter Minderjähriger aus Guatemala und Mexiko hatte ihn allein und weinend gefunden, als sie im Morgengrauen das Camp mitten im Nirgendwo an der Grenze zwischen den USA und Mexiko erreicht haben. Sie hatten ihn zu sich geholt und getröstet. 

Ich erkläre ihm und seiner Mutter jetzt, dass die US-amerikanischen Grenzbeamt*innen Mateo* in ein Zentrum für unbegleitete Minderjährige bringen und sie dann voraussichtlich kontaktieren werden - wie lange das dauern wird, weiß ich nicht. Mateos Mutter sagt ihm, er solle tapfer sein und nicht weinen. Immerhin weiß sie jetzt, wo er ist und dass es ihm gut geht. 

Am Ende der Mauer

Ich bin als Projektkoordinatorin von Ärzte ohne Grenzen in Arizona, um ehrenamtliche Gruppen wie die Samariter zu unterstützen, die humanitäre Hilfe für Migrant*innen und Asylbewerber*innen leisten.

Es ist kurz vor Tagesanbruch. Es regnet, in der Ferne höre ich den Donner. Wir fahren auf einer Schotterpiste an der Grenzmauer zwischen den USA und Mexiko entlang - auf dem Weg zum "Ende der Mauer", einem von Freiwilligen betriebenen Behelfscamp. Sein Name ergibt sich aus der Lage: In diesem abgelegenen Teil der Sonora-Wüste endet die ca 9 Meter hohe Mauer aus Stahlpollern und die südliche Grenze der USA wird nunmehr von einem brusthohen Zaun markiert. 

Hier in dieser Unwirtlichkeit ist ein Grenzübergang für Menschen, die aus Mexiko in die USA einreisen, um Asyl zu beantragen. Menschen aus der ganzen Welt kommen hier an. Viele bezahlen Führer, die sie durch die Wüste bis zur Grenze bringen. Hier können sie sich der Grenzpolizei stellen. Die Beamt*innen bringen die Menschen dann zu ihrem Stützpunkt in Sasabe und dann später in ein Auffangzentrum in Tucson, wo sie ihr Asylverfahren beginnen können. 

Zwischen der Grenze und der nächstgelegenen Grenzschutzstation liegen jedoch noch Meilen. Und der Weg dahin ist gefährlich - die Hügel sind so steil, dass Autofahrer*innen nicht sehen, wer auf der anderen Seite des Hügels ist, bevor das Auto am höchsten Punkt kippt und dann ist es oft zu spät zu bremsen. Außerdem gibt es im Gelände keinen Schutz vor Sonne oder Gewittern. Dreimal am Tag kommen deshalb Grenzbeamt*innen und holen die Asylsuchenden im Camp ab.

Eine Verschnaufpause

An diesem Morgen sind wir die ersten, die im Camp eintreffen: 3 Zelte, die Schatten spenden und einen gewissen Schutz vor den Elementen bieten; Wasserflaschen und -tanks, die regelmäßig mit Trinkwasser aufgefüllt werden; Snacks und Windeln in Plastikbehältern. Außerdem gibt es einen solarbetriebenen Internetdienst, der den Migrant*innen und Freiwilligen hilft, mit ihrer Familie und den Notdiensten in Verbindung zu bleiben, sowie Toiletten. 

Unter den Freiwilligen ist die 77-jährige Judy Storey, die seit 7 Jahren bei den Samaritern mitarbeitet. "Wenn es richtig heiß wird, tränken wir Tücher in Eiswasser und bringen sie raus", erzählt sie mir. "Die Leute legen sie sich auf den Kopf oder um den Hals, und das ist ein Geschenk des Himmels, wenn es hier draußen über 30 Grad heiß ist und sie fünf Stunden auf die Grenzpatrouille warten müssen."

Freiwillige der Samariter sowie der Organisation “No More Deaths” und “Humane Borders” übernehmen an sieben Tagen in der Woche Schichten im Camp, um den Asylbewerber*innen beinahe rund um die Uhr beizustehen. 

Menschen aus aller Welt 

Eine Gruppe von Männern und Frauen, die gerade die Grenze überquert haben, kommt herein. "Hallo, willkommen, woher kommt ihr?" Einige antworten “Aus Kamerun, nordwestlich von Bamenda.” Ein anderer Mann sagt: "Ich komme aus dem Sudan, aus Darfur". Er erzählt, dass er wegen des Krieges, der im April 2023 begann, aus dem Sudan in den benachbarten Tschad geflohen ist. Anschließend reiste er zwei Monate lang, zunächst nach Marokko und dann nach Spanien, Kolumbien, El Salvador, Nicaragua, Mexiko und schließlich in die USA. 

Eine Familie aus Chiapas, Mexiko, erzählt, dass sie vor der Gewalt der Kartelle geflohen ist. Sie befürchteten, dass ihre jugendliche Tochter von einem Prostitutionsring angeworben werden könnte. Sie haben alles, was sie besaßen, zurückgelassen. Ich treffe auch eine junge Mutter aus Guatemala und ihr dreijähriges Kind. Sie erzählt, dass sie früher einen Lebensmittelladen in der Hauptstadt besaß und von lokalen Banden erpresst wurde. 

Sie sagten mir, dass ich zahlen müsse, oder sie würden mir meine Kinder wegnehmen.

Wir raten den Menschen, auf die Grenzbeamt*innen zu warten, die sie hier an der Grenze abholen. Manche verbringen nur ein paar Momente hier im Camp am Ende der Mauer - andere müssen länger warten. Während dieser Zeit versuchen wir ihnen das Gefühl zu geben, willkommen zu sein. Die Neuankömmlinge werden mit Wasser und Snacks für unterwegs versorgt. Wir sagen ihnen, dass sie in Sicherheit sind, und versuchen ihnen zu erklären, was als Nächstes passieren wird. Viele der Freiwilligen sprechen fließend Spanisch und können insbesondere den meisten lateinamerikanischen Asylbewerber*innen diese Informationen gut mitteilen. Aber seit einiger Zeit kommen auch Menschen aus so weit entfernten Ländern wie China, Guinea, Nepal, Indien, Irak, Mauretanien und Jemen hier durch. Zwar haben die Freiwilligen ad-hoc einiges in Bengali und ins Arabische übersetzt, aber es werden immer noch Informationen in mehr Sprachen benötigt.

Ich bemerke, dass der Sudanese zittert. Er fragt, wo er ist. Ich sage ihm, dass er in Arizona ist. Ich vergewissere mich, dass er ausreichend Wasser trinken kann, bevor ein Grenzschutzbeamter ihn auffordert, ins Auto zu steigen. Ich kann mir nur vorstellen, was er durchgemacht hat, um es bis hierher zu schaffen.

Kaum vorzustellen: Als Kind allein unterwegs

Abdul* ist 17. Er kommt erschöpft, hungrig und durstig im Camp an. Während er einige Stunden auf die Grenzbeamt*innen wartet, berichtet er, dass er von Bangladesch nach Katar und dann nach Paraguay oder Uruguay geflogen sei - er ist sich nicht sicher, welches der beiden Länder. Dann flog er nach Kolumbien und machte sich auf den Weg nach Norden, durch den berüchtigten Darién-Dschungel nach Panama, dann weiter durch Zentralamerika und Mexiko. Die meisten seiner Habseligkeiten seien ihm in Mexiko gestohlen worden, darunter sein Telefon und sein Reisepass. Er trägt noch ein einziges Dokument bei sich, ein Stück Papier - seine Geburtsurkunde.

Ich bin an Geschichten über Entbehrungen und Ängste gewöhnt. Woran ich mich jedoch nie gewöhnen werde, sind die Berichte von Kindern, die diese traumatische Reise durchmachen, insbesondere von denen, die allein reisen, wie Abdul* oder der 5-jährige Mateo*. Eine der wirkungsvollsten Maßnahmen im Bereich der psychischen Gesundheit ist tatsächlich die Kontaktaufnahme mit Familienmitgliedern und ihnen mitteilen zu können, dass man in Sicherheit ist. 

Pünktlich um 8 Uhr treffen mehrere Fahrzeuge der Grenzpolizei ein. Sie bitten die Menschen, sich in einer Reihe aufzustellen und informieren uns, dass einige der Asylbewerber*innen auf der Straße aufgegriffen wurden. Sie bitten unbegleitete Minderjährige, Familien und Frauen, zuerst in die Autos zu steigen.

Wir verabschieden uns von den Menschen und wünschen ihnen winkend alles Gute, als sie abfahren. Ich mache mich mit meinem Team auf den Rückweg - als wir in unserer Unterkunft ankommen, erhalten wir eine Nachricht der Samariter: Nach unserer Abreise sind noch mehr Asylbewerber*innen am Ende der Mauer angekommen, und sie blieben zurück, um zu helfen. 

*Name zum Schutz der Privatsphäre geändert.

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Ärzte ohne Grenzen arbeitet seit Anfang 2024 mit Freiwilligen von Humane Borders, Samariter, No More Deaths und anderen in Arizona ansässigen Gruppen zusammen, um Asylbewerber*innen und Migrant*innen in der Sonora-Wüste zu versorgen. Zunächst untersuchte ein kleines Team den medizinischen Bedarf in der Region und machte Vorschläge für den Ausbau der Kapazitäten, die Verbesserung der Dienstleistungen und die Zusammenarbeit. Im August startete dann die  Unterstützung. Je nachdem wie sich die Situation entwickelt, wird Ärzte ohne Grenzen die Aktivitäten gegebenenfalls anpassen.