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Vor uns liegt noch ein weiter Weg

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Bern-Thomas Nyang'wa

Bern-Thomas Nyang'Wa

Ich war der erste malawische Arzt, der für Ärzte ohne Grenzen arbeitete – heute bin ich medizinischer Leiter von Ärzte ohne Grenzen Niederlande.

Ich wurde in Lilongwe in Malawi geboren, als sechstes von sieben Kindern. Mein Großvater war Arzt und meine ältere Schwester ist Krankenschwester, aber mein größter Wunsch als Kind war, professionell Basketball zu spielen.

Damals, in den 1980er Jahren, stand Malawi unter der Diktatur von Hastings Kamuzu Banda. Das Internat, das ich besuchte, die Kamuzu Academy, wurde von ihm gegründet. Ziel dieser Schulen war es, jeweils zwei oder drei Kinder aus jedem Bezirk zu “künftigen Anführern Malawis” zu erziehen. Die Schule war in vielerlei Hinsicht sehr streng, hat uns aber ebenso stark gefördert wie gefordert. 

Einer meiner damaligen Lehrer hat mich sehr beeindruckt: Mr. Harwood, ein Brite, der Biologie unterrichtet hat. Bei ihm blieb ich konzentriert und seine Leidenschaft half mir, bestimmte Zusammenhänge zu verstehen - nicht nur in der Schule, sondern im Leben generell. Den größten Einfluss auf mein junges Ich aber hatte mein Vater.  

Er glaubte mehr an mich als ich selbst und brachte mir bei, mich nie mit weniger als dem Besten zufriedenzugeben.

Mein Vater unterstützte mich sehr in meinem Wunsch, Arzt zu werden. Die medizinische Ausbildung war teuer, aber mein Vater sagte: „Wenn du Medizin studieren willst, werden wir das Geld dafür auftreiben und ich werde dir helfen, es zu schaffen." Er starb, als ich 18 war.

“Ich wollte Menschen helfen”

In Malawi gab es zu der Zeit nur wenige Berufe, in denen man etwas bewirken und ein gutes Auskommen finden konnte – auch deshalb habe ich mich für Medizin entschieden. Vor allem aber wollte ich Menschen helfen, die an HIV erkrankt waren.

In den späten 1990er und frühen 2000er Jahren war HIV im südlichen Afrika ein großes Problem. Es gab noch keine Behandlung für die Krankheit und die durchschnittliche Lebenserwartung in Malawi lag bei nur 45 Jahren. Ich kannte so viele Menschen in meinem Alter, deren Eltern daran gestorben waren.

1998 ging ich schließlich ans College of Medicine in Blantyre und machte nach fünf Jahren harter Arbeit meinen Abschluss. Ich erinnere mich noch genau: Erleichterung, Aufregung und Stolz - es war wirklich ein besonderer Moment.

Wir 14 Absolvent*innen mussten alle ein 18-monatiges Praktikum im Zentralkrankenhaus von Malawi in Blantyre absolvieren und arbeiteten abwechselnd in den verschiedenen Abteilungen: rund um die Uhr, manchmal 72 Stunden am Stück. Verdient haben wir fast nichts. Ich hatte kaum ein Leben außerhalb des Krankenhauses, aber rückblickend kann ich sagen, dass ich in diesen Monaten, in denen ich oft an meine Grenzen geraten bin, sehr viel gelernt habe.

Ein Paradies für Ärzt*innen

Zum Ende meines Praktikums hörte ich zum ersten Mal von Ärzte ohne Grenzen. Die Organisation betrieb ein HIV-Projekt in der Nähe von Chiradzulu und suchte einen Vertretungsarzt. Ich wusste nur wenig über die Organisation und dachte, ich würde für ein paar Wochen dort arbeiten, um etwas Geld zu verdienen. Womit ich nicht gerechnet hatte: Für mich als Mediziner war es ein Paradies.

Im zentralen Krankenhaus in Malawi waren 90 Prozent unserer Patient*innen mit HIV infiziert. Wir wussten, dass wir nur die akuten Symptome der Krankheit behandeln konnten und die Menschen nach ein paar Monaten zurückkommen und wahrscheinlich nicht mehr nach Hause gehen würden. Denn die antiretroviralen Medikamente waren damals nur im privaten Sektor erhältlich und kosteten viel Geld.  

Bei Ärzte ohne Grenzen in Chiradzulu aber war das anders.

Hier, in diesem ländlichen Gesundheitszentrum, musste ich die Medikamente nur verschreiben. Ich hatte alles, was ich brauchte, um die Patient*innen tatsächlich zu behandeln. Wie gesagt: ein Paradies.

Außerdem arbeitete ich mit einem wirklich guten Team zusammen: Wir besprachen gemeinsam, was wir sahen und was verbessert werden konnte. Sie waren sehr interessiert an dem, was ich zu sagen hatte. Mir wurde klar, dass ich der erste malawische Arzt war, der für Ärzte ohne Grenzen arbeitete.

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Mitarbeitende von Ärzte ohne Grenzen untersuchen eine junge Frau in Malawi
90 Prozent der Patient*innen im zentralen Krankenhaus in Malawi waren mit HIV Infiziert als Bern-Thomas Nyang'wa begann dort zu arbeiten.
© Isabel Corthier/MSF

Gegen alle Hindernisse

Nachdem ich mein Praktikum beendet hatte, begann ich bei Ärzte ohne Grenzen zu arbeiten. Und behandelte in den nächsten zweieinhalb Jahren in Chiradzulu Hunderte Patient*innen und führte Tausende Konsultationen durch. Gleichzeitig arbeitete ich in verschiedenen Rollen innerhalb der Organisation: als Arzt, als medizinischer Teamleiter und dann als stellvertretender medizinischer Koordinator.

Schließlich war ich bereit für den nächsten Schritt: medizinischer Koordinator. Aber mir wurde deutlich zu verstehen gegeben, dass ich diese Stelle in Malawi nicht bekleiden könne, weil es dort unterschiedliche Regeln für lokale und internationale Mitarbeitende gäbe.  

Viele Menschen sehen sich bei bei Ärzte ohne Grenzen immer noch mit diesen strukturellen Hindernissen konfrontiert, die ein Weiterkommen verhindern. Meine einzige Option war, diese Stelle in einem anderen Land anzutreten. Ich war also gezwungen, Malawi zu verlassen.

Auf Achse

Nigeria, auf der anderen Seite des Kontinents, war eine große Umstellung. Die Kultur im westlichen Afrika ist sehr extrovertiert - ein immenser Gegensatz zur entspannten Kultur in Malawi.

Ich war Leiter eines Unfallkrankenhauses in Port Harcourt. Das Leben verlief hier in einem sehr schnellen Tempo: Ich musste rasch Entscheidungen treffen und lernen mich durchzusetzen.

Das Krankenhaus in Port Harcourt war meist überbelegt, also mussten wir einen Weg finden, Patient*innen zu behandeln und sie möglichst bald sicher nach Hause zu schicken. In einer derartigen Umgebung galt es als kaum möglich, Operationen durchzuführen, bei denen Knochen von innen fixiert werden. 

Aber wir hatten keine Wahl und bewiesen, dass es möglich ist – wir haben die orthopädische Chirurgie weitergebracht.

Als nächstes ging ich mit Ärzte ohne Grenzen in den Tschad. Die Sicherheitslage dort war instabil und wir hatten Pech: In einem der Camps, in denen wir medizinische Hilfe anboten, wurden wir angegriffen. Die Erfahrung war so traumatisch, dass ich beschloss, abzureisen und stattdessen in die Zentralafrikanische Republik zu gehen, um dort ein Tuberkulose- (TB) und HIV-Programm aufzubauen.

Ein neues Kapitel...

Nach meinem Einsatz in der Zentralafrikanischen Republik heiratete ich und dachte, dass mein Kapitel mit Ärzte ohne Grenzen damit abgeschlossen sei.

Meine Frau, die ein Jahr über mir Medizin studiert hatte, absolvierte gerade ihre Fachärztinnen-Ausbildung zur Kinderärztin in England, also schloss ich mich ihr an. Ich war glücklich, einfach bei meiner Frau zu sein. Mein Plan war, mich in London weiterzubilden und eine Anstellung im staatlichen Gesundheitsdienst zu finden.

Doch dann hörte ich, dass die Manson Unit von Ärzte ohne Grenzen Großbritannien jemanden für ein Tuberkulose-Projekt suchte. Es war ein spannender Job: Wir verbrachten jeweils vier bis sechs Wochen in den Projekten von Ärzte ohne Grenzen in Zentralasien oder Osteuropa, wo multiresistente Tuberkulose (MDR-TB) ein wachsendes Problem war und immer noch ist.

Wissenschaft und Praxis verbinden

In diesen Einsätzen sahen wir die Herausforderungen bei der Behandlung von MDR-TB-Patient*innen: Die einzigen verfügbaren Medikamente waren hochgiftig und hatten schwere Nebenwirkungen. Daraus entstand das TB-PRACTECAL-Projekt - eine klinische Studie in mehreren Ländern, in deren Rahmen neue, kürzere und effektivere Behandlungsmethoden für arzneimittelresistente Formen der TB erforscht wurden. Ich war Projektleiter und leitete später auch die Studie. 

In diesem Video berichtet Bern-Thomas Nyang’wa von dem Forschungsprojekt zu Tuberkulose, dass er geleitet hat. Video in Englischer Sprache.

Ich bin sehr stolz auf die Fortschritte, die wir gemacht haben, und darauf, wie gut wir die Patient*innen, die an der Studie teilgenommen haben, versorgen konnten: Wir haben mehr als 500 Menschen mit multiresistenter Tuberkulose behandelt und wirklich gute Ergebnisse erzielt.

In den 12 Jahren, seit ich nach London gezogen bin, habe ich einen Masterabschluss in Public Health erworben, gerade schließe ich eine Promotion an der London School of Hygiene and Tropical Medicine ab und bin ehrenamtlicher Dozent am UCL Institute for Global Health.

Ich genieße es sehr, das nachvollziehbare Denken und die Reflexion der akademischen Welt mit dem Pragmatismus von Ärzte ohne Grenzen zu verbinden.

Ein Zeichen des Fortschritts

Nach all meinen Jahren bei Ärzte ohne Grenzen spüre ich noch immer diese Leidenschaft: Die Freundschaften und den Respekt untereinander, die Fokussierung und die Fähigkeit, das Beste für unsere Patient*innen durchzusetzen - und ich hoffe, dass ich diese Leidenschaft in meiner neuen Rolle als medizinischer Leiter von Ärzte ohne Grenzen in den Niederlanden weitertragen kann.

Ich bin begeistert und fühle mich geehrt, dass die Organisation mir eine so wichtige Rolle anvertraut hat.

Ich kann nicht so tun, als sei mir nicht bewusst, dass ich einer der ersten Schwarzen Menschen bin, der bei Ärzte ohne Grenzen als nationaler Mitarbeitender begonnen hat und schließlich zum medizinischen Leiter aufgestiegen ist. Das ist an sich schon ein Zeichen des Fortschritts, aber gleichzeitig auch ein Zeichen dafür, wie weit wir noch kommen müssen.

Ärzte ohne Grenzen hat viele lokale Mitarbeitende, die sich sehr für die Organisation engagieren – es hätte schon lange vor mir jemand so weit kommen können. Aber ich bin optimistisch, im Hinblick auf die derzeitige Dynamik innerhalb der Organisation, das Potenzial unserer Mitarbeitenden zu schätzen und zu fördern - unabhängig von ihrer geografischen Herkunft. Und ich hoffe, dass ich zu dieser Dynamik und deren Umsetzung beitragen werde.

Vor allem aber freue ich mich darauf, wirklich helfen zu können. Obwohl ein medizinischer Leiter nicht immer in die täglichen Abläufe in den Projekten von Ärzte ohne Grenzen involviert ist, treibt mich die Tatsache an, dass alles, was ich tue, einen positiven Einfluss auf unsere Patient*innen haben wird. Daher bin ich entschlossen, diese Aufgabe mit all meiner Energie zu erfüllen.