Unmögliche Entscheidung: Welches ihrer beiden schwerkranken Kinder soll Fatima betreuen?
Es gibt verschiedene Anzeichen für eine akute Mangelernährung bei Kindern. Der kleine Musa* hat sie alle, als seine Mutter Fatima Lawal* ihn zu uns bringt.
Wir verfügen über sechs verschiedene ambulante Ernährungszentren in ganz Katsina. Wir haben zwei stationäre Zentren eingerichtet, um die am schwersten erkrankten Kinder zu versorgen. In einem davon bin ich tätig, dorthin verlegen wir Musa.
Wir verabreichen ihm eine therapeutische Milch, die speziell für stark mangelernährte Kinder entwickelt wurde. Als nächstes müssen wir seine medizinischen Komplikationen behandeln. Musas Körper kämpfte schon allein mit dem Atmen. Wir vermuten eine Lungenentzündung - eine häufige Begleiterscheinung der Mangelernährung.
Mit der richtigen Behandlung erholen sich Kinder mit einer Lungenentzündung normalerweise innerhalb von drei bis fünf Tagen. Doch sieben Tage nach seiner Einlieferung geht es dem Kleinen immer noch sehr schlecht.
Und seine Mutter Fatima, die während all der Zeit nicht von seiner Seite weicht, erhält eine Nachricht von zu Hause: Ein weiteres ihrer Kinder ist schwer erkrankt. Ich kann nur versuchen mir vorzustellen, wie sie sich in diesem Moment gefühlt haben muss.
Bei Musa bleiben oder sich auf den Weg zu ihrem anderen erkrankten Kind machen?
Fatima erklärte uns, dass sie und Musa so schnell wie möglich in ihr Dorf zurückkehren müssen. Sie hofft, dass es Musa gut genug geht, um die Reise anzutreten zu können. Vorsichtig erklären wir ihr, dass er immer noch sehr krank sei. Musa ist immer noch auf die Sauerstofftherapie angewiesen. Wir vermuten mittlerweile, dass er an Tuberkulose erkrankt ist.
Die leitende Krankenschwester, das Gesundheitsförderungsteam und ich kommen alle zusammen, um Fatima bei dieser unmöglichen Entscheidung zu unterstützen. Ich ahne, was sie denken würde: Wenn es Musa zu schlecht geht, um zu überleben, könnte es besser sein, jetzt zu gehen und zu versuchen, damit ihrem anderen Kind eine Chance zu geben.
Aber wenn es Hoffnung gäbe …
“Ich hatte das Gefühl, dass ich ihr mein Wort gebe"
Als Arzt kann ich in einem solchen Fall keine Versprechungen machen. Doch als ich Fatima die Behandlung erläutere, die wir als nächstes ausprobieren wollen, habe ich dennoch das Gefühl, ihr mein Wort zu geben. Schließlich einigen wir uns darauf, das neue Medikament auszuprobieren und die Situation in zwei Tagen erneut zu besprechen.
24 Stunden später atmete Musa so gut, dass der Sauerstoff abgesetzt werden kann. Allerdings hat Musa immer noch hohes Fieber. Ein Fortschritt also, aber nicht die bemerkenswerte Besserung, die wir brauchen.
Fatima will unbedingt nach Hause zu ihren anderen Kindern. Also schmieden wir gemeinsam einen Plan: Wir würden Musa erneut auf Malaria testen, um dies als Ursache für das Fieber ausschließen zu können. Fatima würde die Medikamente mitnehmen, und die Anweisungen zur Verabreichung ganz genau befolgen. Schließlich würde sie so bald wie möglich zur Nachuntersuchung ins Krankenhaus zurückkommen.
Wenn Kinder mangelernährt sind, wird es schnell lebensgefährlich
Mangelernährung ist im Nordwesten Nigerias das ganze Jahr über ein Problem. Am schlimmsten ist es im späten Frühjahr und im Sommer, wenn die Nahrungsmittel der letzten Ernte zur Neige gehen und die "magere Jahreszeit" beginnt. Hinzu kommt, dass wir in einem Gebiet leben, das regelmäßig von bewaffneten Konflikten und Unsicherheit betroffen ist. Das macht es für die Menschen hier schwer, ihr Land zu bewirtschaften. Die Gewalt führt auch dazu, dass Impfungen gegen Krankheiten wie Masern, die bei Mangelernährung schnell lebensbedrohlich werden, oft nicht stattfinden.
Die Kombination dieser Faktoren ist verheerend: Vergangenes Jahr behandelten wir in Katsina mehr als 107.000 Menschen mit akuter Mangelernährung, von denen 13.000 stationär behandelt werden mussten. Kinder mit Mangelernährung erkranken und sterben viel eher an einer Krankheit als gut ernährte Kinder. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass wir neben dem Ernährungsprogramm auch medizinische Hilfe anbieten.
Fatima und Musa kehren zurück - das Fieber ist verschwunden
Ich wusste, dass es für Fatima nicht einfach sein würde, ihr Versprechen zu halten und sobald wie möglich für einen Folgebesuch zu uns zurück zu kommen. Viele unserer Patient*innen legen weite Strecken zurück, um unser Zentrum zu erreichen. Oft stehen sie vor schwierigen finanziellen Entscheidungen, um sich den Transport leisten zu können. Die Herausforderungen sind so groß, dass manche Familien überhaupt nicht wiederkommen.
Fatima versichert uns, dass sie es schaffen würde.
Der Malariatest ist negativ.
Als die beiden abreisen, hoffte ich inständig, dass unser Plan funktioniert.
Und tatsächlich: Nach einer Woche sind sie zurück. Musas Fieber ist verschwunden. Fatima ist fröhlich: Auch ihr anderes Kind hat sich vollständig erholt. Wir untersuchen Musa noch einmal, legen die weiteren Schritte der Behandlung fest und sorgen dafür, dass die Familie weiterhin durch unser Ambulanzteam behandelt und unterstützt wird. Unter anderem wird Musa weiterhin gegen Tuberkulose behandelt. Fatimas Entschlossenheit in diesen unglaublich schwierigen Wochen hat mich tief beeindruckt.
Wir vergessen kein einzige dieser Geschichten
Ein paar Wochen später erkenne ich Fatima erneut unter den Besucher*innen im Krankenhaus. Sie hat einen wohlgenährten kleinen Jungen dabei, der eine Büchertasche im Arm hält. Es dauerte einen Moment, bis ich erkenne, dass es Musa ist! Sie sind gekommen, um sich zu bedanken und uns zu zeigen, wie gut es Musa geht.
Der zerbrechliche Junge, den wir ein paar Wochen zuvor behandelt hatten, ist jetzt gesund genug, um zur Schule zu gehen.
Manchmal werde ich gefragt, wie unser Team es vermeidet, die Hoffnung zu verlieren. Das ist es: In der Hochsaison der Mangelernährung, in der wir überfordert sind und jeden Tag immer mehr schwerkranke und mangelernährte Kinder ankommen, sind es Geschichten wie die von Musa, die uns motivieren. Menschen wie Fatima und Musa. Es gibt so viele von ihnen und wir vergessen keine einzigen.
*Die Namen wurden geändert
Mangelernährung erkennen und behandeln
Mangelernährung kann besonders für Kinder dramatische Folgen haben. Weltweit sind mehr als 232 Millionen Kinder betroffen. Ernährungsprogramme und Prävention helfen.