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“Ich will dazu beitragen, dass kein Kind mehr an Noma stirbt."

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Portrait von Mulikat Okolanwon

Mulikat Okolanwon

Ich habe Noma überlebt und arbeite heute bei Ärzte ohne Grenzen in Nigeria. Außerdem habe ich die Stiftung Elysium gegründet, die Noma-Überlebende unterstützt und setzte mich dafür ein, dass mehr in die Erforschung von Noma und die Entwicklung von Präventions- und Behandlungsmöglichkeiten investiert wird.

Ich lebte auf dem Dorf bei meinen Großeltern, als ich von einer unbekannten Krankheit befallen wurde: Noma. Meine Großeltern taten, was sie konnten, aber die Krankheit wurde schlimmer und zerstörte rasch mein Gesicht. Schließlich brachte man mich in ein Krankenhaus in der Nähe, dort bekam ich Medikamenten und erholte mich. 

Allerdings blieben schwere Spuren in meinem Gesicht zurück. Noma hinterließ ein Loch in meiner linken Gesichtshälfte. Es war eine Einschränkung, die mich jahrelang daran hinderte, mit meinem Umfeld in Kontakt zu kommen. Ich konnte mich weder im Spiegel betrachten noch Fotos machen wie der Rest der Menschen. Ich lebte in Einsamkeit und Depression. Stellen Sie sich ein Leben vor, in dem die Menschen vor Ihnen weglaufen. Selbst ich konnte mich nicht in einem Spiegel betrachten. 

Noma betrifft vor allem Kinder

Noma ist eine sogenannte vernachlässigte Krankheit und betrifft vor allem Menschen in Armut. Es ist eine infektiöse, aber nicht ansteckende bakterielle Erkrankung, die als Zahnfleischentzündung beginnt, so ähnlich wie ein kleines Geschwür im Mund. Die Infektion zerstört sehr schnell Knochen und Gewebe und befällt Kiefer, Lippen, Wangen, Nase – je nachdem, wo sie beginnt. Für viele endet die Krankheit tödlich. Doch auch wer überlebt, hat mit schweren lebenslangen Folgen zu kämpfen. Noma führt innerhalb weniger Tage zu starken Entstellungen. Die Betroffenen können oftmals kaum noch sprechen, sehen, selbst zu essen oder zu atmen wird zur Herausforderung. Zusätzlich leiden sie unter Stigmatisierung und Ausgrenzung. 

An Noma erkranken vor allem Kinder unter sieben Jahren. Besonders anfällig sind Betroffene von Mangelernährung, schlechter Mundhygiene (es fehlt der Zugang zu sauberem Wasser, Zahnbürsten) sowie Menschen, die zugleich an Masern oder Malaria erkrankt sind. Ist das Immunsystem geschwächt, kann der Körper die Bakterien nicht ausreichend bekämpfen.

Von Verzweiflung zu Hoffnung

Menschen, die Noma überleben, haben nur eine Möglichkeit auf ein besseres Leben: Sie müssen sich umfangreichen rekonstruktiven Operationen unterziehen. Doch es gibt viel zu wenige Einrichtungen, die diese komplexen Eingriffe leisten können. Dies erlebte ich selbst über viele Jahre.

Der erste Versuch, mir chirurgisch zu helfen, schlug fehl. Das Ergebnis führte bei meiner Familie und mir zu noch mehr Panik und emotionaler Instabilität. Ich weinte die ganze Zeit und wünschte mir oft, ich hätte Noma nicht überlebt, um die Stigmatisierung und die sozialen Auswirkungen der Krankheit nicht erleben zu müssen. Meine Familie und ich waren verunsichert und hatten Angst, dass es nie besser werden würde.

Glücklicherweise lernte ich in Lagos einen Professor kennen, der mich an das Sokoto-Noma-Hospital verwies. Ein Krankenhaus, das Ärzte ohne Grenzen gemeinsam mit dem nigerianischen Gesundheitsministerium betreibt. Es wurde 1999 gegründet und ist das einzige Krankenhaus für Noma-Erkrankte im gesamten Land – und eines der wenigen weltweit. Es war nur 24 Autostunden entfernt. Dort hatte ich meine erste erfolgreiche plastische Operation. In den nächsten 20 Jahren wurde ich weitere fünf Mal operiert, bis ich so aussah, wie ich heute aussehe.

Danach begann ich endlich, mich selbst zu akzeptieren, mich zu mögen und mich fotografieren zu lassen, wie ich bin und ich fing an mit den Menschen in meiner Gemeinde zu kommunizieren. Ich meldete mich in der Schule an, um nicht nur meinen Abschluss, sondern mein Leben nachzuholen und es endlich in die Hand zu nehmen. Immer noch wollten einige Schüler*innen aufgrund meines Aussehens keinen Kontakt mit mir haben. Aber ich ging nun meinen Weg.

Weiterkämpfen und Hoffnung geben

Und ich kehrte ins Sokoto-Noma-Krankenhaus zurück: Zunächst arbeitete ich dort l als Köchin. Später beschloss ich, mich weiterzubilden, um Karriere machen zu können. Es war schwierig, weil die Kurse teuer waren, aber ich habe durchgehalten. Heute habe ich ein Diplom in Gesundheitsinformationsmanagement. Und arbeite seit 2018 als Hygienebeauftragte von Ärzte ohne Grenzen im Sokoto-Noma-Krankenhaus. 

Zusätzlich engagiere ich mich zusätzlich in unserer Abteilung für psychische Gesundheit. Meine Geschichte zu hören, ermutigt Noma-Patient*innen und ihre Familien, weiterzukämpfen und gibt ihnen Hoffnung. Noma sollte es nicht mehr geben!

Meine Motivation, meine Stimme zu erheben, ist, dass 90 Prozent der Noma-Patient*innen innerhalb weniger Wochen sterben - und das können wir verhindern. Noma ist eine vermeidbare und behandelbare Krankheit, die es nicht mehr geben sollte. Information, bessere Ernährung, Früherkennung, Möglichkeiten für eine angemessene Mundhygiene – all das trägt dazu bei, Noma aus der Welt zu schaffen. Gemeinsam können wir dies erreichen. Da bin ich mir sicher.

Noma ist eine vermeidbare und behandelbare Krankheit

Bis zu 90 Prozent der an Noma erkrankten Menschen sterben innerhalb der ersten zwei Wochen nach Auftreten der ersten Symptome, wenn keine Behandlung mit Antibiotika erfolgt. Noma ist vermeidbar, wenn mehr finanzielle Mittel für die Behandlung bereitgestellt würden und die Hauptrisikofaktoren eliminiert werden.