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Sierra Leone: Mittels Studie zum Erfolg

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Portrait Mustapha Kallon und Nelleke Smitsman

Mustapha Kallon und Nelleke Smitsman

Die beiden Pflegeleiter*innen arbeiten für uns in einem Gesundheitszentrum in Sierra Leone, im Distrikt Tonkolili. Zudem unterstützen sie mehrere kleine Gesundheitsposten in der Region. Den Erfolg dieser dezentralen Hilfe haben wir in einer Studie untersucht. Davon berichten die beiden gemeinsam in diesem Blog.

Mustapha: Vielleicht freut ihr euch, zunächst mehr über uns zu erfahren. Nelleke, magst du anfangen? 

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Der 20 Monate alte Abubakarr hatte sich mit Malaria angesteckt, seine Mutter (rechts im Bild) hatte ihn zu uns gebracht.
© MSF

Nelleke: Sehr gerne. Ich bin Krankenschwester und lebe und arbeite in Schleswig-Holstein. Seit 2017 gehe ich regelmäßig mit Ärzte ohne Grenzen in Einsätze. Dies ist mein sechster. Eigentlich wollte ich 1990 schon das erste Mal mit Ärzte ohne Grenzen arbeiten. Damals war der Krieg in Afghanistan ausgebrochen. Es gab viele Berichte im Fernsehen, und ich wollte den Menschen helfen. Zunächst habe ich aber geheiratet, mein Mann und ich bekamen Kinder, und das Familienleben hatte Vorrang. Der Wunsch, sich zu engagieren, blieb. Bis heute noch, mit 62 Jahren. 

Mustapha: 2017 habe auch ich angefangen, für Ärzte ohne Grenzen als Krankenpfleger zu arbeiten. Heute bin ich Pflegeteamleiter im Hinistas-Gesundheitszentrum in der Stadt Mile 91, die etwa 150 Kilometer östlich der Hauptstadt Freetown liegt. In Mile 91 lebe ich auch mit meiner Familie. Von Anfang an haben mich die Prinzipien von Ärzte ohne Grenzen tief beeindruckt: Dass wir jedem Menschen helfen, ungeachtet seiner Herkunft, politischen oder religiösen Überzeugungen. Ich dachte, diese Organisation macht es richtig, und sie unterstützt das Gesundheitssystem mit großer Wirkung und Expertise. Das habe ich auch während der schweren Ebola-Epidemie in Westafrika erlebt, die auch Sierra Leone in den Jahren 2014 bis 2016 getroffen hat und während der Tausende Erkrankte starben. Es fehlte an Fachwissen vor Ort, wie man mit dieser extrem tödlichen Krankheit umgeht. Auch ich als Pfleger hatte große Angst mich anzustecken und zu sterben. Heute gebe ich selbst mein Fachwissen täglich weiter. 

 

Fachwissen, das Leben rettet 

Nelleke: Das ist eine ganz zentrale Aufgabe unseres Projektes. Wir unterstützen in der Region neben dem großen Hinistas-Gesundheitszentrum zwölf kleinere Gesundheitseinrichtungen des sierra-leonischen Gesundheitsministeriums. Wir beliefern sie mit wichtigem Material wie Malaria-Tests, Medikamenten, Verbänden, Infusionen und Moskitonetzen.  Zudem bieten wir fachliche Trainings an, machen Lehrvisiten und unterstützen bei schwierigen medizinischen Fällen. 

Mustapha: Zum Nachmittag wird es oft etwas ruhiger in den kleinen Gesundheitseinrichtungen. Dann räumen wir die Behandlungsliegen zur Seite und ich zeige zum Beispiel mit einer speziellen Puppe, wie man ein Kind reanimiert. Denn es kommt immer wieder zu Notsituationen, in denen dieses Wissen angewendet werden muss. Viele unserer Patient*innen sind Kleinkinder, die schwer an Malaria erkrankt sind: 

Oftmals sind die Kinder ohnmächtig, wenn sie in den Gesundheitseinrichtungen ankommen. Sie haben eine Blutarmut und Sauerstoffnot entwickelt. Dann müssen wir schnell und kompetent handeln.

Nelleke: Ich gebe einmal einen Eindruck von unserer Arbeit mit den Patient*innen anhand der Krankheitsgeschichte des kleinen Abubakarrs: „Ich fürchte, dass Abubakarr Malaria hat“, sagte die Mutter zu mir, als wir den Jungen untersuchten. „Er ist heiß, hat sich erbrochen und hat Durchfall. Deshalb bin ich gleich mit ihm hierhergekommen. Ich wusste, Malaria kann sehr schnell lebensbedrohlich werden.“ Als ich sie fragte, wie lange ihr Weg zu uns dauerte, sagte sie, dass sie zum Glück nur fünf bis sieben Kilometer entfernt wohne und dass sie mit einem Motorradtaxi hergekommen wären. 

Mustapha: Dass die Mutter so schnell reagiert hat, war entscheidend für die Behandlung. Wir haben Abubakarr sofort die erste Dosis Malaria-Medikamente gegeben sowie ein fiebersenkendes Mittel und etwas für den Durchfall. Nach kurzer Zeit ging sein Fieber herunter, und Abubakarr konnte schon wieder lächeln. Sie konnten sich bald auf den Weg nach Hause machen. Weitere Malaria-Tabletten gaben wir der Mutter mit und erklärten, wie sie einzunehmen sind. Der Junge wird bald wieder gesund sein. 

 

Wo liegen die Hürden zur Gesundheitsversorgung? 

So glimpflich geht es leider nicht immer aus. Jede Minute stirbt weltweit ein Kind an Malaria.

Nelleke: 55 Prozent der Todesfälle durch eine Malaria-Infektion betreffen Länder in Subsahara-Afrika, so auch Sierra Leone. Gemeinsam mit dem Gesundheitsministerium haben wir hier in Tonkolili eine Studie gemacht, um herauszufinden: Was sind die Hürden für die Menschen, um Gesundheitsversorgung zu erhalten? Und wie können wir dem begegnen? 

Mustapha: Wir haben gemerkt, dass wir die Patient*innen noch stärker in den Fokus stellen können und müssen. Was bringt es, ein gut ausgestattetes Krankenhaus zu haben, wenn es für einen Großteil der Menschen so weit weg ist, dass sie es nicht rechtzeitig erreichen können? Dabei spielt nicht nur die Entfernung eine Rolle: Viele Menschen in Tonkolili können eine Taxifahrt in die Klinik nicht bezahlen. Sie können es sich nicht leisten, ihre Arbeit für einen Tag ausfallen zu lassen:

Die Straßen sind so schlecht, dass es Stunden dauert, bis sie ankommen.

Nelleke: Vor allem jetzt während der Regenzeit. Gestern hat es so stark geregnet, das kenne ich aus Deutschland nicht. Das Wasser hat so laut auf die Wellblechdächer unserer Klinik getrommelt, dass man sein eigenes Wort kaum verstanden hat. Der Regen dauert oft mehrere Stunden. Die Folge sind völlig verschlammte Wege und Straßen. Aber zurück zur Studie. Auf einige der aufgezeigten Probleme konnten wir sehr gut eingehen. Wir haben zum Beispiel begonnen, verstärkt die kleinen dezentralen Gesundheitseinrichtungen zu unterstützen. Dort finden die Menschen direkt in ihren Dörfern eine grundlegende Versorgung. 

 

Ein Netzwerk der Hilfe 

Mustapha: Außerdem haben wir kostenlose Fahrten in die Gesundheitseinrichtungen eingeführt. All jene, die weit weg wohnen, können Motorradtaxis nehmen und wir übernehmen in der Klinik dann die Kosten. Das ist sowohl mit den Taxifahrer*innen als auch mit den Dorfbewohner*innen besprochen. Es ist ganz entscheidend, mit den Menschen über diese Angebote zu sprechen, ihr Vertrauen zu gewinnen, sie über Krankheiten und ihre Symptome zu informieren, damit sie – wie die Mutter von Abubakarr – rechtzeitig handeln können. 

Nelleke: Gemeinsam mit den sierra-leonischen Gesundheitsbehörden und auch mit den Gemeinden selbst haben wir mittlerweile ein gutes Netzwerk der Hilfe aufgebaut. Mustapha und ich arbeiten vor allem im Hinistas-Gesundheitszentrum, das etwas größer und besser ausgestattet ist: 

Ärzte ohne Grenzen hat hier eine zuverlässige Stromversorgung errichtet – eine Kombination aus Solarpaneelen auf dem Dach und einem Dieselgenerator. Ohne Strom ist es oft nicht möglich, lebensrettende Maßnahmen zu ergreifen.

Nelleke: Wir brauchen den Strom zum Beispiel für unsere Sauerstoffkonzentratoren. So können wir bewusstlose Kinder beatmen und Patient*innen stabilisieren. Wenn eine stationäre Behandlung erforderlich ist, können wir sie nach Magburaka ins Krankenhaus bringen, das wir ebenfalls unterstützen. Für die Transporte haben wir eigene Ambulanzfahrzeuge, in denen immer eine Pflegekraft mitfährt. Sie überwacht die stabilisierten Patient*innen. Zurzeit dauert diese Fahrt leider vier Stunden wegen der schlammigen Straßen. 

 

Sterblichkeit drastisch reduziert 

Mustapha: Normalerweise brauchen wir rund zwei Stunden. Aber an dieser langen Transportzeit sieht man, wie wichtig es ist, den Menschen bereits dezentral möglichst gut zu helfen. Ich bin täglich in den kleinen Einrichtungen und frage: Was läuft gut? Wo gibt es Verbesserungsbedarf? Damit die Patient*innen die bestmögliche Pflege erhalten, ist es wichtig, dass das Personal in den Gesundheitsposten schnell erkennen kann, ob eine Behandlung vor Ort möglich oder eine Verlegung nötig ist. Daher trainiere ich mit den Kolleg*innen die sogenannte Triage, also das Beurteilen von Patient*innen nach dem Schweregrad ihrer Erkrankung. Dieses Fachwissen ist genauso zentral, wie die Malaria-Tabletten, die die Parasiten im Blut besiegen.  

Nelleke: All diese Maßnahmen zeigen Wirkung. In unserer Studie konnten wir erfassen, dass sich die Sterblichkeit bei Kindern unter fünf Jahren drastisch reduziert hat seit 2015: 

Sechs Mal weniger Kleinkinder sterben nun täglich in der Region Tonkolili. Ein riesiger Erfolg!

Mustapha: Das stimmt. Und ich hoffe, wir konnten mit unserem Blog einen spannenden Einblick in unsere Arbeit gewähren.  

Mustafas und Nellekes Blogbeitrag hat bei dir Interesse an einer Mitarbeit bei uns geweckt? Hier erfährst du alles zum Thema Mitarbeiten bei Ärzte ohne Grenzen.