„Ich war dankbar, von südsudanesischen Kolleg*innen zu lernen“
Rose: Zu Beginn vielleicht ein paar Worte zum Südsudan allgemein. 2021 haben wir den zehnten Jahrestag der Unabhängigkeit vom Sudan gefeiert. Damit sind wir der jüngste Staat der Erde. Diesem Jubiläum gingen Jahrzehnte des Bürgerkrieges sowie mehr als ein Jahrhundert Sklaverei und Kolonialismus voraus. Seit der Unabhängigkeit im Jahr 2011 kämpften verschiedene Gruppen in einem erneuten Bürgerkrieg um Macht und Einfluss.
Ein Friedensabkommen, dem erneut Gewalt folgte
Erik: 2018 wurde ein Friedensabkommen geschlossen, doch noch immer gibt es Kämpfe und Gewalt. Bis heute haben viele Gemeinden keinerlei medizinische Versorgung. Es mangelt an Infrastruktur: Straßen, Schulen, sauberes Wasser.
Was es bedeutet, wenn medizinische Hilfe fehlt, das habe ich direkt nach meiner Ankunft im Mai in Mundri erlebt.
Es begann die Regensaison, die bis heute andauert. Durch das viele Wasser und die Pfützen verbreiten sich drei Krankheiten rasant, die hier zu den Haupttodesursachen bei Kindern gehören: Lungenentzündungen durch die nasse Kälte in der Nacht, schwere Durchfälle, weil die Menschen vom Regen verunreinigtes Wasser trinken müssen sowie Malaria, weil die Mücken in den Pfützen brüten. Wir nehmen deshalb zurzeit sehr viele Kinder stationär auf.
Rose: Damit wir die Menschen möglichst nahe an ihrem Wohnort behandeln und so auch das Krankenhaus entlasten können, haben wir vor einigen Jahren unsere dezentrale Hilfe direkt in den Dörfern gestartet. So müssen die Eltern mit ihren fiebernden Kindern nicht kilometerweit ins Krankenhaus kommen. Zudem ist es natürlich viel besser, so frühzeitig wie möglich mit der Behandlung zu beginnen.
Baby Suzanns Geschichte zeigt die Wichtigkeit dezentraler Hilfe
Eines unserer mobilen Teams war in die Dörfer gefahren, baute dort eine kleine Versorgungsstation auf und man brachte ein sechs Monate altes Mädchen zu uns. Ihr Name war Suzann.
Sie lag in den Armen ihrer Mutter, hatte hohes Fieber und ließ sich nicht stillen, sie war appetitlos. Zum Glück hatte Suzanns Mutter sofort verstanden, dass es sich um einen Notfall handelt und war mit ihrem Baby zu uns gekommen.
Der Bluttest auf Malaria fiel positiv aus. Sie bekam sofort ein Malaria-Medikament. Doch wir entschieden uns gemeinsam, Suzann lieber stationär aufzunehmen, weil ihr Zustand kritisch war.
Erik: Wir verlegten das Baby hierher ins Krankenhaus und gaben ihm weitere Medikamente. Drei Tage später konnten wir es gesund entlassen. Dass die Mutter sofort wusste, wo sie Hilfe bekommt, ist ein wichtiger Teil des Erfolges der mobilen Teams.
Rose: Mit meinen Kolleg*innen fahre ich regelmäßig in entlegene Dörfer, und wir informieren die Menschen über die wichtigsten Krankheiten: Woran erkennen sie sie? Wie beugen sie ihnen vor? Zudem suchen wir Dorfbewohner*innen aus und schulen sie.
Dorfbewohner*innen schulen, damit sie Erkrankten helfen können
Wir geben ihnen Tests und Medikamente, sodass sie leichter erkrankte Patient*innen selbst behandeln können. Sie bekommen auch Poster und Schaubilder, mit denen sie die Menschen über Gesundheitsthemen informieren. Die positiven Effekte:
Die Leute kommen früher zu unseren Einrichtungen. Außerdem betreiben wir mehrere dezentrale Gesundheitsposten in der Region. Dort behandeln wir Hunderte Patient*innen im Monat, oft Dutzende an einem Tag.
Erik: Die Arbeit an diesen kleinen Gesundheitsposten – manchmal ist es nicht mehr als ein Tisch unter einem Baum, der Schatten spendet – erscheint vielleicht weniger spektakulär als beispielsweise die lebensrettende Versorgung von Schwerverletzten oder eine Notoperation. Die Auswirkungen für die Bevölkerung sind allerdings enorm. Weil wir die Menschen, die wir unterstützten, in unser Tun einbeziehen, gibt es großes Vertrauen uns gegenüber.
Die Versorgung hat sich deutlich verbessert
Rose: Manche Gemeinden haben keinen Zugang zu medizinischer Hilfe. Es gibt keine Straßen. Manchmal dauert es mehrere Tage zu Fuß, um Hilfe zu erreichen. In den Gebieten, wo wir arbeiten, hat sich die Versorgung deutlich verbessert. Wir können auf diese Weise – durch die frühzeitige Behandlung – viel Leid verhindern.
Erik: Für mich war es hier übrigens das erste Mal, dass ich so schwer erkrankte Malaria-Patient*innen behandelt habe. Die Kolleg*innen haben mir beispielsweise gezeigt, wie man die Bisse von verschiedenen Giftschlangenarten unterscheidet und behandelt.
Tropische Infektionen kannte ich nur aus Lehrbüchern. Da war ich sehr dankbar, von erfahrenen südsudanesischen Kolleg*innen wie Rose lernen zu können.
Entscheidungen werden oft im Team gemeinsam getroffen
Die Arbeit ist sehr kollegial und respektvoll, oft entscheiden wir im Team – Ärzte*innen, Assistenzen und Pflegekräfte – über die nächsten Schritte gemeinsam. Mein Vorgesetzter ist ein Arzt aus Ruanda, der seit vielen Jahren bei Ärzte ohne Grenzen arbeitet. Er hat sehr viel Erfahrung in der Behandlung von Kindern, die er gerne mit uns teilt.
Ein weiterer Kollege stammt aus Äthiopien, er ist Entbindungspfleger und inzwischen in der medizinischen Leitung. Mit ihm untersuche ich oft schwangere Patient*innen, wir versorgen gemeinsam Neugeborene und entwickeln Strategien zur Behandlung von Überlebenden sexualisierter Gewalt. Dabei ist Diskretion sehr wichtig.
Rose: Das finde ich ein sehr wichtiges Thema. Ich höre immer wieder von unseren Patient*innen und Kolleg*innen, dass sie den Wert von Vertraulichkeit bei uns sehr schätzen.
Wir behandeln jeden Menschen unvoreingenommen und fragen nicht nach Herkunft, Religion oder politischer Überzeugung. Gerade in den Jahren des Krieges war das unheimlich wichtig. In unserer Region Western Equatoria waren die Kämpfe damals besonders heftig.