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“Schlangenbisse können für die Betroffenen lebensverändernde Konsequenzen haben”

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Portrait von Paul Snape

Paul Snape

Ich bin Paul Snape, Arzt aus Großbritannien und war mit Ärzte ohne Grenzen in einem Projekt im ländlichen Teil des Südsudan, wo wir u.a. Menschen behandelt haben, die von Giftschlangen gebissen wurden.

Der kleine Junge schaute mich schüchtern vom Schoß seiner Mutter aus an. Gerade hatte er seiner Mutter eine Frage ins Ohr geflüstert, die sie zum Lachen brachte. Mein südsudanesischer Kollege übersetzte sie für mich.  

Ich befand mich in der Stadt Mayen Abun in Twic County im Südsudan. Der Ort liegt etwa 800 km von der Hauptstadt Juba entfernt. Aufgrund der abgeschiedenen Lage war ich die erste weiße Person, der dieser kleine Junge begegnete. Sein Name war Bol*, und er wollte auf Nummer sichergehen: Seine Mutter versicherte ihm, dass ich tatsächlich ein Mensch wie er sei, und wir konnten sein Bein weiter untersuchen. Es war stark angeschwollen.  

Die konkreten Folgen der Klimakrise 

Durch die Klimakrise kommt es hier in der Region in der Regenzeit häufig zu Überschwemmungen, die die Schlangen aus ihren unterirdischen Höhlen vertreiben. Menschen, die durch das Wasser waten müssen, sind damit sehr anfällig für Schlangenbisse, insbesondere da viele nur Sandalen tragen oder barfuß gehen.  

Die Bisse der unterschiedlichen Schlangenarten lösen im menschlichen Körper unterschiedliche Reaktionen aus. Einerseits kann das Gift die Blutgerinnung beeinträchtigen und die Patient*innen beginnen stark zu bluten. Andererseits kann es aber auch neurologische Reaktionen auslösen. Diese sind sehr gefährlich, da sie das Nervensystem und wichtige Körperfunktionen, einschließlich der Atmung, beeinträchtigen. 

In Twic County ist eine Reaktion am häufigsten, bei der das Schlangengift Zellschäden verursacht, die häufig zu Gewebeschwellungen führen. Die wiederum können die Blutversorgung oder die Nerven beeinträchtigen. In der Regenzeit kamen 20 bis 25 Patient*innen pro Woche zu uns, die von Schlagen gebissen worden waren, und etwa 95 % der Vergifteten hatten diese Art von Biss, einschließlich des jungen Patienten vor mir. 

Bei Kindern wie Bol mit einem geringeren Körpergewicht haben die Schlangenbisse einen stärkeren Effekt, daher war ich erleichtert, dass seine Mutter ihn so schnell zu uns bringen konnte.  

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Arop Magut verbundener Fuß
Der Fuß unseres Patienten Arop Magut (49) neben Bildern einer Puffotter. Arop wurde von einer Schlange ins Bein gebissen, als er auf überfluteten Feldern Hirse erntete. Fünf Tage nach dem Biss kam er in unserem Krankenhaus in Agok an und wurde mehrfach operiert.
© MSF


Gute Behandlungsmöglichkeiten  

Da das Problem so häufig auftritt, ist unser Team in Mayen Abun gut auf die Behandlung von Schlangenbissen vorbereitet. Für den Fall, dass die Patient*innen offensichtliche Symptome aufweisen, hält das Apothekenteam ein Gegengift vorrätig, das schnell verabreicht werden kann. Die Schlangenbisswunde selbst wird sorgfältig gereinigt und ein Verband angelegt, um Infektionen zu verhindern.  

Wenn gebissene Patient*innen noch keine Anzeichen einer Reaktion zeigen, behandeln wir die Wunde und beobachten die Betroffenen 30 Stunden lang sorgfältig. Nur etwa 50 Prozent der Schlangenbisse enthalten Gift, und das Gegengift kostet uns etwa 90 US-Dollar pro Dosis. In einem Krankenhaus wie Mayen Abun sind 90 US-Dollar eine riesige Summe, und aufgrund der abgeschiedenen Lage muss das Team den Einsatz aller Medikamente sorgfältig abwägen, um sicherzustellen, dass sie nicht ausgehen. Das bedeutet, dass wir möglichst sicherstellen, dass jede Patient*in, die eine Dosis Gegengift erhält, diese auch wirklich benötigt.  

Beobachten und Abwarten 

Bei Bol gab es jedoch keine Zweifel. Er war in den Fuß gebissen worden und die Schwellung reichte bis fast zum oberen Ende seines Schienbeins. Darauf muss man bei dieser Art von Schlangenbissen achten – wie weit sich die Schwellung ausgebreitet hat.  

Nachdem ich das Gegengift verabreicht habe, achte ich vor allem darauf, dass sich die Schwellung nicht weiter im Körper ausbreitet oder weitere Komplikationen verursacht. Solange alles stabil bleibt, weiß ich, dass das Gegengift wirkt.  

Die meisten Schlangenbisse in unserer Einrichtung in Mayen Abun konnten innerhalb von 2 bis 3 Stunden unter Kontrolle gebracht werden. Während Bol unter Beobachtung stand, musste ich an einen anderen Schlangenbiss-Patienten denken, den ich kürzlich betreut hatte. Wie Bol war auch er in den Fuß gebissen worden. Im Gegensatz zu ihm lebte dieser Mann aber nicht in der Stadt, sondern in einer abgelegenen Region auf dem Land und kümmerte sich gerade um seine Tiere, als er gebissen wurde.  

Ein lebensveränderndes Ereignis  

Majok* kam daher erst einige Tage nach dem Biss zu uns und konnte sein verletztes Bein kaum belasten. Bei der Untersuchung konnte ich abgestorbenes Gewebe an der Außenseite seines Fußes erkennen, aber bei näherer Betrachtung wurde deutlich, dass auch im Inneren Muskeln und Gewebe zerfallen waren. So etwas hatte ich noch nie gesehen: Die gesamte Struktur des Fußes hatte sich aufgelöst und es blieb nur eine trockene Hülle zurück.  

Es war schwer vorstellbar, welche Schmerzen er durchgemacht haben musste. In einem solchen Fall kann man nur noch amputieren. In Mayen Abun hatten wir keinen Operationssaal, aber mit Hilfe des Logistikteams konnten wir Majok in ein etwa 20 km entferntes Krankenhaus verlegen, das wir mit Spenden für medizinische Hilfsgüter unterstützen.  

Auch wenn ich Majoks Geschichte nicht weiterverfolgen konnte, weiß ich, dass eine Fußamputation überall auf der Welt eine lebensverändernde Maßnahme ist - im ländlichen Südsudan jedoch, kann sie eine Katastrophe für die Patient*innen und ihre Familien bedeuten. Die meisten Menschen hier leben von der Landwirtschaft oder Viehzucht, sodass es für Menschen mit schweren Behinderungen sehr schwierig ist, ihren Lebensunterhalt zu verdienen und ihre Familien zu ernähren. Stattdessen sind sie darauf angewiesen, dass Angehörige oder ihre Gemeinschaften sie unterstützen, die oft selbst mit sehr begrenzten Mitteln auskommen müssen.  

Bol hatte Glück im Unglück 

Nach 24 Stunden hatte sich die Schwellung an Bols Bein bereits verringert und nach 48 Stunden konnte er nach Hause gehen. Dank des schnellen Handelns seiner Mutter und des einfachen Zugangs zum Gegengift erholte er sich vollständig.  

Und während meiner Zeit in Mayen Abun war dies bei allen Schlangenbisspatient*innen der Fall, die uns innerhalb von etwa 12 Stunden nach dem Biss erreichen konnten. Aber wie bei Majok ist das nicht für jeden möglich. Und Menschen, die zu weit von der nächsten Gesundheitseinrichtung entfernt leben, schaffen es oft leider gar nicht.

Potenzielle Lösungen gibt es genug

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Schachtel mit Gegengift zur Behandlung von Schlangenbissen 
Schachtel mit Gegengift zur Behandlung von Schlangenbissen.
© Paul Odongo/MSF

Der rasche Zugang zu den existierenden wirksamen Gegengiften ist entscheidend, um Tod und Behinderungen zu verhindern und den Betroffenen eine gesunde Rückkehr zu ihren Familien und Gemeinden zu ermöglichen. Aber allzu oft sind sie nicht dort verfügbar, wo sie am dringendsten benötigt werden, nämlich in den abgelegenen ländlichen Gebieten, in denen die Menschen leben und arbeiten.  

Daneben müssten noch weitere Maßnahmen ergriffen werden – z. B. die Bevölkerung für Präventionsmaßnahmen zu sensibilisieren und Kindern über Schlangen und ihr Verhalten aufzuklären. Auch würde den Menschen schon die Verteilung von Gummistiefeln helfen, die kostengünstig sind und nachweislich einen guten Schutz vor Schlangenbissen bieten. 

Es gibt ein großes Potenzial, diese stille Krise der Schlangenbisse zu lösen, aber die Regierungen der betroffenen Länder verfügen in der Regel nicht über die finanziellen Mittel oder haben andere gesundheitliche Prioritäten, und auch die Mittel von internationalen Gebern sind nicht ausreichend.  

 *Namen von der Redaktion geändert